Übersetzen und Lokalisieren ist nicht das Gleiche

Im aktuellen Newsletter der Locatech GmbH, Dortmund, ist der nachfolgende Artikel von Leif Sonstenes erschienen, den wir hier mit freundlicher Genehmigung wiedergeben:

Die fortschreitende Globalisierung der Märkte und der daraus resultierende Wettbewerb bringen neue Herausforderungen mit sich, denen Unternehmen sich stellen müssen. Dabei beeinflusst die Globalisierung nicht nur das Verhalten der großen Konzerne, sondern immer mehr auch die Vorgehensweisen vieler mittelständischer Unternehmen. Diese sehen sich unter anderem durch den wachsenden Kostendruck auf den heimischen Märkten sowie durch eine zunehmende technische Komplexität industrieller Produkte einem immer größeren Konkurrenzdruck ausgesetzt. Durch eine erfolgreiche Präsenz in ausländischen Märkten können sie jedoch von Umsatzsteigerungen profitieren, die im Verhältnis mit der zusätzlichen Investition für die Lokalisierung sehr lukrativ sein können.

Unternehmen, die erklärungsbedürftige Produkte produzieren, müssen sich hier einer weiteren Herausforderung stellen. Sie können ihre Produkte nur dann im Ausland verkaufen, wenn sie in der jeweiligen Landessprache vertrieben werden. Gerade technische Produkte wie Maschinen und Arbeitsgeräte, die im produzierenden Gewerbe zum Einsatz kommen, unterliegen dabei besonderen gesetzlichen Vorgaben. Ihre Bedienung muss nach bestimmten Richtlinien, etwa nach EUDirektiven, in der entsprechenden Landessprache beschrieben sein. Da die Hersteller für Schäden haften, die auf eine unzureichende oder unverständliche Bedienungsanleitung zurückzuführen sind, ist dabei besondere Sorgfalt.

Übersetzen mit Bedacht

Bei einer technischen Lokalisierung bieten Lokalisierungsdienstleister den Herstellern ein besonderes Know-how an. Ihre Aufgabe ist es, Ideen und Begriffe von einer Sprache in eine andere zu übersetzen. Dabei geht jedoch die technische Lokalisierung weit über das bloße Übersetzen hinaus. Zahlreiche Prozesse müssen berücksichtigt werden, um einen Text so wirken zu lassen, als sei er bereits ursprünglich im jeweiligen Land erstellt worden. Lokalisierungsexperten beachten bei ihren Projekten stets die Besonderheiten der jeweiligen Landessprache. So gibt es beispielsweise von Land zu Land Unterschiede in der Darstellung von Zahlen, der Uhrzeit oder des Datums. Und auch im grafischen Bereich gilt es, länderspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen.

Nicht jede Farbe kann bedenkenlos in jedem Land verwendet werden. Steht in Europa beispielsweise die Farbe Weiß für „Reinheit“ und „Unschuld“, bedeutet sie in Asien „Trauer“ und „Tod“. Auch dürfen aus ethischen Gründen Männer und Frauen nicht in jedem Land zusammen auf einem Foto abgebildet sein. Während die Darstellung von Menschen ab 50 Jahren in Westeuropa je nach Kontext mit positiven Assoziationen verbunden wird, wäre dies in Rumänien keineswegs der Fall, da dort viele ältere Menschen in wirtschaftlich armen Verhältnissen leben. Abbildungen von nackter Haut sind in Europa weitgehend unproblematisch, in China allerdings gelten etwa nackte Schultern oder in Taiwan nackte Fußsohlen als Tabu.

Besondere Achtsamkeit ist bei der Darstellung von Gesten geboten, da verschiedene Kulturkreise diese unterschiedlich auffassen und sie unter Umständen sogar als obszön gelten können. Selbst ein Produktname kann nicht ohne weiteres einheitlich verwendet werden. So ist beispielsweise auf dem englischen Markt ein Parfum mit dem Namen „Mist“ (englisch für „Nebel“ oder „Hauch“) erhältlich. In Deutschland würde sich ein Parfum mit diesem Namen gar nicht oder nur sehr schlecht verkaufen.

Fachwissen ergänzt Sprachkenntnisse

Für eine qualitativ hochwertige, technische Lokalisierung ist neben den ethischen Gesichtspunkten aber auch ein besonderes Fachwissen über technische Hintergründe erforderlich. Eine Fremdsprache fließend zu sprechen, befähigt beispielsweise nicht automatisch dazu, die Bedienungsanleitung für einen Bohrturm erstellen zu können. Höchste Qualität bei der Lokalisierung kann nur mit Muttersprachlern erreicht werden. Zudem sollte der Übersetzer auch in dem Land leben, für das er lokalisiert, denn nur so bekommt er aktuelle Sprachentwicklungen hautnah mit.

Auch die Qualität des Ausgangstextes hat Einfluss auf das Lokalisierungsprojekt. Oft dokumentieren jene Personen Bedienungsanleitungen oder Softwareanwendungen, die mit der Entwicklung beschäftigt waren. Ihnen fällt es jedoch nicht immer leicht zu beschreiben, wie das, was sie entwickelt haben, bedient wird. Sie setzen oft Wissen voraus, das nicht bei allen Endbenutzern vorhanden ist.

Ist also der Ausgangstext nicht aus der richtigen Perspektive geschrieben und dadurch für den Bediener unverständlich oder generell unlogisch aufgebaut, gestaltet sich die Arbeit der Übersetzer entsprechend kompliziert. Daher trägt die Person, die den Ausgangstext erstellt, eine besondere Verantwortung für den weiteren Verlauf der Lokalisierung.

Bei allen Projekten ist darüber hinaus ein besonderer Weitblick gefragt. Änderungen in letzter Minute, beispielsweise bei neuen technologischen Entwicklungen, lösen gegebenenfalls eine Änderungsflut an den bereits lokalisierten Texten aus. Selbst wenn sich nur ein einziger Begriff in der Ursprungsversion ändert, muss diese Änderung in allen Projektbereichen, etwa der parallel erstellten Onlinehilfe oder einer Dokumentation, übernommen werden. Damit verbundene Erklärungen oder Abhängigkeiten müssen ebenfalls angepasst werden. Bei Lokalisierungsprojekten, die in mehrere Sprachen gleichzeitig zu übersetzen sind, müssen Änderungen am Basistext für jede Sprache separat überprüft und berücksichtigt werden.

Ablauf einer Lokalisierung

Wenn Projekte über eine reine Übersetzung hinausgehen, gestalten sie sich sehr speziell. So wird gelegentlich gewünscht, dass ein bestimmtes „Corporate Wording“ mit der Übersetzung in Einklang gebracht werden muss. Formulierungen, die von Marketingabteilungen geprägt wurden, sollen sich unbedingt auch im lokalisierten Text wieder finden. Dies kann der Fall sein, wenn beispielsweise ein Onlineportal auf eine weltweit einheitliche Plattform umgestellt werden soll und dadurch allen Nutzern einheitliche Funktionen und Werkzeuge zur Verfügung stehen sollen.

Hier gilt es, unterschiedlichste Wünsche und Vorgaben aufeinander abzustimmen. Ein gemeinsamer Workshop vor Beginn der Übersetzung und das daraus erarbeitete gegenseitige Verständnis der Firmen, Aufgaben und Abhängigkeiten können ein wichtiger Bestandteil für die erfolgreiche Zusammenarbeit sein.

Der Projektmanager bildet den Mittelpunkt eines jeden Projekts. Er kommuniziert mit dem Kunden, entwickelt den Projektplan, bildet das Projektteam, überwacht die Qualität, die Termine und das Budget. Grundsätzlich werden die übergeordneten Aufgaben wie Kommunikation, Verwaltung, Analyse, Vorbereitung, Nachbereitung und so weiter kundennah abgewickelt, also in dem Land, in dem der Kunde sich befindet. Alle sprachlichen Arbeiten werden später hingegen in den jeweiligen Ländern von Muttersprachlern durchgeführt.

Bevor die eigentliche Lokalisierungsarbeit beginnt, wird alles geprüft, was später den Projektverlauf zeitlich beeinträchtigen könnte. So werden Zeit und Kosten gespart. Im ersten Schritt erfolgt also eine ausführliche technische Analyse der Basisdateien durch einen Techniker. Dazu ermittelt dieser zunächst die Anzahl der Wörter, Seiten und Grafiken. Außerdem untersucht er die Basisdateien auf mögliche Kompatibilitäts- oder Formatierungsprobleme.

Eine Sprachkraft prüft im Vorfeld kulturelle Aspekte wie etwa Wortspiele, die sich nicht in eine andere Sprache übertragen lassen, oder Grafiken, die nicht verwendet werden dürfen. Zudem sichtet sie das vorhandene Referenzmaterial, bereits übersetzte Dokumente sowie gleichzeitig zu übersetzendes Material, wie etwa Software- und Onlinehilfen, erkennt Zusammenhänge und Abhängigkeiten zwischen diesen Materialien und dokumentiert diese.

Der Projektmanager entwickelt im nächsten Schritt einen ausführlichen Plan, dem alle Mitarbeiter wichtige Schnittpunkte, Termine und Prozessstufen für die Textarbeit entnehmen können. Danach wird ein Projektteam gebildet, das aus Fachübersetzern mit den entsprechenden technischen Kenntnissen, Lektoren der jeweils erforderlichen Sprachen, Grafikern und Technikern besteht.

Ein Terminologe fasst im nächsten Schritt die wichtigsten Fachbegriffe in so genannten Terminologielisten zusammen. Diese werden übersetzt und von den Landesrepräsentanten des Kunden vorab genehmigt. Damit ist gewährleistet, dass die Mitarbeiter wichtige Begriffe im Sinne des Kunden lokalisieren. Außerdem wird so vermieden, dass innerhalb des Projekts unterschiedliche mögliche Übersetzungen für den jeweiligen Fachbegriff verwendet werden. Das Projektteam entwickelt zudem individuelle Stilrichtlinien, die es ebenfalls mit dem Kunden abstimmt. So kann die Übersetzung vollständig im Sinne des Kunden durchführt werden.

Sind die Dokumente in der Quellsprache fertig und zur Übersetzung freigegeben, bereitet der Projektmanager sie auf und sendet sie an die Übersetzer in den jeweiligen Ländern. Bei umfangreicheren Lokalisierungen arbeiten häufig mehrere Übersetzer gleichzeitig an verschiedenen Projektteilen. Die im Vorfeld definierten Terminologielisten und Stilrichtlinien stellen sicher, dass sie auf derselben Basis arbeiten.

Darüber hinaus werden Übersetzungsspeicher oder Translation-Memory- Tools eingesetzt. Die Übersetzungen werden von Menschen und nicht von Übersetzungsprogrammen durchgeführt. Die Übersetzer werden dabei von einem Tool unterstützt, das jeden übersetzten Satz in einer Datenbank speichert, während der Übersetzer arbeitet. Kommt derselbe oder einer ähnlichen Satz später noch einmal im Text vor, schlägt das Tool die bereits gespeicherte Übersetzung vor. So spart der Übersetzer Zeit, und die Kosten der Übersetzungsarbeit werden reduziert.

Die übersetzten Teile gehen an den Projektmanager zurück, der sie dann einem Lektor übergibt. Dieser stellt sicher, dass die vereinbarten und gesetzlich vorgeschriebenen Richtlinien befolgt wurden und sorgt dafür, dass das gesamte Dokument einen einheitlichen Stil aufweist.

Ist die Arbeit am sprachlichen Teil abgeschlossen, wird das ursprüngliche Seitenbild von spezialisierten Grafikern wie Layoutern oder Desktop-Publishing-Spezialisten wieder hergestellt. Einige Sprachen benötigen mehr oder weniger Wörter und damit auch Platz, um den Ausgangsinhalt wiederzugeben. Daher werden die Zeilen- und Seitenumbrüche stets kontrolliert. Auch die Grafiken müssen an die richtige Stelle in Bezug zum beschreibenden Text gebracht werden.

Abschließend finden verschiedene Qualitätssicherungsschritte statt, um zu gewährleisten, dass das lokalisierte Dokument wirklich genau dem Ausgangsdokument entspricht. Damit ist die Lokalisierung abgeschlossen, und die druckfertigen Dateien können an den Kunden ausgeliefert werden.

[Text: Leif Sonstenes, Locatech GmbH, Dortmund. Quelle: Locatech-Newsletter, Oktober 2008, www.locatech.com.]