Ist es um das Latein in der Schweiz schlecht bestellt?

Latein ist im Krebsgang. Während 1998 noch 50 Prozent aller Schüler an Züricher Gymnasien das altsprachliche Profil wählten, entschied sich im aktuellen Schuljahr nur ein Viertel der Schüler für die „tote Sprache“, wie sie oft genannt wird.

Seit dem Wintersemester 2012/13 sind Lateinkenntnisse nun auch keine Voraussetzung mehr, um an der Universität Basel ein Geschichts-, Kunstgeschichts- oder Musikstudium aufzunehmen. Damals waren Kenntnisse der lateinischen Sprache noch Bedingung für ein Medizinstudium in der Schweiz. Im Laufe der Jahre wurde der altsprachliche Schwerpunkt jedoch oftmals an den Rand gedrängt. Die Mittelschulen boten nämlich ein breiteres Spektrum von Typen und später von Profilen an. Dementsprechend bauten auch die Universitäten die Latein-Hürde sukzessive ab oder verzichteten komplett darauf.

In der Neuen Zürcher Zeitung heißt es:

Nach einer Übersicht des Altphilologenverbands und neueren Informationen aus den Universitäten ist die Erosion des Lateinobligatoriums schon weit vorangeschritten (mit Ausnahme der Theologie und der auf die Antike konzentrierten Studienprogramme).

In der Westschweiz gilt das Erfordernis noch für Romanistik-Programme sowie für Geschichte. Bern verlangt einen Latein-Nachweis lediglich für ein Masterstudium in Geschichte. In Luzern sind gar keine Lateinkenntnisse mehr notwendig.

Auch in Zürich wird über einen solchen Verzicht für einzelne Fächer diskutiert. Zwar werden dort immer noch in zahlreichen Studiengängen Lateinkenntnisse verlangt. Allerdings liegen der zuständigen Fakultät Anträge des Philosophischen und des Englischen Seminars sowie der Mittelalter-Archäologen vor, in diesen Bereichen auf das Latein-Erfordernis zu verzichten.

Es gibt viele Argumente für und gegen Lateinkenntnisse. Sicherlich kann das Lateinobligatorium ein Nachteil für Universitäten sein, wenn sie Studierende oder Doktoranden aus dem Ausland gewinnen möchten, die keinen Lateinnachweis haben. Des Weiteren stehen die Kurse an der Universität, um die fehlenden Lateinkenntnisse nachzuholen, in der Kritik, da in kürzester Zeit nur rudimentäres Wissen vermittelt werden kann.

Der Präsident der Rektorenkonferenz, Antonio Loprieno, äußert sich zu der „kulturpolitisch spannenden“ Frage nur im persönlichen Namen. Der Ägyptologe bestreitet die Gefahr des Traditionsverlustes nicht, wendet sich aber gegen ein starres Verständnis von Bildung. Es gelte immer, sich für Neues zu öffnen.

Theo Wirth, der unter anderem von 1983 bis 2002 als Lehrbeauftragter für Fachdidaktik der alten Sprachen an der Universität Zürich tätig war, ist der Ansicht, dass die Abschaffung des Lateinobligatoriums für bestimmte Fächer an Schweizer Universitäten den Studierenden nicht nütze, sondern schade – insbesondere im Hinblick auf die studentische Mobilität. Vor allem an Universitäten in Deutschland genieße Latein einen hohen Stellenwert und sei für viele Fächer vorgeschrieben.

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10.05.2012: Latein muss sein: Ein Plädoyer für Latein als Schulfach

[Text: Jessica Antosik. Quelle: nzz.ch, 1.10.2012. Bild: aewolf, Lizenz: CC-BY.]