Bundesgerichtshof: Übersetzte Nazi-Parolen in Deutschland nicht strafbar

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass sich das in Deutschland geltende Verbot nationalsozialistischer Parolen nicht auf deren Übersetzung erstreckt. In dem verhandelten Fall besaß jemand T-Shirts mit der Parole „Blood and Honour“. „Blood and Honour“ ist ein internationales rechtsextremistisches Netzwerk, das in Deutschland verboten ist.

Die Vorinstanz hatte den englischen Text jedoch als Übersetzung des Leitspruchs der Hitlerjugend „Blut und Ehre“ interpretiert. Dessen Strafbarkeit wäre aber nur dann gegeben, wenn der Spruch auf Deutsch verwendet worden wäre, so der BGH. Stattdessen sei zu prüfen, ob sich der T-Shirt-Besitzer strafbar gemacht habe, weil er den Namen einer verbotenen Vereinigung propagierte. Dies habe die Vorinstanz aber nicht getan. Der BGH hat den Fall deshalb zur Neuverhandlung an die Vorinstanz zurückverwiesen.

Die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs im Wortlaut:

Verurteilung wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen aufgehoben

Der Angeklagte hatte am 16. September 2005 100 T-Shirts im Besitz, die zur Weitergabe an verschiedene Personen bestimmt und wie folgt bedruckt waren: Auf der Vorderseite befand sich der Schriftzug „Blood & Honour/C18“, ferner die Abbildung einer Hand, die eine Pistole hält, sowie der englischen Satz „support your local section“. Auf der Rückseite der T-Shirts stand „Blood & Honour is our voice Combat 18 is our choice“.

 

„Blood & Honour“ ist eine international aktive, rechtsextremistische Vereinigung, deren deutsche Unterorganisation bestandskräftig verboten ist. Dies war dem Angeklagten bekannt. Er wusste auch, dass „Blood & Honour“ die wörtliche Übersetzung des Leitspruchs „Blut und Ehre“ der Hitlerjugend ist.

 

Aufgrund dieses Sachverhalts verurteilte das Landgericht Gera den Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86 a StGB) zu einer Geldstrafe von 4200 Euro. Der u. a. für Staatsschutzstrafsachen zuständige 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Senat hat – anders als das Landgericht – entschieden, dass der fremdsprachige Gebrauch einer NS-Parole nicht dem Straftatbestand des § 86 a StGB unterfällt. Diese Vorschrift stellt nicht jedes Bekenntnis zu einer NS-Organisation – was hier fraglos vorliegt – unter Strafe, sondern nur die Verwendung von Kennzeichen dieser Organisationen, etwa ihrer Parolen, Abzeichen, Fahnen etc. Gleichermaßen strafbar ist auch der Gebrauch von Symbolen, die den Originalen zum Verwechseln ähnlich sind. Eine Verwechslungsgefahr liegt jedoch nur dann vor, wenn die Nachahmung und das Original in wesentlichen Vergleichspunkten übereinstimmen, was bei leichten Abwandlungen des Originalsinnbilds regelmäßig der Fall ist.

 

Durch die Übersetzung in eine andere Sprache erfährt eine NS-Parole, die nicht nur durch ihren Sinngehalt sondern ebenso durch die deutsche Sprache ihre charakteristische Prägung erfahren hat, jedoch eine grundlegende Verfremdung, die der Tatbestand des § 86 a StGB nicht erfasst.

 

Der Angeklagte kann sich jedoch gleichwohl wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen strafbar gemacht haben, wenn er den Namen der in Deutschland verbotenen Vereinigung „Blood & Honour“ symbolhaft verwendet hat. Erfährt der Name einer verbotenen Organisation eine gestalterische Ausformung, etwa durch eine besondere Schriftgebung, kann ihm die Funktion eines Kennzeichens zukommen.

 

Mit dieser Möglichkeit hat sich das Landgericht im angefochtenen Urteil nicht auseinandergesetzt. Ebenso wenig hat es geprüft, ob sich der Angeklagte durch das Vorrätighalten der mit einem aggressiv-kämpferischen Text bedruckten T-Shirts wegen Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen (§ 86 StGB) oder wegen Unterstützens des organisatorischen Zusammenhalts der verbotenen Vereinigung „Blood & Honour“ nach § 85 StGB strafbar gemacht hat. Diese Fragen werden in einer neuen Hauptverhandlung zu klären sein.

 

Urteil vom 13. August 2009 – 3 StR 228/09
Landgericht Gera – 103 Js 41310/05 1 KLs (1)/20 –

Karlsruhe, den 13. August 2009

 

Die in Rede stehenden Vorschriften lauten, soweit hier relevant:

 

StGB § 86 a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen

 

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 bezeichneten Parteien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in von ihm verbreiteten Schriften…verwendet oder
2. Gegenstände, die derartige Kennzeichen darstellen oder enthalten, zur Verbreitung oder Verwendung im Inland oder Ausland in der in Nummer 1 bezeichneten Art und Weise herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt.

 

(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.

 

(3) ….

StGB § 86 Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen

 

(1) Wer Propagandamittel
1. …,
2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, ….,
3. … oder
4. Propagandamittel, die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen,
im Inland verbreitet oder zur Verbreitung im Inland oder Ausland herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt oder in Datenspeichern öffentlich zugänglich macht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft

 

(2) Propagandamittel im Sinne des Absatzes 1 sind nur solche Schriften.., deren Inhalt gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist.

 

(3) und (4) ….

 

Karlsruhe, den

Pressestelle des Bundesgerichtshofs, Karlsruhe

Empörung in den Medien

Die Gerichtsentscheidung ist folgerichtig und nachvollziehbar, wenn man die Urteilsbegründung liest. Aber diese Mühe machten sich viele Kommentatoren nicht. Wie meistens, wenn es um Rechtsextremismus geht, wirkten die deutschen Medien wie gleichgeschaltet und ergingen sich in Empörungsritualen. Verlangt wurde eine unbedingte Durchsetzung des Verbots von Naziparolen. Sachsen-Anhalts Justizministerin Angela Kolb (SPD) forderte, das Verwenden nationalsozialistischer Leitsprüche auch dann unter Strafe zu stellen, wenn diese in eine andere Sprache übersetzt werden. Es gibt weltweit rund 6.000 lebende Sprachen.

Dieses Phänomen der Überreaktion auf eigentlich belanglose Ereignisse am rechtsextremen Rand des politischen Spektrums beschrieb der Publizist Johannes Gross (Capital-Herausgeber) schon vor Jahren wie folgt: „Je länger das Dritte Reich zurückliegt, um so mehr nimmt der Widerstand gegen Hitler und die Seinen zu.“

Nur vereinzelt waren Stimmen zu hören, die das Urteil lobten. Darunter Henryk M. Broder, einer der bekanntesten jüdischen Intellektuellen in Deutschland. Im Blog Die Achse des Guten schreibt er mit einem Augenzwinkern:

Das ist eine weise Entscheidung […]. Zum einen wird deutsches Sprach- und Kulturgut geschützt – auch Schadenfreude, Waldsterben und Zeitgeist lassen sich nicht beliebig übersetzen -, zum anderen werden die bildungsfernen Schichten, aus denen die meisten Nazis kommen, angeregt, fremde Sprachen zu lernen, was ja auch gut ist.

Die rechtsintellektuelle Wochenzeitung Junge Freiheit schreibt (wie alle rechten Publikationen bewusst in veralteter Rechtschreibung):

Wir befinden uns in der widerwärtigen Lage, daß unsere Jugend gezwungen ist, […] nationalsozialistische Leitsprüche auswendig zu lernen, damit sie diese nicht aus Versehen verwendet. Damit prägen sich die Sprüche stärker in das gemeinschaftliche Bewußtsein ein, als wenn sie nicht verboten wären. Außerdem herrscht ständig die Unsicherheit, welche Wörter man in welcher Wortfolge verwenden darf und welche nicht. Das BGH-Urteil hat somit eine schlechte und eine gute Seite. Auf der einen Seite brandmarkt es Deutsch als Nazisprache, in der man jedes Wort auf die Goldwaage legen muß, während Englisch als freie Sprache dasteht, die bedenkenlos verwendet werden darf. […] Auf der anderen Seite setzt das Urteil der Tabuisierung von Wörtern Grenzen. […] Diesem Geist folgend wäre es schön, das Verbot von Wörtern und Wortfolgen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Denn ein Wortverbot kann niemals die geistige Auseinandersetzung ersetzen.

Meinungsfreiheit in Deutschland nicht erwünscht

Auf die Idee, dass ein Verbot von Wörtern, Wortfolgen, Symbolen, Liedtexten, Büchern und Ähnlichem einem liberalem Rechtsverständnis und dem Prinzip der Meinungsfreiheit grundsätzlich widersprechen könnte, kommt in Deutschland kaum jemand – weil man es seit Generationen nicht anders kennt.

Dabei wird dieser deutsche Sonderweg vom Ausland teils verblüfft, teils amüsiert zur Kenntnis genommen. Denn das allergische Reagieren auf alles Nazistische und vermeintlich Nazistische ist löblich, kommt aber 80 Jahre zu spät. Kritiker sehen dadurch gar die Gefahr des Abdriftens in eine „Gesinnungsjustiz“, in der Menschen nur deshalb bestraft werden, weil sie eine vom gesellschaftlichen Konsens abweichende Meinung vertreten. In freiheitlichen Ländern wie den USA sind keinerlei Symbole oder Wörter verboten. In Israel kann man in jeder Buchhandlung Hitlers Mein Kampf bestellen und kaufen.

Rosa von Luxemburg formulierte einst den Grundsatz, dass Freiheit immer auch die Freiheit des Andersdenkenden sei. Der Grundgedanke, dass niemand für das, was er sagt, schreibt oder sonstwie publiziert, bestraft werden sollte (egal wie abstrus es ist), wird in Deutschland und den meisten anderen europäischen Ländern nur von libertären Freidenkern außerhalb der Parlamente und Parteien vertreten. Echte Meinungsfreiheit wie in den USA gilt in Deutschland als gefährlich und ist nicht mehrheitsfähig – weder unter Politikern noch in der Bevölkerung.

Geschichtsfälschung von Amts wegen

Wohin das geltende Verbot von Symbolen in der Praxis führen kann, zeigt sich im Deutschen Museum in München. Dort fehlt seit jeher auf deutschen Flugzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg das Hakenkreuz – obwohl dessen Abbildung im Rahmen einer historischen Dokumentation erlaubt wäre. Es ist sogar ein Fall belegt, bei dem das Hakenkreuz an der Flugzeug-Leihgabe eines ausländischen Museums für die Dauer der Ausstellung in München kunstvoll übertüncht wurde.

Das Hakenkreuz war im Zweiten Weltkrieg aber nicht nur Abzeichen einer Partei, sondern in der Luftfahrt auch Hoheitsabzeichen des Deutschen Reiches. Es prangte am Seitenleitwerk dort, wo bei heutigen Flugzeugen eine Deutschlandfahne aufgepinselt ist.

Me 262 ohne Hakenkreuz im Deutschen Museum
Politisch korrekt, aber historisch falsch, weil ohne Hakenkreuz: die Messerschmitt Me 262 im Deutschen Museum in München. Die Me 262 war das erste in Serie gefertigte und einsatzfähige Triebstrahlflugzeug der Welt.
Me 262 mit Hakenkreuz im National Museum der US Air Force
Wer wissen will, wie deutsche Flugzeuge zwischen 1933 und 1945 aussahen, muss ins Ausland reisen: Eine Me 262 historisch korrekt mit Hakenkreuz im National Museum der US Air Force in Dayton, Ohio.

[Text: BGH, Richard Schneider. Quelle: Pressemitteilung 168/2009 des BGH, 2009-08-13. Bild: Wikipedia.]