Rentnerschwemme: EU befürchtet Dolmetschermangel

In den nächsten Jahren wird die erste Generation der EU-Dolmetscher und -Übersetzer und damit ein ungewöhnlich hoher Anteil der Beschäftigten in den Ruhestand gehen. Schon heute liegt der Altersdurchschnitt der Sprachendienstler bei 50 Jahren.

Besonders nachteilig wird sich dies bei der wichtigsten Amts- und Relaissprache Englisch auswirken. Nach Angaben der EU-Kommission wird bis 2015 mehr als ein Drittel der derzeit bei der EU beschäftigten englischen Muttersprachler ausscheiden. Auch Sprachmittler für Deutsch, Französisch, Italienisch und Niederländisch würden schon bald in ähnlichem Umfang fehlen.

Auf diese Chance für Neueinsteiger weist der Fernsehsender Euronews in einem Bericht hin: „Zwar schafft nur ein Drittel der Kandidaten den Einstellungstest, aber das Einstiegsgehalt von etwa 5000 Euro netto sollte über diese Anstrengung hinwegtrösten …“

Doch trotz der fürstlichen Gehälter für die im Vergleich zur freien Wirtschaft überbezahlten EU-Sprachmittler ist die Nachwuchsrekrutierung bei einzelnen Sprachen schwierig. Dazu gehören nicht nur die Sprachen kleiner oder neuer Mitgliedstaaten.

So bemüht sich die EU bereits seit Längerem, bei den sprachfaulen Briten durch die Förderung entsprechender Studiengänge und eine intensive Öffentlichkeitsarbeit junge Talente für den Beruf zu begeistern. Ob es gelingen wird, die sich in den nächsten Jahren auftuende Lücke rasch zu schließen, ist mehr als fraglich. Denn auch auf dem deutschen Übersetzungsmarkt besteht seit Jahrzehnten ein Mangel an englischen Muttersprachlern. Dieser ist nicht behebbar, weil Briten und Amerikaner einfach keine Fremdsprachen lernen wollen. In den Studiengängen für Übersetzer und Dolmetscher auf der ganzen Welt sind englische Muttersprachler eine kleine exotische Minderheit. Selbst in großen, renommierten Instituten wie dem FASK Germersheim muss man sie mit der Lupe suchen.

Die Süddeutsche Zeitung befragt zu dieser Problematik Alexander Drechsel (27), der in Leipzig studiert hat und nun für die EU-Kommission dolmetscht. Zu den Werbemaßnahmen der EU schreibt die Zeitung:

Wegen des drohenden Nachwuchsmangels will die EU-Kommission die Dolmetscher jetzt wenigstens zeitweise ins Rampenlicht rücken. Um Nachwuchs anzulocken, startet sie am Donnerstag eine Kampagne, unter anderem mit Werbespots auf der Internetseite Youtube. Zunächst werden Englisch-Dolmetscher angesprochen, Deutsch soll im Laufe des Jahres folgen.

Das aktuelle sechsminütige Werbevideo der EU-Generaldirektion Dolmetschen trägt den Titel „Interpreting for Europe … into English“. Zu Wort kommen die Abteilungsleiter David Smith (Bild) und Miguel Gomes sowie die Dolmetscher Kate Davies, Rachel Hayes, Marilena Iannidinardi, Jonathan McKie, Nicholas Roche, Jeffrey Silver, Karl Telfer und Andrew Upton. Sie finden es in englischer Sprache auf YouTube.

Den erwähnten Zeitungsartikel können Sie in der Süddeutschen Zeitung lesen, der Fernsehbeitrag steht auf der Website von Euronews.

[Text: Richard Schneider. Quelle: Süddeutsche Zeitung, 2009-02-19; Euronews, 2009-02-19. Bild: EU.]