Neue Sprache im Nordosten Indiens entdeckt: Koro

Eigentlich war ein Team des „National Geographic Society’s Enduring Voices Project“ im indischen Distrikt Arunachal Pradesh unterwegs, um zwei wenig bekannte Sprachen – Aka und Miji – weiter zu erforschen und Tonaufnahmen festzuhalten, als es völlig unerwartet eine dritte Sprache hörte und die bislang unbekannte Sprache namens Koro entdeckte. Die Sprache wird in einigen wenigen Himalaya-Dörfern im Nordosten Indiens gesprochen. Bei dem Bundesstaat Arunachal Pradesh handelt es sich um ein umstrittenes Gebiet, das von China beansprucht wird, weshalb die Einreise in die abgelegene Gebirgsregion stark eingeschränkt ist. Dies kann einer der Gründe für die späte Entdeckung der Sprache sein.

Koro gehört zur tibetisch-birmanischen Sprachfamilie, wird von nur etwa 800–1200 Menschen aktiv gesprochen und existiert nicht in schriftlicher Form. Daher handelt es sich bei Koro um eine vom Aussterben bedrohte Sprache. „Diese Sprache ist bisher unentdeckt, undokumentiert und nicht aufgezeichnet“, so Gregory Anderson, Direktor des „Living Tongue Institute for Endangered Languages“ aus Salem im US-Bundesstaat Oregon.

Die Sprecher von Koro werden zum Stammesvolk der Aka gezählt, weshalb die Sprache als Dialekt der Aka-Sprache gehalten wurde, die wiederum zu den hrusischen Sprachen, einer kleine Untergruppe der tibetobirmanischen Sprachen, gehört. Tatsächlich unterscheidet sich Koro jedoch von den tibetobirmanischen Sprachen. Dies sei äußerst außergewöhnlich, weil die Dorfbewohner Tür an Tür leben, so das Forscherteam um Gregory Anderson und David Harrison. „Sie kleiden sich gleich, sie bauen Reis auf die gleiche Weise an, sie leben in den gleichen Häusern.“, gab Harrison an. So nennt man einen Berg auf Aka „phù“, auf Koro hingegen „nggo“. Aka-Sprecher sagen zu einem Schwein „vo“, Koro-Sprecher „lele“.

Des Weiteren fanden die US-Sprachwissenschaftler heraus, dass Koro-Sprecher Pflanzenexperten sind. „Es dauerte nicht einmal 15 Minuten und die beiden hatten mich über ein gutes Dutzend Pflanzen aufgeklärt – wie sie heißen und welche Krankheiten man mit ihnen heilen kann.“, erzählte Harrison. Dieses Wissen ist nicht aufgeschrieben und nur die wenigen Koro-Sprecher können es abrufen. Deswegen steht Koro jetzt auf der Liste der zu bewahrenden Sprachen.

Aka gilt als Sprache der einstigen Sklavenhändler in der Region. Aus diesem Grund ist nun die Vermutung aufgestellt worden, dass Koro möglicherweise die Sprache der verkauften Sklaven gewesen sein könnte. Dies würde die Unterschiede der beiden Sprachen erklären. Damit bringt die Entdeckung der bisher unbekannten Sprache Koro nicht nur in linguistischer, sondern auch in historischer Hinsicht neue, interessante Erkenntnisse mit sich.

Indien ist für seine Sprachenvielfalt bekannt. Über 100 verschiedene Sprachen, die vier verschiedenen Sprachfamilien (indoarische, dravidische, tibetobirmanischen bzw. sinotibetischen und austroasiatische Sprachfamilie) angehören, werden in dem südasiatischen Staat gesprochen. Neben den beiden Amtssprachen Hindi und Englisch sind die folgenden 21 Sprachen als Landesprachen anerkannt: Asamiya, Bengalisch, Bodo, Dogri, Gujarati, Kannada, Kashmiri, Konkani, Maithili, Malayalam, Marathi, Meitei, Nepali, Oriya, Panjabi, Santali, Sanskrit, Sindhi, Tamil, Telugu und Urdu.

Alle zwei Wochen etwa stirbt derzeit der letzte Vertreter einer seltenen Sprache. Wissenschaftlern zufolge werden von den heute knapp 7000 bekannten Sprachen etwa die Hälfte noch in diesem Jahrhundert verschwinden.

Ein Video der Koro ist hier zu sehen.

Hörproben des Koro befinden auf der Website des BR.

[Text: Jessica Antosik. Quellen: nationalgeographic.com; weltderwunder.de; br-online.de; schwaebische.de. Bild: wikipedia.de.]