Über Swetlana Geiers Maxime „Nase hoch beim Übersetzen“

Die berühmte Übersetzerin Swetlana Geier sagte immer: Ein Übersetzer darf nur das übersetzen, was er versteht. Das bedeutet also „Nase hoch beim Übersetzen“ und vom Text aufblicken. Als Übersetzer muss demnach immer das Ganze im Blick haben und sollte nicht zur sehr am Ausgangstext „kleben“.

Halten sie die beiden preisgekrönten Übersetzer Andreas Tretner und Dorothea Trottenberg beim Übersetzen aus dem Russischen ins Deutsche ebenfalls an diese Maxime? In einem Interview mit Russland HEUTE sprechen Tretner und Trottenberg über das Übersetzen.

Andreas Tretner (Bild rechts), geboren 1959 in Gera, ist in Bezug auf die Maxime von Swetlana Geier der Ansicht, dass der Grundgedanke der Maxime darin bestehe, nicht genau zu übersetzen, „sondern dass es um den Gedanken hinter dem Werk geht, der übersetzt werden soll, und erst in zweiter Linie um den exakten Wortlaut“.

Dorothea Trottenberg, geb. 1957 in Dortmund, erklärt, dass sie bereits versuche, relativ nah am Text zu bleiben. „Das hängt natürlich vom Material ab. Bei Tolstoi mit seinen langen Satzperioden versuche ich zum Beispiel, auch dieses Stilmittel beizubehalten und nicht alles in Einzelsätze zu unterteilen.“ Doch sie sagt auch, dass es eine Frage der Selbstdisziplin sei, das Werk nicht durch den eigenen Stil zu beeinflussen.

Auf die Frage, welche Übersetzungen den Übersetzern besonders leicht und welche besonders schwer fielen, antwortet Tretner: „Man kann nicht sagen, etwas wäre besonders leicht. […] Jedes Mal muss man eine andere Brille aufsetzen und andere Hilfsmittel verwenden – sich ganz einlassen auf den Text.“

Trottenberg (Bild rechts) ist sogar folgender Ansicht: „Ich denke, die Idealsituation ist sogar, dass man anfangs denkt, das ist das Schwerste, was mir je passieren wird, und es dann Schritt für Schritt leichter wird, je mehr man sich einarbeitet. Ein usbekischer Autor, den ich übersetzen sollte, hat so stark mit surrealistischen Bildern gearbeitet, dass ich ihn zunächst gar nicht verstanden habe. Übersetzen ist dann wie blindes Autofahren.“

Die russische Sprache kennzeichnet sich oftmals dadurch, wichtige Informationen „zwischen den Zeilen“ mitzuteilen. Dies stellt jedoch häufig Personen, die der russischen Sprache nicht mächtig sind und die Kultur nicht kennen, vor große Schwierigkeiten.

Tretner spricht in diesem Fall nicht von Informationen „zwischen den Zeilen“, denn das Russische erlaube einen vergleichbar reichen Ausdruck wie das Deutsche, „ohne dass man alle kulturellen Eigenheiten, Tabus und Wendungen kennen muss“.

Die Frage, welche Dinge Trottenberg als unübersetzbar erachtet und wie sie in solchen Situationen vorgeht, beantwortet sie so: Die russische Sprache sei oftmals sehr elliptisch und sie befinde sich immer mal wieder in der Versuchung, den unausgesprochenen Kontext auszuformulieren. „Aber das Wort ‚unübersetzbar‘ trifft es nicht. Es geht zwar immer etwas verloren, aber ich konzentriere mich lieber darauf, was ich übersetzen kann, statt auf das, was dabei verloren geht.“

[Text: Jessica Antosik. Quelle: russland-heute.de, 15.10.2012. Bilder: uni-tuebingen.de.]