Portugiesische Rechtschreibreform umstritten: Tudo corre(c)to?

Flagge PortugalDie portugiesische Sprache verbreitete sich weltweit im 15. und 16. Jahrhundert, als Portugal sein Kolonialreich aufbaute, das zum großen Teil bis ins Jahr 1975 überdauerte und Brasilien, Teile Afrikas und Macao (bis 1999) in China umfasste. Daraus ergab sich, dass Portugiesisch heute die Amtssprache zahlreicher unabhängiger Staaten ist und zudem von vielen als Zweitsprache gelernt und gesprochen wird.

Portugiesisch ist alleinige Amtssprache in Angola, Brasilien, Mosambik, Portugal und São Tomé und Príncipe. Zusammen mit anderen Sprachen ist Portugiesisch Amtssprache in Osttimor (zusammen mit Tetum) und Macao (neben Chinesisch). Auf Kap Verde und in Guinea-Bissau ist es zwar Amtssprache, jedoch nicht die wichtigste Sprache. Eine wichtige Sprache, aber keine Amtssprache, ist Portugiesisch aufgrund der Zuwanderung von portugiesischen Arbeitskräften in Andorra und Luxemburg, Namibia und Südafrika. Weltweit verwenden über 200 Millionen Menschen Portugiesisch als ihre Muttersprache. Allein 190 Millionen Brasilianer sprechen und schreiben Portugiesisch.

Das Standard-Portugiesische aus Portugal ist in den früheren afrikanischen Kolonien die bevorzugte Aussprache. Deshalb kann man zwei Formen unterscheiden, nämlich die europäische und die brasilianische; wobei man gemeinhin vier große Standard-Aussprachen unterscheidet, nämlich jene von Coimbra, Lissabon, Rio de Janeiro und São Paulo, dies sind auch die einflussreichsten Ausspracheformen.

Hinsichtlich der Schriftsprache lassen sich zwei Varianten des Portugiesischen festhalten:

  • Europäisches und afrikanisches Portugiesisch
  • Brasilianisches Portugiesisch

Die Unterschiede zwischen diesen Varianten betreffen, besonders in der Umgangssprache, das Vokabular, die Aussprache und die Syntax. Ferner gibt es natürlich regional bedingt, zum Teil landesspezifische Ausdrücke (ônibus in Brasilien und autocarro in Portugal). Signifikantere Unterschiede bestehen in der Orthografie. In Wörtern, die cc, cç oder ct enthalten, wird in Brasilien das erste c weggelassen, bei Wörtern mit pc, pç oder pt entfällt das p. Diese Buchstaben werden nicht ausgesprochen, sondern stellen vielmehr Überbleibsel aus dem Latein dar, die man in Brasilien zumeist eliminiert hat. Des Weiteren gibt es einige Unterschiede in der Akzentuierung.

Die Rechtschreibreform aus dem Jahr 1990, die auf die Schaffung eines einheitlichen Rechtschreibstandards abzielt, umfasst insbesondere das oben erwähnte Weglassen der „stummen“ Konsonanten c und p auch im europäischen Portugiesisch sowie die Vereinheitlichung der Diakritik und Koordinierung der Übernahme von Lehnwörtern aus anderen Sprachen. Was den Umfang der Änderungen anbelangt, sollen 1,6 % des Wortschatzes im europäischen Portugiesisch und 0,5 % im brasilianischen Portugiesisch geändert werden. Ausgerüstet mit einer einheitlichen Schreibweise könnte das Portugiesische seine Rolle als bedeutende Weltsprache weiter ausbauen.

Nach einer Ratifizierung im Jahre 1994 sollte das Abkommen über die Rechtschreibreform in Kraft treten. Bislang wurde es aber lediglich von Brasilien, Portugal und Kap Verde unterzeichnet. Sie tritt allerdings erst dann in Kraft, wenn alle Mitglieder der CPLP (Gemeinschaft der Portugiesischsprachigen Länder) unterschrieben haben.

Der „Acordo Ortográfico“ ist in Brasilien bereits am 1. Januar 2009 in Kraft getreten; seine Übernahme ist auch in Portugal und den übrigen lusophonen Ländern im Gange. Im neuen Schuljahr 2011/2012 werden alle Schüler nach der neuen Rechtschreibreform unterrichtet. Nicht nur neu eingeschulte Kinder sondern das gesamte Schulsystem wird sich hiernach richten. Ab dem 1. Januar 2012 tritt die Rechtschreibreform offiziell im ganzen Lande in Kraft. Die endgültige Einführung soll bis 2014 stattgefunden haben. Dies bedeutet, dass bis zu dieser Frist sämtliche Handbücher, Software etc. vorschriftsgemäß angepasst werden müssen.

Vorteile erwarten Befürworter dieser Harmonisierung der Orthographie für die Entwicklung des Büchermarktes, insbesondere im Bereich der Schulbücher und Informatik. Ein weiterer Pluspunkt liegt darin, dass es nicht mehr notwendig sein wird, international relevante Dokumente und Verträge in zwei Versionen zu verfassen. Kaum Probleme mit dem Brasilianischen haben die meisten Durchschnittsportugiesen, denen der Dialekt aus unzähligen, auch auf portugiesischen Fernsehschirmen laufenden brasilianischen „Telenovelas“ vertraut ist. Auch mit dem Fußball, dem Samba und nicht zuletzt einer wachsenden Zahl von Auswanderern kommt die in Brasilien gesprochene Variante nach Europa. „Wir sind zwar die Väter der portugiesischen Sprache, aber nicht ihre Gebieter“, gab beispielsweise der christdemokratische Abgeordnete Nuno Melo angesichts der Reform zu.

Die Dichter und Denker des Landes stehen den Veränderungen jedoch skeptischer gegenüber. Sie befürchten eine „Brasilianisierung“ der Sprache. Nobelpreisträger José Saramago sagte 2008, er habe in seinem Alter keine Lust mehr, seine Rechtschreibung zu ändern: „Ich schreibe weiter wie bisher“, wird er in portugiesischen Zeitungen zitiert, „mit der Reform dürfen sich dann meine Korrekturleser beschäftigen“. Kritiker wenden ein, dass sich Saramagos Bücher trotz unterschiedlicher Schreibweisen gut in Brasilien verkauften. Das Bestehen der britischen und US-amerikanischen Schreibweise im angelsächsischen Raum sorge auch nicht für große Probleme. Darüber hinaus weisen Vertreter der Verlagsbranche auf die Kosten der Umstellung auf die neue Orthographie hin und halten es für wahrscheinlich, dass viele schon gedruckte Bücher bald nur noch Altpapierwert haben werden.

[Text: Jessica Antosik. Quelle: nzz.ch, 29.04.2008; sprachforschung.org, 20.05.2008; galiott.com, 16.09.2011; wikipedia.de. Bild: vege / Fotolia.de.]

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