Stalins Französisch-Dolmetscher Wladimir Jerofejew mit 90 Jahren gestorben

Wladimir Jerofejew
Wladimir Jerofejew mit seinem Sohn Viktor.

Wladimir Iwanowitsch Jerofejew, seinerzeit persönlicher Dolmetscher von Josef Stalin, ist am 18. Juli 2011 im Alter von 90 Jahren in Moskau gestorben. Dies teilte sein Sohn, der bekannte russische Schriftsteller Wiktor Wladimirowitsch Jerofejew und Autor der Bücher Die Moskauer Schönheit und Der gute Stalin, dem Radiosender Echo Moskwy mit.

Sein Vater sei nach langer Krankheit an akuter kardiovaskulärer Insuffizienz gestorben. Am 21. Juli wurde er auf dem Wagankowoer Friedhof in der russischen Hauptstadt beigesetzt.

Wladimir Jerofejew war Berater von Wjatscheslaw Molotow, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates der Sowjetunion, und Stalins persönlicher Dolmetscher für die französische Sprache. Später wirkte er als Botschafter in Afrika und Österreich sowie Vizepräsident der UNESCO.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat ihn 2010 porträtiert:

Stalins persönlicher Französisch-Dolmetscher, der dann Assistent des Außenministers Molotow wurde und für Jahrzehnte dem diplomatischen Dienst der Sowjetunion angehörte, blickt auf ein langes, ereignisreiches, vor allem aber glückliches Leben zurück. Davon ist sein Sohn Viktor, der Schriftsteller, überzeugt, dessen Mitarbeit an dem Dissidenten-Almanach Metropol 1979 dem Karriereglück des Vaters freilich jäh den Todesstoß versetzte.

Manches in der Biographie von Jerofejew senior erinnert an den gutgläubigen Iwan aus dem russischen Märchen, mit dem es das Schicksal dann auch gut meint. Als junger Mann wollte der glühende Kommunist in den spanischen Bürgerkrieg ziehen, woraufhin er an der Übersetzerschule des Zentralkomitees studierte. […] Jerofejews inspirierter Blick sah in Stalin eine „magische“ Persönlichkeit.

Nach Stalins Tod wurde der glückliche Wladimir Jerofejew Kulturattaché in Paris. Er liebte französische Weine und sibirische Pelmeny. Er genoss die Begegnungen mit Picasso, Aragon und Yves Montand ebenso wie die mit den russischen Musikern Rostropowitsch, Emil Gilels, Leonid Kogan, die zu Gastspielen kamen.

Er brachte die Witwe Iwan Bunins, Vera Muromzewa, dazu, den Nachlass des Schriftstellers der Sowjetunion zu übergeben, und seine Regierung überzeugte er, der verarmten alten Dame eine Rente zu zahlen. Dafür war er selbst als Sowjetdiplomat in Paris, als Botschafter im Senegal, später als Unesco-Bevollmächtigter in Wien, für europäische Verhältnisse fast arm. […] Doch er nutzte die für Sowjetbürger kostbaren Gelegenheiten zum Reisen. […]

Später habe der überzeugte Kommunist Jerofejew den Reformkurs Gorbatschows zwar begrüßt, den Zusammenbruch des Sowjetsystems aber „als globale Katastrophe von geschichtsphilosophischer Tragweite“ empfunden.

Jerofejews Sohn Viktor schrieb in seinem Roman Der gute Stalin über das Verhältnis zum Vater:

Papa arbeitete im Kreml. Was er da eigentlich machte, wusste ich nicht so genau, aber wenn ich mit meinen Freunden am Kreml vorbeifuhr (im Winter bis über die Nase in Schals gehüllt, in Biberlammpelzen, Mützen, Filzstiefeln und mit Schäufelchen ausgerüstet, um im Gorki-Park im Schnee zu spielen), dann sagte ich sachkundig zu ihnen: „Hier arbeiten mein Papa und Genosse Stalin.“

Jessica Antosik

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