GfdS wählt „Flüchtlinge“ zum Wort des Jahres 2015 – „Je suis Charlie“ und „Grexit“ auf Platz 2 und 3

Die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) hat am 11. Dezember 2015 die „Wörter des Jahres 2015“ bekannt gegeben. Wie in den vergangenen Jahren wählte die Jury, die sich aus dem Hauptvorstand der Gesellschaft sowie den wissenschaftlichen Mitarbeitern zusammensetzt, aus diesmal rund 2.500 Belegen jene zehn Wörter und Wendungen, die den öffentlichen Diskurs des Jahres wesentlich geprägt und das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben sprachlich in besonderer Weise begleitet haben.

Nicht die Häufigkeit eines Ausdrucks, sondern seine Signifikanz bzw. Popularität stehen bei der Wahl im Vordergrund: Auf diese Weise stellen die Wörter eine sprachliche Jahreschronik dar, sind dabei jedoch mit keinerlei Wertung oder Empfehlung verbunden.

Die Wörter des Jahres 2015:

1. Flüchtlinge
2. Je suis Charlie
3. Grexit
4. Selektorenliste
5. Mogel-Motor
6. durchwinken
7. Selfie-Stab
8. Schummel-WM
9. Flexitarier
10. Wir schaffen das!

(1) Flüchtlinge

Das Wort des Jahres 2015 ist „Flüchtlinge“. Das Substantiv steht nicht nur für das beherrschende Thema des Jahres, sondern ist auch sprachlich interessant. Gebildet aus dem Verb flüchten und dem Ableitungssuffix -ling („Person, die durch eine Eigenschaft oder ein Merkmal charakterisiert ist“), klingt Flüchtling für sprachsensible Ohren tendenziell abschätzig: Analoge Bildungen wie Eindringling, Emporkömmling oder Schreiberling sind negativ konnotiert, andere wie Prüfling, Lehrling, Findling, Sträfling oder Schützling haben eine deutlich passive Komponente. Neuerdings ist daher öfters alternativ von „Geflüchteten“ die Rede. Ob sich dieser Ausdruck im allgemeinen Sprachgebrauch durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.

(2) Je suis Charlie

Auf Platz 2 wählte die Jury „Je suis Charlie“ („Ich bin Charlie“). Bei einem Terroranschlag auf das Redaktionsbüro der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ wurden im Januar 2015 zwölf Menschen ermordet. Mit dem französischen Zitat oder mit Übersetzungen – auf Deutsch zudem in Abwandlungen wie „Auch ich bin Charlie“ oder „Ich bin auch Charlie“ – brachten weltweit Millionen von Menschen ihre Solidarität mit den Opfern zum Ausdruck und demonstrierten für die Pressefreiheit und gegen religiösen Fanatismus.

(3) Grexit

Mit der Wortkreuzung „Grexit“ (Platz 3), geprägt bereits 2011 von dem Volkswirt Ebrahim Rahbari, erinnerte die GfdS an das Topthema der ersten Jahreshälfte: die wochenlang schwelende Frage, ob Griechenland aufgrund seiner hohen Staatsverschuldung aus der Eurozone ausscheiden müsse. Die Überblendung von Greek („griechisch“) und „Exit“ („Ausgang, Ausstieg“) wurde zum Vorbild für eine ganze Reihe weiterer Wortbildungen. Neben dem spätestens seit 2012 bekannten „Brexit“ („Britain“ + „Exit“: ein mögliches Ausscheiden Großbritanniens aus der EU) fanden sich 2015 beispielsweise „Alexit“ („Alexis Tsipras“ + „Exit“) und „Schwexit“ (Bastian Schweinsteigers Wechsel von Bayern München zu Manchester United). Ein „Grexit by Accident“, kurz „Graccident“ oder „Grexident“, wurde nach zähen Verhandlungen gerade noch vermieden; die gefundene Lösung bezeichnete EU-Ratspräsident Donald Tusk im Juli 2015 als „Agreekment“.

(4) Selektorenliste

Jahrelang hat der US-Geheimdienst NSA in Europa, auch in Deutschland, nicht nur spioniert, er wurde dabei vom Bundesnachrichtendienst auch noch unterstützt. Mit Hilfe von Suchbegriffen, so genannten Selektoren, die von der NSA vorgegeben waren, wurden Daten in großem Stil „gesammelt“. Auch Regierungsorgane und Behörden wurden ausgespäht. Der Einblick in die vollständige „Selektorenliste“ (Platz 4) blieb dem NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages verwehrt: Das Dokument wurde als streng geheim eingestuft.

(5) Mogel-Motor

Das Alliterationswort „Mogel-Motor“, von der Jury auf Platz 5 gewählt, steht für den VW-Skandal: Der Automobilkonzern hat offenbar jahrelang Motoren mit einer speziellen Software gebaut, die bei Abgasmessungen die Einhaltung der geforderten Werte vortäuscht. Die Aufdeckung des Betrugs führte zur schwersten Krise in der Unternehmensgeschichte.

(6) durchwinken

Das einzige Verb auf der Liste ist „durchwinken“ (Platz 6). Es steht für den Vorwurf, dass einige EU-Mitgliedsstaaten, unter anderem Österreich, Zehntausende von Flüchtlingen ungehindert und unregistriert in andere Staaten, vor allem nach Deutschland, weiterreisen lassen.

(7) Selfie-Stab

Die Zusammensetzung „Selfie-Stab“ (Platz 7) benennt eine im öffentlichen Raum immer häufiger zu beobachtende technische Neuerung: eine Art Stativarm, mit dem die Kamera oder das Smartphone beim Anfertigen von Selbstporträts (Selfies) in größerem Abstand gehalten werden kann. Das englische Wortbildungsmuster mit der Endung -ie hat eine Reihe von Wortneuschöpfungen hervorgebracht – so etwa das „Helfie“ (eine Überlagerung von „Haar“ und „Selfie“: ein Foto von den eigenen Haaren), das „Drelfie“ (darin steckt „drink“/“drunk“ – „trinken“/“betrunken“: ein Selfie im betrunkenen Zustand) und das „Belfie“ („backside“ – „Rückseite, Hinterteil“ + Selfie: ein Foto vom eigenen Hinterteil).

(8) Schummel-WM

Mit dem Wort „Schummel-WM“ (Rang 8) wird auf den Vorwurf Bezug genommen, dass die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2006 an Deutschland auf Bestechung beruht habe – dass das so genannte Sommermärchen gekauft gewesen sei. Das Wort ist keine Neuprägung, sondern kam bei anderen Sportarten bereits in früheren Jahren hier und da vor. 2015 steht es im Zusammenhang mit dem weltweit populärsten Sport: mit dem Korruptionsskandal beim Weltfußballverband FIFA.

(9) Flexitarier

Das Neuwort „Flexitarier“ (Platz 9) findet sich bereits seit einigen Jahren. Auch hier handelt es sich um eine Wortkreuzung aus „flexibel“ und „Vegetarier“. Gemeint sind Personen, die bewusst wenig Fleisch essen, ohne aber ganz darauf zu verzichten. Auf den Trend, weniger Fleisch zu verzehren, reagiert inzwischen auch die Gastronomie. Nicht nur in Szenerestaurants, sondern auch in Kantinen und Mensen gibt es heute immer mehr vegetarische und auch vegane Angebote.

(10) Wir schaffen das!

Auf Platz 10 wählte die GfdS den Satz „Wir schaffen das!“. Mit ihm brachte Angela Merkel ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass Deutschland die seit der zweiten Jahreshälfte rapide ansteigenden Flüchtlingszahlen bewältigen werde. Neben weltweiter Anerkennung und Zustimmung erntete die Bundeskanzlerin im In- und Ausland auch scharfe Kritik, da ihre Aussage als Zusicherung aufgefasst wurde, Deutschland werde das Asylrecht großzügig auslegen.

Wörter des Jahres werden 2015 zum vierzigsten Mal gekürt

Die Wörter des Jahres werden 2015 zum vierzigsten Mal bekannt gegeben. Traditionell suchen die Mitglieder des Hauptvorstandes und die wissenschaftlichen Mitarbeiter der GfdS nicht nach den am häufigsten verwendeten Ausdrücken, sondern wählen solche, die das zu Ende gehende Jahr besonders gut charakterisieren. In diesem Jahr standen rund 2.500 Belege zur Wahl.

[Text: GfdS. Quelle: Pressemitteilung GfdS, 2015-12-11.]