„Wie der Herrgott in Frankreich“ – Als Übersetzerin im Auswärtigen Amt 1941-45

Das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn bietet im Rahmen des Projekts „Kollektives Gedächtnis“ jedermann die Möglichkeit, persönliche Erinnerungen zu veröffentlichen, die in einem Zusammenhang mit der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts stehen. Die Sammlung enthält auch einen Beitrag von Dorothea Günther, Jahrgang 1914, die von 1941 bis 1945 als Übersetzerin im Sprachendienst des Auswärtigen Amts tätig war. Hier einige Auszüge:

Ab Frühjahr 1941 arbeitete ich in der englischen Abteilung des Sprachendienstes des Auswärtigen Amtes (AA). Meine Arbeit dort wurde die beste Tätigkeit, die ich je hatte. Acht englische Mitarbeiter gehörten der Abteilung an. Diese Engländer waren aus Internierungslagern ausgewählt und für die Deutschen verpflichtet worden. Es gab darunter Journalisten, Auslandskorrespondenten und auch einen Hochschulprofessor. Natürlich waren sie als Zwangsverpflichtete nur widerwillig nach Berlin gekommen, aber versöhnlich stimmte sie, dass sie als freie Menschen in der Stadt leben konnten. Zwischen ihnen und mir entwickelte sich allmählich eine recht harmonische Beziehung.

 

Unser oberster Chef war der Gesandte Dr. Paul Schmidt [Bild unten]. Die Dienstzeiten im Sprachendienst des AA wurden sehr großzügig gehandhabt, von 9.30 bis gegen 13 Uhr und von 15 bis 17.30 Uhr. [……]

 

Jeden Morgen fand ich auf meinem Schreitisch zwei dicke geheftete Bücher vor. Sie enthielten alle am Vortag aufgezeichneten Rundfunksendungen der sogenannten Feindsender wie BBC, Soldatenfunk Calais etc. Wir bekamen also genau jene begehrten Sendungen frei Haus geliefert, für die Tausende von Deutschen ihr Leben riskierten, wenn sie zu Hause – unter einer Decke verkrochen – heimlich diese Sender hörten, um Klarheit über die tatsächliche militärische Lage zu bekommen. Wir sollten diese Berichte zu sprachwissenschaftlichen Zwecken studieren, was wir sehr gründlich taten. [……]

 

Führerreden brachten stets einen ungeheuren Wirbel mit sich. Bereits 12 Stunden vorher gingen wir in Klausur, die gesamte vierte Etage des Adlon wurde für den Sprachendienst beschlagnahmt und von der Außenwelt abgeschottet. Die Reden wurden im Vorhinein in etliche Sprachen übersetzt, um bereits Übersetzungen in alle Welt senden zu können, während Hitler die Rede hielt. Bei diesen Nachteinsätzen wurden wir „friedensmäßig“ und nach Art des Hauses Adlon verpflegt.

 

Die Übersetzung der Hitler-Reden wurde nicht nur sorgfältig überprüft, sondern Wort für Wort gründlich diskutiert. Die Entscheidung über die treffendste Formulierung musste manchmal von Dr. Paul Schmidt, dem Chefdolmetscher der Regierung, persönlich gefällt werden. Einmal hieß es bei Hitler voll Pathos: „Dieser blutige Krieg…“ Mit unschuldsvoller Miene übersetzten die Engländer: „This bloody war…“, was „dieser Scheißkrieg“ bedeutet. [……]

 

Im Weinkeller des Adlon war stets französischer Rotwein vorrätig, und so lebten wir mitten im Krieg tatsächlich wie der Herrgott in Frankreich. [……]

 

Im Januar 1945 endete meine Arbeit beim AA. Meine Abteilung wurde weitgehend aufgelöst, der Rest des Sprachendienstes siedelte über ins Riesengebirge nach Krumhübel. Gehalt bekam ich für sechs Monate im Voraus. Das konnte mich allerdings kaum freuen, denn es gab für das Geld fast nichts mehr zu kaufen.

Chamberlain, Mussolini, Schmidt, Hitler
Dr. Paul Schmidt (2. von rechts), hier mit Chamberlain, Mussolini und Hitler auf der Münchner Konferenz zur Beilegung der Sudetenkrise am 29.09.1938. Schmidt war Chefdolmetscher aller deutschen Reichsregierungen von 1924 bis 1945. Nach dem Krieg leitete er als Direktor das Sprachen- und Dolmetscherinstitut (SDI) München.

[Text: Richard Schneider. Quelle: Deutsches Historisches Museum. Bild: Auswärtiges Amt.]