Grundschulverband will Schreibschrift durch Druckschrift ersetzen – Es regt sich Widerstand

Die Grafikerin Renate Tost entwickelte in den 1960er-Jahren zusammen mit der Diplompädagogin Elisabeth Kaestner die Grundlagen für die „Schulausgangsschrift“ (SAS). Diese Schreibschrift wurde im Jahre 1968 in den allgemeinbildenden polytechnischen Oberschulen der DDR vom Ministerium für Volksbildung eingeführt. Noch heute wird die SAS in acht deutschen Bundesländern unterrichtet.

Allerdings plant der Grundschulverband, die Schreibschrift durch eine Druckschrift, die sog. Grundschrift, zu ersetzen. Das Motto der Initiative des Grundschulverbandes, die im Mai 2010 ins Leben gerufen wurde, lautet: „Grundschrift: Damit Kinder besser schreiben lernen“. Ausgangspunkt sei die Überzeugung, dass Kinder und Jugendlich auch im Computerzeitalter eine gut lesbare, leicht und flüssig schreibbare Schrift benötigen. Im August 2011 haben wir bereits einen ausführlichen Artikel unter dem Titel „Grundschrift statt Schreibschrift“ über die Charakteristika der „Grundschrift“ veröffentlicht. In den Ländern Berlin, Sachsen, Sachsen-Anhalt und im Saarland ist die SAS die verbindliche Erstschreibschrift. In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen kann zwischen der SAS und der Vereinfachten Ausgangsschrift (VA) gewählt werden. In zahlreichen Grundschulen in ganz Deutschland wird die „Grundschrift“ allerdings bereits erprobt. In Hamburg ist es den Schulen sogar freigestellt, zur „Grundschrift“ zu wechseln. Bayern erwägt ebenso den Verzicht auf den Schreibschriftunterricht ab dem Schuljahr 2014/15.

In der aktuellen Herbstausgabe der Deutschen Sprachwelt kritisiert Renate Tost die „Grundschrift“ scharf. Sie vertritt die Ansicht, dass die sogenannte Grundschrift ein „untauglicher Versuch“ sei, die angestauten Probleme des herkömmlichen Schreibunterrichts zu lösen. „Statt sich die Spezifik der Schreibschrift für die Fachdidaktik zu erschließen und geeignete Schlussfolgerungen für effektive Handlungsbedingungen im Unterricht abzuleiten, wird dilettantisch an der Schrift herumgebastelt“, so Tost. Sie sagt, das Grundschriftalphabet sei „schäbig“. Eine derartige Vorgehensweise führe dazu, die Schüler auf ihrem Anfangsniveau festzunageln.

Ferner stellt sich Renate Tost die Frage: „Wo soll der Schwung herkommen, wenn die Buchstaben im „Stop-and-Go-Verfahren“ nebeneinandergestellt oder zusammengelötet werden?“ Sie sagt, dass es darauf ankomme, „die Figuren der Buchstaben gestalterisch aufeinander zu beziehen und sie einem einheitlichen Stilprinzip/Formkanon zu unterwerfen“. Mit der „Grundschrift“ werde es dem Schüler überlassen, Verbindungen zwischen den Buchstaben herzustellen. „Verbindungen müssen von Anfang an sorgfältig eingeübt, automatisiert und im Bewegungsgedächtnis gespeichert werden. Nur so können diese automatisch abgerufen werden, wenn es darum geht, die Aufmerksamkeit auf Orthographie und Textproduktion zu lenken“, erklärt Tost.

Im Rahmen der Aktion „Rettet die Schreibschrift“ hat die Deutsche Sprachwelt bereits etwa 11.000 Unterschriften gesammelt. Nach Auffassung des Chefredakteurs Thomas Paulwitz darf auf die Schreibschrift als Kulturgut nicht verzichtet werden: „Der Schreibschriftunterricht schult die Motorik, das Denken und das ästhetische Empfinden der Kinder.“

Das vollständige Gespräch mit Renate Tost:
www.deutsche-sprachwelt.de/archiv/papier/2012_DSW49_Tost_Grundschrift.pdf

[Text: Jessica Antosik. Quelle: deutschesprachwelt.de, 24.10.2012; grundschulverband.de. Bild: Renate Tost, Lizenz: PD.]

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