Bundesverfassungsgericht: Literaturübersetzer dürfen „Angemessenheit“ der Honorare gerichtlich prüfen lassen

Bundesverfassungsgericht, 1. Senat
Der mit dem Literaturübersetzer-Fall befasste 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts. An der Entscheidung beteiligt waren (von links nach rechts) die Richter Prof. Dr. Masing, Prof. Dr. Gaier, Prof. Dr. Britz, Vizepäsident Prof. Dr. Kirchhof, Schluckebier, Prof. Dr. Baer, Prof. Dr. Paulus, Prof. Dr. Eichberger. - Bild: BVerfG

Literaturübersetzer dürfen nach § 32 des Urheberrechtsgesetzes gerichtlich prüfen lassen, ob ihre mit Verlagen vertraglich vereinbarten Honorare „angemessen“ sind. Wird festgestellt, dass dies nicht der Fall ist, haben sie Anspruch auf einen finanziellen Nachschlag. Diese 2002 in Kraft getretene Neuregelung des Urheberrechtsgesetzes verstößt nicht gegen die grundgesetzlich garantierte Privatautonomie und Berufsausübungsfreiheit der Verlage.

Mit dieser Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht am 23.10.2013 eine vom Hanser-Verlag eingelegte und finanziell und personell vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels unterstützte Verfassungsbeschwerde abgewiesen, die sich gegen zwei Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) richtete.

Der BGH hatte 2011 den Übersetzern Friedrich Griese, der im Juli 2012 verstorben ist, und Werner Richter einen Nachschlag in vier- bzw. fünfstelliger Höhe für die Übersetzung der Titel „Destructive Emotions – Dialog mit dem Dalai Lama“ und „Drop City“ von T. C. Boyle zugesprochen (Aktenzeichen 1 BvR 1842-1843/11). Das ursprünglich vereinbarte Seitenhonorar von 18,50 bzw. 19,00 Euro sei in diesen Fällen nicht angemessen gewesen.

Der Hanser Verlag fürchtete über diese Einzelfälle hinausgehend rückwirkende „horrende“ finanzielle Nachforderungen seiner Übersetzer bis in den „siebenstelligen Bereich“ und hatte deshalb Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Das Bundesverfassungsgericht erklärt in einer am 28.11.2013 veröffentlichten Pressemitteilung:

Erfolglose Verfassungsbeschwerden gegen den Anspruch auf Vergütungsanpassung im Urheberrecht

Mit einem heute veröffentlichten Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts zwei Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Angemessenheit von Übersetzerhonoraren im Verlagswesen zurückgewiesen. Weder die angegriffenen Entscheidungen noch die maßgeblichen Vorschriften des Urheberrechts verstoßen demnach gegen die Verfassung. Um sozialen oder wirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenzuwirken, darf der Gesetzgeber die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen einzelvertraglich zu vereinbaren, durch zwingendes Gesetzesrecht begrenzen. Eine urheberrechtliche Regelung, die einen Anspruch auf gerichtliche Kontrolle der Angemessenheit vertraglich vereinbarter Vergütungen für die Werknutzung gewährt, ist daher mit dem Grundgesetz vereinbar.

Sachverhalt und Verfahrensgang:

1. Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen eine im Jahr 2002 novellierte Regelung im Urheberrechtsgesetz sowie gegen zwei darauf beruhende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Angemessenheit von Übersetzerhonoraren im Verlagswesen. Die Beschwerdeführerin ist ein Hardcover-Verlag.

2. § 32 Urheberrechtsgesetz (UrhG) gibt Urhebern die Möglichkeit, Verträge über die Einräumung von Nutzungsrechten und die Erlaubnis zur Werknutzung gerichtlich auf die Angemessenheit der vereinbarten Vergütung überprüfen zu lassen. Soweit die vereinbarte Vergütung nicht angemessen ist, kann der Urheber von seinem Vertragspartner die Einwilligung in die Änderung des Vertrages verlangen, so dass dem Urheber die angemessene Vergütung gewährt wird. Diese Regelung trat zum 1. Juli 2002 in Kraft. § 132 Abs. 3 Satz 3 UrhG bestimmte ergänzend, dass die Regelung auch auf Verträge anwendbar ist, die seit dem 1. Juni 2001 und bis zum 30. Juni 2002 geschlossen worden sind, sofern von dem eingeräumten Recht oder der Erlaubnis nach dem 30. Juni 2002 Gebrauch gemacht wird.

Mit der Neuregelung verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, die Rechtsstellung der Urheber als regelmäßig schwächerer Partei gegenüber den Verwertungsunternehmen zu stärken. Das Urheberrecht beruhe auf dem Grundgedanken, Urheber angemessen an dem wirtschaftlichen Nutzen ihrer Arbeit und ihrer Werke zu beteiligen. Dieser Gedanke sei zum Teil umgesetzt, nicht aber dort, wo freiberuflichen Urhebern, etwa literarischen Übersetzern, strukturell überlegene Verwerter gegenüber stünden.

3. Der Kläger des Ausgangsverfahrens 1 BvR 1843/11 übersetzte aufgrund eines Vertrags mit der Beschwerdeführerin das Sachbuch „Destructive Emotions – Dialog mit dem Dalai Lama“. Die Vereinbarung umfasste ein Seitenhonorar von 19 € pro Normseite, ein prozentuales Absatzhonorar bei Verkauf von mehr als 15.000 Exemplaren und eine Beteiligung an Lizenzerlösen aus der Verwertung von Nebenrechten. Die Beschwerdeführerin bezahlte rund 13.500 € an den Kläger. Dessen Klage auf Vertragsanpassung blieb vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht erfolglos. Der Bundesgerichtshof hob diese Urteile teilweise auf und verurteilte die Beschwerdeführerin dazu, in eine Anhebung der Absatz- und Nebenrechtsbeteiligung einzuwilligen, Auskunft zu erteilen und 6.841,22 € nachzuzahlen (Urteil vom 20. Januar 2011 – I ZR 19/09 -).

4. Der Kläger im Ausgangsverfahren 1 BvR 1842/11 übersetzte aufgrund eines Vertrags mit der Beschwerdeführerin vom Februar/März 2002 den Roman „Drop City“ von T. C. Boyle. Vereinbart wurden ein Seitenhonorar von 18,50 € pro Normseite, ein prozentuales Absatzhonorar bei Verkauf von mehr als 20.000 Exemplaren und eine Beteiligung an Lizenzerlösen. Der Kläger erhielt rund 18.000 Euro von der Beschwerdeführerin. Auch in diesem Verfahren hob der Bundesgerichtshof klagabweisende Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts teilweise auf (Urteil vom 20. Januar 2011 – I ZR 20/09 -). Er verurteilte die Beschwerdeführerin, in eine Anhebung der Absatz- und Nebenrechtsbeteiligung einzuwilligen, Auskunft zu erteilen und 13.073,04 € nachzuzahlen.

Wesentliche Erwägungen des Senats:

1. § 32 UrhG ist mit der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) vereinbar.

a) Dieses Grundrecht umschließt auch die Freiheit, das Entgelt für berufliche Leistungen verbindlich auszuhandeln. Der Gesetzgeber darf diese Freiheit durch zwingendes Gesetzesrecht begrenzen, um sozialen oder wirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenzuwirken. Dabei hat er die kollidierenden Grundrechtspositionen zu erfassen und – unter Berücksichtigung des sozialstaatlichen Auftrags – nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden.

Für die Herstellung eines solchen Ausgleichs verfügt der Gesetzgeber über einen weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum. Die Einschätzung der für die Konfliktlage maßgeblichen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen liegt in seiner politischen Verantwortung, ebenso die Vorausschau auf die künftige Entwicklung und die Wirkungen seiner Regelung.

b) Der Gesetzgeber ist in nachvollziehbarer Weise davon ausgegangen, dass die angemessene Beteiligung der Urheber am wirtschaftlichen Nutzen ihrer Arbeit und Werke nur teilweise gewährleistet ist. § 32 UrhG soll insbesondere Urhebern mit schwacher Verhandlungsposition und niedrigen Einkommen helfen, ihr Urheberrecht auch wirtschaftlich zu realisieren. Die Regelung der gerichtlichen Angemessenheitsprüfung von Urhebervergütungen bringt die Grundrechte der Betroffenen zu einem angemessenen Ausgleich. Grundgedanke des Urheberrechts ist die angemessene Beteiligung der Urheber am wirtschaftlichen Nutzen ihrer Werke, was im Beteiligungsgrundsatz des § 11 Satz 2 UrhG gesetzlich geregelt ist. Der Anspruch des Urhebers auf eine angemessene Vergütung ist auch Gegenstand völker- und europarechtlicher Gewährleistungen.

Allerdings wird die Berufsausübungsfreiheit der Verwerter durch die Regelung nicht unerheblich beeinträchtigt. Die Freiheit, den Inhalt der Vergütungsvereinbarungen mit Urhebern aushandeln zu können, ist ein wesentlicher Bestandteil ihrer Berufsausübung. Zugleich gehört die Vereinbarung des geschuldeten Preises für eine Leistung zum Kern der Privatautonomie und wird in der Regel dem Marktmechanismus überlassen. Zudem wird die Funktion eines Vertrags, für beide Seiten Rechts- und Planungssicherheit zu schaffen, durch § 32 UrhG geschmälert.

Jedoch steht die Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit der Verwerter bei einer Gesamtbetrachtung nicht außer Verhältnis zu dem Schutz des Interesses der Urheber an einer angemessenen Beteiligung am wirtschaftlichen Nutzen ihrer Werke. § 32 UrhG nimmt den Verwertern nicht jeglichen Verhandlungsspielraum hinsichtlich Höhe und Modalitäten der Urhebervergütung, sondern schließt lediglich die Vereinbarung einer unangemessen niedrigen Vergütung aus. Die Vorschrift fordert insofern eine umfassende Berücksichtigung aller relevanten Umstände. Ein verfahrensrechtlicher Schutz gegen unberechtigte Änderungsverlangen wird dadurch bewirkt, dass es dem Urheber obliegt, die Voraussetzungen des Anspruchs auf eine Korrektur des Vertrags darzulegen und zu beweisen. Den Interessen der Verwerter trägt auch Rechnung, dass sie mit den Urhebern gemeinsame Vergütungsregeln im Sinne von § 36 UrhG aufstellen können, deren Angemessenheit in gerichtlichen Verfahren unwiderleglich vermutet wird. Der Gesetzgeber durfte typisierend auf das von ihm angenommene strukturelle Ungleichgewicht zwischen Urhebern und Verwertern reagieren und war nicht gehalten, auch eine zugunsten der Verwerter anwendbare Preiskontrolle vorzusehen.

2. Soweit die Übergangsregelung des § 132 Abs. 3 Satz 3 UrhG anordnet, dass § 32 UrhG auch auf Verträge anwendbar ist, die vor Inkrafttreten der Neuregelung geschlossen wurden, verstößt dies nicht gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot aus Art. 20 Abs. 3 GG. Durch die Rückwirkung wollte der Gesetzgeber verhindern, dass Werke, bei denen nach bereits geschlossenen Verträgen keine zusätzliche Vergütung zu zahlen wäre, mit jenen in Konkurrenz treten, deren Nutzungsrechte nach der Neuregelung übertragen wurden. Dies genügt zur Rechtfertigung der Rückwirkung der Neuregelung über den kurzen Zeitraum von 13 Monaten.

3. Die Bestimmung der angemessenen Vergütung durch den Bundesgerichtshof verletzt die Beschwerdeführerin nicht durch objektiv willkürliche Rechtsanwendung in ihrem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Das gilt insbesondere auch für die Anknüpfung der Beteiligung des Übersetzers an den Erlösen aus der Nebenrechtsvergabe an den Anteil des ausländischen Autors („Autorenanteil“). Es wird Aufgabe der Fachgerichte sein, den Umfang des Autorenanteils unter Berücksichtigung der Anhörungsrügebeschlüsse des Bundesgerichtshofs insbesondere hinsichtlich der Anteile von einbezogenen Agenten und des ausländischen Verlags näher zu bestimmen.

Übersetzerverbände begrüßen die Entscheidung

„Das Gericht hatte sich vom Verband der Literaturübersetzer VdÜ und vom BDÜ beraten lassen und ist der Rechtsmeinung der Verbände gefolgt“, schreibt der BDÜ auf seiner Website.

Hinrich Schmidt-Henkel, der 1. Vorsitzende des VdÜ, erklärt:

Diese Entscheidung begrüßen wir grundsätzlich und lassen sie natürlich noch fachjuristisch auswerten. Im Übrigen gehen wir davon aus, dass unsere Vergütungsverhandlungen, die von den beteiligten Verlagen bis nach Vorliegen dieser Entscheidung ausgesetzt wurden, nun bald fortgesetzt werden. Das ist der richtige und sinnvollste Weg, die Belange beider Seiten in Einklang zu bringen.

Börsenverein ist „enttäuscht“ – Übersetzungsprojekte werden schwerer kalkulierbar

Der Justiziar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Christian Sprang, äußerte im Börsenblatt seine Enttäuschung über das Urteil. Gerade kulturell wichtige Projekte, die mit einem hohen Marktrisiko einhergingen, seien künftig noch schwerer kalkulierbar. „Darunter werden vor allem Urheber und Übersetzer zu leiden haben“, so Sprang.

Beisler & Struppler vertraten die Übersetzerseite

Die beiden Übersetzer hatten sich wie in den Vorinstanzen von den Anwälten Victor Struppler und Peter Beisler von der Münchner Kanzlei Beisler & Struppler vertreten lassen, vor dem BGH agierte Götz Jordan von Jordan & Hall, Karlsruhe.

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Richard Schneider