Parteipolitik statt Verbandspolitik? BDÜ ruft zur Unterzeichnung einer Anti-PEGIDA-Petition auf

BDÜ PEGIDA
Der BDÜ-Aufruf auf Twitter, der zweimal wiederholt wurde.

Der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) wirft der PEGIDA-Bewegung einen „Frontalangriff auf unsere Berufe“ und außerdem „auch auf die Grundrechte unserer Gesellschaft“ vor. Deshalb hat er zur Unterzeichnung einer gegen PEGIDA gerichteten Online-Petition aufgerufen.

Die Aktion rief in den Online-Foren der Branche ein geteiltes Echo hervor. Kritiker können in ihr keinen Bezug zur Berufsgruppe der Übersetzer und Dolmetscher erkennen und sehen darin eine Abkehr von der jahrzehntelang selbstverständlichen politischen Neutralität und Überparteilichkeit des Berufsverbandes.

Was ist passiert?

Am 05. und 06.01.2015 verbreitete BDÜ-Präsident André Lindemann im Namen des BDÜ mehrfach über Twitter sowie auf Facebook und in den Xing-Foren „BDÜ“ und „Übersetzer-Lounge“ folgenden Aufruf:

BDÜ bittet um Zeichnung der Petition „Für ein buntes Deutschland – eine Million Unterschriften gegen Pegida!“ Der Umgang mit anderen Kulturen ist für Dolmetscher und Übersetzer eine Selbstverständlichkeit. Versuche wie „Pegida“, die Vielfalt unserer Gesellschaft einzuschränken, sind ein Frontalangriff nicht nur auf unsere Berufe, sondern auch auch die Grundrechte unserer Gesellschaft. [Link zur Petitionsseite]

BDÜ PEGIDA
Der auf der Facebook-Seite des BDÜ verbreitete Aufruf.

Beifall auf Facebook

Auf Facebook erhielt die Aktion 66 Mal ein „Daumen hoch“-Symbol (Stand 08.01.2015) und wurde mit Kommentaren wie „Richtig und gut.“, „Danke für die Aktion!“ oder „Ich bin ein bisschen stolz und freue mich, dass mein Verband klar Position bezieht.“ bedacht.

Heftige Kritik auf Xing

Im BDÜ-eigenen Forum auf Xing stieß der Aufruf auf Unverständnis und wurde von sieben Teilnehmern mit ausführlichen Begründungen missbilligt. Befürworter meldeten sich dort zunächst nicht zu Wort. Einige Auszüge:

  • „Hat das wirklich zwingend mit Übersetzern und Dolmetschern zu tun?“
  • „Ich bin generell gegen solche politisch motivierten Aufrufe in Gruppen, die sich mit dem Berufsstand beschäftigen sollen. Das jetzt mal unabhängig vom Thema Pegida. […] der Zusammenhang [mit Dolmetschern und Übersetzern] erschließt sich mir leider auch nicht wirklich.“
  • „Abgesehen davon, dass ich es für falsch halte, dass sich der BDÜ in dieser Frage positioniert, halte ich es für fragwürdig, dass dieser Aufruf öffentlich, d.h. auch für Nichtmitglieder sichtbar, erfolgt. […] Es heißt ja immerhin: „BDÜ ruft zur Mitzeichnung der Petition gegen Pegida auf“. Ich bin es nicht. Wenn es der Vorstand ist, dann sollte das auch entsprechend kommuniziert werden, denn es ist und bleibt eine politische Frage. […] Ob ich für oder gegen Pegida bin, möchte ich aber immer noch selbst entscheiden.“

Gibt der zu politischer Neutralität verpflichtete Berufsverband seine Überparteilichkeit auf?

Auch Uepo-Herausgeber Richard Schneider, früher selbst BDÜ-Mitglied und Mitbegründer der ATICOM, war irritiert und fragte sicherheitshalber innerhalb des Forums nach:

Gibt es tatsächlich einen offiziellen Beschluss des BDÜ, die Angehörigen der Berufsgruppe aufzurufen, diese „Petition“ zu unterzeichnen? Falls ja: Wann wurde dieser von welchem Gremium getroffen?

 

Und wird dies tatsächlich mit den Worten „Frontalangriff nicht nur auf unsere Berufe, sondern auch auf die Grundrechte unserer Gesellschaft“ begründet?

 

Es wäre nach meinem Kenntnisstand ein Novum in der Verbandsgeschichte nach 1945 bzw. 1989, dass ein zu politischer Neutralität verpflichteter Berufsverband unserer Branche seine Überparteilichkeit aufgibt und sich ein allgemeinpolitisches Mandat zubilligt.

Darauf antwortete BDÜ-Präsident André Lindemann:

Über den Aufruf hat der Bundesvorstand gestern [05.01.2015] abgestimmt.

 

Der Verband gibt mit diesem Aufruf seine parteipolitische Neutralität nicht auf, er kommt seiner satzungsgemäßen Verpflichtung zur Vertretung der berufsständischen Interessen von Dolmetschern, Übersetzern und Gebärdensprachdolmetschern nach.

 

Dazu gehört nach unserer Auffassung die entsprechende Einflussnahme auf die politische Situation genauso wie die Durchsetzung verbandspolitischer Forderungen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Mitglieder. Diese beschränken sich jedoch nicht auf die Vergütung der von ihnen angebotenen Leistungen, sondern sollen auch ein (politisches) Klima schaffen, in welchem die Nachfrage nach solchen Leistungen sich positiv entwickelt.

 

Es mag ein Novum in der Geschichte der Berufsverbände der Branche sein, wir können uns aber nicht ewig verstecken und jeglicher politischen Stellungnahme entziehen. (Verbands-)Politische Arbeit braucht und ist Auseinandersetzung – das Wissen um diese Erkenntnis zwingt uns dazu, unsere Überzeugungen und Entscheidungen immer wieder zu überprüfen und auch dann dafür einzustehen, wenn uns der Wind mal entgegenbläst.

BDÜ PEGIDA
Der Aufruf in der „Übersetzer-Lounge“ des sozialen Netzwerks Xing.

Verbandsaktivitäten auf berufliche Belange der Übersetzer und Dolmetscher beschränken

Darauf erwiderte Richard Schneider:

Als Übersetzer kommt man mit allen Bereichen des menschlichen Lebens in Berührung – auch mit der Politik und selbstverständlich tagtäglich mit anderen Sprachen, Kulturen und Ländern. Das ist einer der reizvollen Aspekte dieses Berufs.

 

Aber die vom BDÜ-Bundesvorstand konstruierte Verbindung zwischen Pegida und unserer Berufsgruppe ist schon ziemlich weit hergeholt. Da werden Ihnen viele Verbandsmitglieder und einige Landesverbände nicht folgen können.

 

Und im Grunde geht es gar nicht um Pegida. Es ist völlig unerheblich, für wen oder gegen was solche Aufrufe beschlossen werden. In den letzten Jahrzehnten war es in den Verbänden aus gutem Grund Usus, überhaupt keine allgemeinpolitischen Beschlüsse oder Empfehlungen zu fassen.

 

Denn wo wollen Sie aufhören, wenn Sie einmal damit anfangen? Was dürfen wir als nächstes vom BDÜ erwarten?

 

– Einen Aufruf, alle BDÜ-Mitglieder zu melden, die bei Pegida-Demos mitlaufen?
– Einen Aufruf, keine Russisch-Übersetzungen mehr anzufertigen, um die Sanktionen gegen Russland zu unterstützen?
– Einen Aufruf, beim Toilettengang grundsätzlich nur die kleine und nicht die große Taste am Spülkasten zu betätigen, um Umweltressourcen zu schonen?

 

In der Satzung des (Bundes-)BDÜ heißt es: „Bei der Durchführung von Aufgaben des Bundesvorstandes ist jedes Bundesvorstandsmitglied verpflichtet, sich ausschließlich von den Belangen des BDÜ leiten zu lassen.“

 

Offenbar ist dem Bundesvorstand die Selbstverständlichkeit, die Verbandsaktivitäten auf berufliche Belange der Übersetzer und Dolmetscher zu beschränken und sich jeglicher Stellungnahmen zu politischen, weltanschaulichen oder religiösen Themen zu enthalten, abhanden gekommen.

 

Damit dies ein einmaliger Ausrutscher bleibt, sollte über die Aufnahme eines Passus der folgenden Art in die Satzung nachgedacht werden:

 

„Der Verband erfüllt seine Ziele unter Wahrung parteipolitischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität.“ (Gefunden in der Satzung des Berufsverbandes der kommunalen Finanzverwaltungen in Baden-Württemberg e.V.)

Der BDÜ-Präsident erwiderte, dass sich Änderungen der Satzung des BDÜ „nicht auf Empfehlung von Personen außerhalb des Verbandes“ initiieren lassen. Gemeint ist Ex-BDÜ-Mitglied Schneider.

Am 07.01.2015 wurde der Aufruf im BDÜ-Forum auf Xing dahingehend korrigiert, dass er nicht vom „BDÜ“, sondern vom „BDÜ-Bundesvorstand“ stamme „und selbstverständlich damit nicht alle Einzelmitglieder der Mitgliedsverbände einvernahmt werden sollen“. „Insofern haben wir den ursprünglichen Beitrag geändert, stehen inhaltlich aber weiterhin voll zu diesem Aufruf“, so André Lindemann.

Der BDÜ-Bundesvorstand

Dem BDÜ-Bundesvorstand gehören zurzeit folgende Personen an: André Lindemann (Präsident), Norma Keßler (Vizepräsidentin und zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit), Thurid Chapman (Vizepräsidentin), Monika Eingrieber (Vizepräsidentin), Cornelia Groethuysen (Vizepräsidentin), Francisco José Kuhlmann (Vizepräsident), Ralf Lemster (Vizepräsident), Karl-Heinz Trojanus (Vizepräsident), Marie-Thérèse Wagner (Schatzmeisterin).

Die Online-Petition

Auf der kommerziellen Petitionsplattform Change.org bittet ein „Karl Lempert, Hannover“, unter der Parole „Für ein buntes Deutschland – eine Million Unterschriften gegen Pegida!“ um Online-Unterschriften.

Er beschreibt kurz die PEGIDA-Bewegung und behauptet, diese sei „geführt und verführt von Demagogen“. Gegen dieses „unmenschliche und unverantwortliche Konglomerat zwischen dem rechten Rand und der bürgerlichen Mitte“ gelte es zu unterschreiben.

Er fordert abschließend: „Meine Forderung an uns alle lautet: 1.000.000 Unterschriften gegen Pegida! Macht mit, teilt, unterschreibt – für ein „Buntes“ Deutschland!“

Was mit den gesammelten persönlichen Daten geschehen soll, wird nicht beschrieben.

www.change.org/p/1-mio-unterschriften-gegen-pegida-nopegida

Über PEGIDA

Die außerhalb von Parlament und Parteien entstandene Bewegung der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ stellt sich auf ihrer Facebook-Seite unter der folgenden Adresse dar: www.pegida.de. Ausführliche Informationen finden sich darüber hinaus im Wikipedia-Eintrag zu PEGIDA.

[Text: Richard Schneider. Bild: Richard Schneider.]

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