Sprachlehrer als Dolmetscher? Offener Brief an Ministerin Claudia Schmied

Die österreichische Ministerin für Unterricht, Kunst und Kultur, Claudia Schmied (Bild), hat mit einer Äußerung den Unmut der Sprachmittlerzunft auf sich gezogen. Übersetzerverbände und Ausbildungsinstitute für Übersetzer haben deshalb den folgenden offenen Brief verfasst:

Offener Brief an Frau BM Claudia Schmied

Berufsverbände für Dolmetschen und Übersetzen und universitäre Ausbildungsstätten warnen vor Bagatellisierung des Berufes

Sehr geehrte Frau Bundesministerin,

wir nehmen Bezug auf Ihre im Profil 11/09 zitierte und in der Fernsehsendung ‚Im Zentrum‘ live wiederholte Aussage: „Eine Sprachlehrerin könnte zur Abwechslung als Dolmetscherin arbeiten, so eine Öffnung kann den Schulen und dem Unterricht nur gut tun.“

Mit einem solchen Aufruf zu unprofessionellem Handeln würdigen Sie die Leistungen aller Frauen und Männer herab, die in diesen äußerst unterschiedlichen und fachlich höchst anspruchsvollen Berufsfeldern – Schulunterricht einerseits und Dolmetschen bzw. Übersetzen andererseits – tätig sind. Fremdsprachenkenntnisse und didaktisches Wissen bedeuten nämlich nicht automatisch Dolmetsch- oder Übersetzungskompetenz. Beispielsweise finden ja auch LehrerInnen für Biologie nicht eine Nebenverwendung als Vertretung in veterinär- oder humanmedizinischen Arztpraxen.

Dass Lehramtsstudien als eigene Studienzweige betrieben werden, ist bekannt. Es dürfte jedoch Ihrer Aufmerksamkeit entgangen sein, dass dies auch auf Dolmetschen und Übersetzen zutrifft. An den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck gibt es seit über 60 bzw. 50 Jahren eigene translationswissenschaftliche Institute, an denen DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen ausgebildet werden. Im tertiären Bereich hat sich also schon längst die Überzeugung durchgesetzt, dass der Sprachunterricht an Schulen andere Kompetenzen erfordert als das Dolmetschen oder Übersetzen.

Auch die EU-Institutionen vertreten diese Meinung. Um zu einem Concours für Dolmetschdienstleistungen zugelassen zu werden, sollten die KandidatInnen neben Berufserfahrung bei internationalen Kongressen tunlichst auch einen translationswissenschaftlichen Ausbildungshintergrund vorweisen.

Mit Ihrer Aussage hat die jahrzehntelange Aufbauarbeit der translatorischen Berufsverbände einen Rückschlag erlitten. Immer wieder verweisen diese Interessengruppen auf die negativen Konsequenzen von unqualifizierten Dolmetschungen und Übersetzungen, müssen dies auch tun, denn die Politik hat den qualifizierten VertreterInnen dieses Fachs bislang den Schutz der Berufsbezeichnung versagt.

Nicht zuletzt deswegen perpetuiert Ihre Aussage ein Bild von unserem Beruf, das der Komplexität moderner Dolmetsch- und Übersetzungsarbeit nicht gerecht wird. Angesichts dieser Komplexität und der verantwortungsvollen Rolle professioneller DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen für die internationale Kommunikation,  für den Wissenstransfer und für den Aufbau der Kulturen sehen es die unterzeichneten Verbände und universitären Ausbildungsstätten als ihre Pflicht, auf die Fragwürdigkeit solcher Vorstellungen hinzuweisen.

Unterzeichnet von:

  • UNIVERSITAS Austria, Berufsverband für Dolmetschen und Übersetzen
  • Österreichischer Verband der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher
  • Übersetzergemeinschaft
  • Österreichischer Gebärdensprach-DolmetscherInnen-Verband
  • AIIC Region Österreich
  • Zentrum für Translationswissenschaft, Wien
  • Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft (Graz)
  • Institut für Translationswissenschaft (Innsbruck)

[Text: Universitas. Quelle: Presseaussendung Universitas, 2009-03-11. Bild: SPÖ.]

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