Herta Müller: „In China ist Übersetzen wie Schuhe herstellen.“

In einem Gespräch mit tschechischen und deutschen Medien sprach die Nobelpreisträgerin Herta Müller (Bild rechts) über Freundschaft, die Bedeutung von Literatur und die Quellen ihrer Lebenskraft. Darüber hinaus gab sie ihre Meinung zu Übersetzungen kund und erzählte zudem vom Deutschen der Minderheit im Banat, Rumänischen und Hochdeutschen.

So antwortete sie in dem Interview auf die Frage, was sie von Übersetzungen ihrer Werke hält, Folgendes:

Ich bin oft gar nicht in der Lage, sie zu beurteilen. Die einzige Sprache, in der ich sie verifizieren kann, ist das Rumänische. Bei den anderen Übersetzungen kennt man meistens Leute, die man fragen kann, was sie davon halten. Oder man fragt nach einzelnen Punkten – wie das ein oder andere konkret gelöst wurde. Ich weiß von vielen Übersetzern, dass sie ihre Arbeit sehr gut machen, weil man mir das sagt – und das ist ein großes Glück. So wie hierzulande Radka Denemarková. Anders ist es beispielsweise in China: Ich habe gehört, die Übersetzungen sind zum Teil fatal schlecht. Übersetzen ist dort wie Schuhe herstellen, jedes Buch wurde von jemand anderem übersetzt – das Ästhetische interessiert gar nicht. Die wollten nach dem Nobelpreis dabei sein, haben bezahlt und in kürzester Zeit alles auf den Markt geworfen. In den arabischen Ländern bestand das Problem Homosexualität, das ein Thema in „Atemschaukel“ spielt. Sie haben es in der Übersetzung einfach ausgelassen, obwohl ich gesagt hatte, wenn es nicht drin bleibt, soll das Buch nicht übersetzt werden. Der Protagonist ist meinem Freund Oscar Pastior nachempfunden, der homosexuell war und darunter sehr zu leiden hatte, auch in Rumänien noch bis zum Fall von Ceausescu 1989. Für Homosexualität wurde man mit Gefängnis bestraft, man lebte in ständiger Angst. Das ist keine ästhetische Zierde, sondern ein existenzielles Problem dieser Person, darum war es für mich so wichtig, dieses Problem zu thematisieren.

Die Frage „Wie haben Sie im Laufe der Zeit verschiedene Sprachen erlebt – das Deutsch der Minderheit im Banat, Rumänisch und Hochdeutsch, wie man es in Ihrer jetzigen Heimat Berlin spricht?“ beantwortete sie wie folgt:

Meine erste Sprache, das Banat-Schwäbisch, war ein Dialekt des Deutschen. Mit dem Hochdeutsch hatte ich in der Schule zunächst große Schwierigkeiten. Außerdem war Deutsch ja quasi eine Privatsprache, die nur innerhalb des Hauses und Bekanntenkreises gesprochen wurde. Jenseits der Haustür sprach man Rumänisch. Es galt deshalb: lesen, lesen, lesen – damit man sich überhaupt dessen bewusst ist, dass Deutsch als Sprache existiert – ein korrektes Deutsch. Diese Gewissheit hatte man nicht immer. So wird man bei der Sprache aber auch zur Genauigkeit gezwungen: weil man sich über nichts ganz sicher ist. Es gab ja auch die ideologische Sprache: Das sozialistische Deutsch aus den Zeitungen, Radio- und Fernsehprogrammen für Minderheiten – so wusste man, welches Deutsch man nicht benutzen möchte. Durch viele Dinge im Leben habe ich kapiert, dass die Sprache – ob es einem bewusst ist oder nicht – ein politisches Gelände ist: Sie kann missbraucht werden, wie es im Nationalsozialismus und Stalinismus der Fall war. Wenn man sich da heraushalten will, muss man überlegen, was man sagen und schreiben will und was nicht – und wie man es formuliert. Bei Verhören musste man sich genau merken, was man gesagt hat – man musste kompetent lügen und auch wissen, wie Freunde gelogen hatten, um ihnen nicht zu widersprechen. Das waren Sprachübungen im schlechtesten Sinne des Wortes.

Das komplette Interview mit Herta Müller ist bei der Prager Zeitung abrufbar.

[Text: Jessica Antosik. Quelle: pragerzeitung.cz, 11.04.2012. Bild: Amrei-Marie, Lizenz CC-BY.]