Saarbrücken: Übersetzerstudiengänge durch drastische Sparvorgaben der Landesregierung gefährdet?

Demonstration
Am 15.01.2015 zog ein 6.000 Teilnehmer starker Demonstrationszug durch die Saarbrücker Innenstadt.

Die Fachrichtung 4.6 „Angewandte Sprachwissenschaften sowie Übersetzen und Dolmetschen“ der Universität des Saarlandes bildete seit 1948 mehr als 40 Jahre lang zusammen mit Heidelberg und Germersheim das Dreigestirn der universitären Übersetzer- und Dolmetscherausbildung in Westdeutschland. (Nach der Wiedervereinigung stand auch Leipzig allen Studierenden offen.)

Besondere Akzente konnte die unmittelbar an der französischen Grenze liegende Großstadt (177.000 Einwohner) in Bezug auf das Lehrangebot und Lernumfeld für Französisch setzen. Pionierarbeit leistete Saarbrücken beim Einsatz von Übersetzungswerkzeugen (Translation-Memory-Systeme), einmalig im deutschen Sprachraum war das Angebot im Bereich der Computerlinguistik.

Im Lauf der Jahrzehnte sah sich das Institut immer wieder mit Versuchen konfrontiert, es zu verkleinern, an die Fachhochschule zu verlagern oder ganz zu schließen. Deshalb mussten immer wieder Abstriche in Kauf genommen werden.

2006 wurde das Lehrangebot für Russisch eingestellt, 2014 wurde beschlossen, den MA-Studiengang Konferenzdolmetschen auslaufen zu lassen. Irgendwie gelang es aber immer, den Kern des Studienangebots zu erhalten.

Doch jetzt steuert der 67 Jahre alte, traditionsreiche Fachbereich auf eine existenzgefährdende Krise zu. Ursache sind radikale Sparmaßnahmen der Landesregierung, von denen der gesamte Hochschulsektor des Saarlandes betroffen ist.

Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) steht seit 2012 einer großen Koalition aus CDU und SPD vor, die über eine Zweidrittelmehrheit im Landtag verfügt. Kramp-Karrenbauer ist außerdem Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Technologie und hat in dieser Eigenschaft die Universität aufgefordert, ihr Budget bis zum Jahr 2020 um 27 Prozent zu kürzen.

Abschlusskundgebung
Die Abschlusskundgebung fand auf dem Ludwigsplatz vor der Staatskanzlei statt, dem Sitz von Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. (Der Bungalow der Staatskanzlei befindet sich auf der rechten Seite des Platzes und ist auf dem Bild nicht zu sehen. Im Hintergrund die Ludwigskirche.)

Sprachwissenschaft soll 35 Prozent der Mittel einsparen – Zwei Professuren fallen weg

Die Fachrichtung Angewandte Sprachwissenschaft soll sogar überproportional viel, nämlich 35 Prozent ihrer Mittel einsparen. Dies soll dadurch erreicht werden, dass alle Stellen, deren Inhaber in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen, nicht wieder neu besetzt werden.

Dies betrifft Professoren und wissenschaftliche Angestellte ebenso wie etwa die Sekretariate. Zwei von bislang vier Professuren der Angewandten Sprachwissenschaft sollen künftig wegfallen.

Vor einem ähnlichen Kahlschlag stehen die Lehramtsstudiengänge Anglistik/Amerikanistik, Romanistik und Slavistik, mit denen die Sprachwissenschaftler in der Vergangenheit offenbar bereits kooperiert haben.

Bachelor- und Master-Studiengänge mit 422 Studierenden werden eingestellt

Demonstration
Studentinnen der Fachschaft Angewandte Sprachwissenschaft machen ihrem Unmut Luft.

Der Bachelor-Studiengang „Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft sowie Translation“ (VSLT) mit derzeit knapp 300 Studenten soll zum Wintersemester 2015/2016 zum letzten Mal Erstsemesterstudenten aufnehmen und dann in den Folgejahren auslaufen.

Das Gleiche gilt für den Master-Studiengang „Translationswissenschaft“ mit derzeit 122 Studenten.

Das Ende des Master-Studiengangs „Konferenzdolmetschen“ war bereits 2014 beschlossen worden. Zum Wintersemester 2014/2015 wurden letztmalig Studenten aufgenommen. Das Angebot wird in den nächsten Jahren auslaufen.

Angewandte Sprachwissenschaft soll mit Computerlinguistik fusionieren

Die Zukunftspläne sehen derzeit so aus, dass die angewandte Sprachwissenschaft mit der Computerlinguistik zusammengelegt und ein neuer Master-Studiengang „Sprachtechnologie“ aufgebaut werden soll.

Ehemalige Studierende und Vertreter der Berufspraxis wurden aufgerufen, sich an der Konzeption eines solchen Studiengangs zu beteiligen.

Vehemente Proteste von Dozenten und Studenten

Kritiker bemängeln, dass die Sparpläne für die Fachrichtung 4.6 einer Abwicklung gleichkommen. Sie seien zudem nicht mit der von der Uni selbst entwickelten Strategie in Einklang zu bringen, sich auf die eigenen Stärken und Besonderheiten zu konzentrieren – nämlich den Europa- und Frankreich-Schwerpunkt.

Roland Marti, Professor für Slavistik an der philosophischen Fakultät, resümiert: „Die einzige Freiheit, die die Fakultät hat, ist, die eigene Todesart zu wählen.“

Transparente
Die Umsetzung der Sparmaßnahmen würde zu einer radikalen Verkleinerung der 18.500 Studierende zählenden Universität um etwa ein Viertel führen.

Demonstration vor Staatskanzlei mit 6.000 Teilnehmern

Am 15.01.2015 fand in der Saarbrücker Innenstadt eine Demonstration mit rund 6.000 Teilnehmern statt. Studierende und Dozenten zogen von der Europa-Galerie zur Staatskanzlei, wo anschließend eine Kundgebung stattfand.

Universitätspräsident Prof. Dr. Volker Linneweber erklärte: „Dass es Einsparungen geben soll, sehen wir ein – aber nicht in dieser dramatischen Form.“

Der Landesvorsitzende der nicht mehr im Landtag vertretenen FDP Saar, Oliver Luksic, nahm ebenfalls an der Großdemonstration teil. Er forderte die Landesregierung zu einer Kurskorrektur auf: „Was an der Uni in Jahrzehnten mühsam aufgebaut wurde wird nun in kurzer Zeit zerstört. Ein massiver Stellenabbau, die Schließung großer Teile und die mangelnde Ausstattung einer regionalen Rumpf-Uni verschlechtern die Studienmöglichkeiten und Lebenschancen junger Saarländer. Frau Kramp-Karrenbauer sorgt für einen Exodus hochqualifizierter Fachkräfte.“

Für die größte Oppositionspartei Die Linke hatte die Landtagsabgeordnete und Landtagsvizepräsidentin Barbara Spaniol bereits vorab in einer Pressemitteilung Stellung bezogen: „Ein breites Studienangebot hoher Qualität mit klaren Schwerpunkten können wir niemals aufrechterhalten, wenn die Wissenschaftsministerin an ihrem Streichprogramm festhält. So können wir im Wettbewerb mit anderen Unis aus Baden-Württemberg und Bayern nicht bestehen. Saarbrücken droht zur Provinzuni zu verkommen und junge Menschen werden aus dem Land getrieben.“

Auch Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer sprach zur Masse der Demonstranten („eine beeindruckende Zahl“), machte dabei aber deutlich, dass an den Sparplänen des Landes nicht mehr zu rütteln sei. Das Land werde seine Zuschüsse für die Hochschulen bis 2020 einfrieren. Die durch Kostensteigerungen entstehenden Lücken müssten durch Einsparungen geschlossen werden. Zusätzliches Geld für die saarländischen Hochschulen könne nur noch vom Bund oder aus Drittmitteln kommen.

Die Aussagen wurden erwartungsgemäß mit Buh-Rufen und Pfiffen quittiert. Gegenüber der Presse erklärte Kramp-Karrenbauer später: „Lieber lasse ich mich ausbuhen, als etwas zu versprechen, was ich nicht halten kann.“

Das Saarbrücker Studienangebot für Übersetzer und Dolmetscher

Überarbeitetes Logo
Die Eule ist das Wappentier der Universität des Saarlandes. Studenten haben es grafisch der aktuellen Situation angepasst.

Das Studienangebot in Saarbrücken konzentriert sich auf die 4 Fremdsprachen Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch für deutsche Muttersprachler.

Zusätzlich können französische Muttersprachler Deutsch als erste Fremdsprache und Englisch als Nebenfach belegen. Diese Integration bietet besonders für Französisch eine hervorragende Lern- und Übungssituation.

Dazu kommt die Möglichkeit einer Spezialisierung in den Sachfächern Technik, Wirtschaft oder Recht sowie ein ausgeprägter Schwerpunkt in der Nutzung von Computern beim Übersetzen.

Diese Möglichkeiten sind in Saarbrücken in besonders vielfältiger Weise nutzbar – durch das dichte Umfeld in Computerlinguistik, künstlicher Intelligenz und Informatik sowie die räumlich unmittelbar benachbarten Fachrichtungen für Wirtschaft, Jura oder Ingenieurwissenschaften.

Abteilungen

  • Englische Abteilung
  • Frankophone Abteilung
  • Französische Abteilung
  • Italienische Abteilung
  • Spanische Abteilung
  • Sprach- und Übersetzungstechnologie
  • Nichtsprachliches Ergänzungsfach (Sachfach)

Lehrstühle

  • Lehrstuhl Englische Übersetzungswissenschaft (Prof. Dr. Erich Steiner)
  • Lehrstuhl Englische Sprach- und Übersetzungswissenschaft (Prof. Dr. Elke Teich)
  • Lehrstuhl Translationsorientierte Sprachtechnologie (Prof. Dr. Josef van Genabith)
  • Lehrstuhl Romanische Übersetzungswissenschaft (Prof. Dr. Alberto Gil)

Studiengänge

  • Bachelor of Arts Vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaft sowie Translation (VSLT)
  • Master Translationswissenschaft (Übersetzen und Dolmetschen)
  • Master Konferenzdolmetschen (läuft aus, da seit dem Wintersemester 2014/2015 keine Studienanfänger mehr aufgenommen werden)
Luftbild Universität des Saarlands
Die Saarbrücker Hochschule ist eine typische Campus-Universität, die vor den Toren der Stadt auf einem Park-ähnlichen Gelände inmitten des Stadtwaldes liegt.

1948 von französischer Besatzungsmacht als Dolmetscherinstitut gegründet

Am 1.Dezember 1948 – also bereits im 2. Semester seit Bestehen der Universität – wurde das Dolmetscherinstitut gegründet. Während der ersten Semester wurden nur Französisch und Englisch als Fremdsprachen gelehrt. Das Sprachenangebot wurde später um Italienisch, Russisch, Spanisch sowie Deutsch für Frankophone erweitert.

Die Eingliederung des bis dahin fakultätsfreien Dolmetscherinstituts in die philosophische Fakultät erfolgte 1978. Eine wesentliche Erweiterung des wissenschaftlichen Lehrangebots konnte 1990 durch die Einrichtung von vier neuen Professuren sowie durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit Computerlinguistik, Informatik und dem Europa-Institut erreicht werden.

http://fr46.uni-saarland.de

Links zum Thema auf UEPO.de

[Text: Richard Schneider; der Abschnitt zum Studienangebot wurde der Website der Uni entnommen. Quelle: Fachrichtung 4.6, Amicale und AStA der Universität des Saarlandes; Saarbrücker Zeitung, 2014-12-09, 2015-01-13; Saarländischer Rundfunk, 2015-01-15. Bild: Jan Henrich/AStA (Fotos der Demo); Fachschaft FR 4.6 (Foto „Übersetzen wertschätzen“; AStA (Eule); Universität des Saarlandes (Luftbild).]