Gerichtsdolmetscherin ermittelt auf eigene Faust – Wegen Befangenheit entlassen

Tatort, Silhouette
Bild: Clker / Pixabay

Mit detektivischem Spürsinn à la Miss Marple hat eine Serbisch-Dolmetscherin zu den Hintergründen eines Mordfalles recherchiert, für den sie vom Wuppertaler Landgericht als Dolmetscherin geladen war.

Dabei stieß sie im Internet auf einen 18 Jahre alten ausländischen Zeitungsartikel, dessen Inhalt den Mordangeklagten schwer belastet.

Eine serbische Zeitung hatte 1996, zwei Jahre nach der Tat, über eine Frau berichtet, die im Streit von ihrem Untermieter getötet worden war. Sie nannte den Namen des heutigen Angeklagten, Milan S., und beschrieb, dass dessen Eltern ihn drängten, sich den Behörden zu stellen, was dieser auch tat. Die Eltern erklärten damals laut Zeitungsbericht, Ihr Sohn leide seit dem jugoslawischen Bürgerkrieg unter Depressionen.

Das Fundstück ist deshalb von Bedeutung, weil es einem Bericht über ein damaliges Geständnis gleichkommt.

Dabei drohte der erst vor Kurzem aufgenommene Prozess bereits im Sande zu verlaufen, weil die geladen Zeugen, fünf Kriminalpolizisten, sich 20 Jahre nach der Tat an den Fall nicht mehr erinnern können. Es liegen lediglich ihre damals zu Protokoll genommenen Aussagen vor. Eine weitere Zeugin ist bereits verstorben.

Der Angeklagte und seine Eltern machen von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und schweigen zu den Vorwürfen.

Die Rheinische Post schreibt dazu:

Der Vorsitzende Richter, der Staatsanwalt und nicht zuletzt der Verteidiger waren am Freitag angesichts der eigenmächtigen Ermittlungen der Übersetzerin zunächst völlig ratlos und mussten die Sitzung unterbrechen.

Anschließend ermahnte der Vorsitzende Richter die Dolmetscherin eindringlich und erklärte, sie sei mit ihrer Eigeninitiative ganz eindeutig über das Ziel hinausgeschossen und habe ihren eigentlichen Auftrag aus den Augen verloren. „Das ist eine neue und so noch nicht aufgetretene Situation“, stellte der Vorsitzende Richter fest.

Der Verteidiger von Milan S. betonte, dass er die Übersetzerin nun natürlich kaum noch mit zu einer Unterredung mit seinem Mandanten nehmen könne, die Dolmetscherin sei befangen.

Die Verteidigung stellte zwar keinen formellen Befangenheitsantrag, schlug aber vor, einen anderen Dolmetscher zu bestellen. Das Gericht folgte diesem Vorschlag.

Der mutmaßliche Tathergang: Nach Nachbarschaftsstreit erwürgt

Milan S. (heute 39, zur Tatzeit 19) wohnte 1994 gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder in einem Haus in Mettmann bei Düsseldorf, in dem auch die 81-jährige Rentnerin untergebracht war. Die Ermittlungen ergaben damals, dass es zwischen der alten Frau und dem jungen Mann wiederholt Streit gab, weil der Angeklagte zu laut Musik hörte, einen Kellerraum der Frau in Beschlag genommen hatte und sich ihr gegenüber ungebührlich benahm.

In der Tatnacht soll er die Rentnerin nach einem weiteren heftigen Streit im Treppenhaus erwürgt und die Leiche in einer ans Haus angrenzenden Scheune versteckt haben, wo sie erst drei Tage später gefunden wurde.

Rechtsmediziner hatten bei der Leiche „gewaltsame Einwirkungen auf Hals- und Gesichtsbereich“ festgestellt, die „nicht von einem Sturz herrühren können, sondern gewaltsam von einem Dritten hinzugefügt worden sind“. Aus der Wohnung des Opfers wurde nichts gestohlen.

Gegen Milan S. war damals zwar Haftbefehl erlassen worden, aber er setzte sich in seine Heimat auf den Balkan ab. Auslieferungsgesuche der deutschen Polizei blieben zwei Jahrzehnte lang erfolglos. Erst im März 2013 wurde er in Serbien festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert.

[Text: Richard Schneider. Quelle: Rheinische Post, 2014-02-17, 2014-02-17, 2014-03-14.]

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