Wiener Neustadt: Platzt Prozess gegen Menschenschlepper wegen unqualifizierter Dolmetscher?

JustitiaVon einer „kuriosen Wende“ in einem Prozess gegen Menschenschlepper in der niederösterreichischen Stadt Wiener Neustadt berichtet die Website heute.at: „Ursprünglich war für Dienstag bereits das Urteil geplant gewesen. Stattdessen wurden die Polizei-Dolmetscher in den Zeugenstand gerufen, wo sich offenbarte, dass ihnen die Qualifikation für die Übersetzung der abgehörten Telefongespräche fehlt.“

Die Polizei hatte rund 10.000 Telefonate der aus Afghanistan, Indien und Pakistan stammenden Angeklagten mitgeschnitten und von Dolmetschern übersetzen lassen. (Vermutlich geht es um die im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet gesprochene Sprache Paschtu.)

Verteidigung kritisiert Dolmetscher, um Beweiskraft zu schwächen

Im Lauf des Verfahrens hatte die Verteidigung dann Übersetzungsfehler zum Anlass genommen, die Qualifikation und Arbeitsweise der Dolmetscher insgesamt zu hinterfragen. So sollte die Beweiskraft der Übersetzungen geschwächt werden.

Diese Taktik erfreut sich bei Anwälten großer Beliebtheit. Und sie hat bei tatsächlich vorliegender mangelnder Qualifikation der Dolmetscher stets gute Aussichten auf Erfolg. So auch in diesem Fall:

  • Ein Dolmetscher räumte ein, hin und wieder eigenmächtig Einfügungen und Interpretationen vorgenommen zu haben.
  • „Eine Dolmetscherin musste eingestehen, dass sie über keine Dolmetsch- bzw. Übersetzer-Ausbildung verfügt“, heißt es in dem Artikel vorwurfsvoll. Allerdings gibt es weltweit kein einziges Ausbildungsinstitut für die in Afghanistan am häufigsten gesprochenen Sprachen Paschtu und Dari.
  • „Ihr ebenfalls eingesetzter Bruder konnte eine Rechtsbelehrung, wie er sie jedem der Angeklagten im Vorverfahren hätte erteilen müssen, nicht in deren Sprache bzw. Dialekte übersetzen“, so der Artikel weiter. Dies deutet auf mangelnde juristische Sachkunde hin.

Staatsanwältin: „Natürlich haben sie Probleme beim Übersetzen“

Die mangelnde Professionalität der Sprachmittler war so offensichtlich, dass man deren Berufung in den Zeugenstand nicht als durchsichtige Taktik der Menschenschlepper-Anwälte beiseite wischenkonnte. Im Artikel heißt es:

Bei der Zeugenbefragung kamen am Dienstag sogar der Staatsanwältin Zweifel an der Qualifikation der Übersetzer: „Natürlich haben sie Probleme beim Übersetzen“, sagte sie dem aus Afghanistan stammenden Mann auf den Kopf zu. Die Verteidigung nahm ihn ordentlich in die Mangel und man erfuhr: Mit dem Rechtsgrundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ wusste der Übersetzer nichts anzufangen. Wie er zu seinem Job als vielfach eingesetzter Dolmetscher in dem Ermittlungsverfahren gekommen war, konnte er auch nicht wirklich erklären.

Dolmetschermangel bei „exotischen“ Sprachen

Das grundsätzliche Problem bei im deutschen Sprachraum selten gebrauchten Sprachen wie Paschtu besteht darin, dass es nur sehr wenige Berufsdolmetscher und -übersetzer gibt. Der mit 600 Mitgliedern größte österreichiche Übersetzerverband Universitas Austria hat keinen einzigen in seinen Reihen. Und auch beim 7.700 Mitglieder starken BDÜ in Deutschland finden sich lediglich sechs Sprachmittler für Paschtu.

Justiz und Polizei sind deshalb oft gezwungen, halbwegs Sprachkundige heranzuziehen, die den Anforderungen hinsichtlich Sprachkenntnis, Dolmetscherfahrung, Sachkenntnis und Allgemeinbildung eigentlich nicht genügen.

[Text: Richard Schneider. Quelle: heute.at, 2014-05-06. Bild: Richard Schneider.]