Community Interpreting: VHS Mainz startet Zertifikats-Lehrgang „Sprachmittler (IHK)“

Die Volkshochschule (VHS) Mainz bietet im November 2016 erstmals einen Lehrgang an, der auf eine Tätigkeit als „Sprachmittler“ vorbereiten soll. Gemeint ist damit das Dialogdolmetschen im Rahmen der Betreuung von Einwanderern, das im Englischen als Community Interpreting bezeichnet wird.

Kooperationspartner ist die Industrie- und Handelskammer (IHK) Rheinhessen. Nach erfolgreicher Teilnahme an dem 180-stündigen Kurs und Absolvierung der schriftlichen und praktischen Leistungsnachweise erhalten die Teilnehmender das Zertifikat „Sprachmittler/-in (IHK)“.

Der Unterricht soll im November 2016 beginnen und berufsbegleitend über ein halbes Jahr laufen. Die Kosten belaufen sich auf 200 Euro pro Teilnehmer.

In der Beschreibung heißt es:

Zielgruppe

Mehrsprachige Menschen mit Migrationshintergrund, sehr guten Deutschkenntnissen und hoher Allgemeinbildung, die selbständig (haupt- oder nebenberuflich) als Sprachmittler tätig werden oder die dies als Zusatzqualifikation erwerben wollen; ggf. auch Deutsch-Muttersprachler, die über erworbene Kenntnisse in einer Herkunftssprache von Zuwanderern verfügen.

Voraussetzungen

  • Vorlage von Bewerbungsunterlagen und Teilnahme an einem Beratungsgespräch
  • sehr gute Deutschkenntnisse in Wort und Schrift (in der Regel mindestens C1 gemäß Europäischem Referenzrahmen, nachgewiesen durch Zertifikat oder ein erfolgreich in Deutschland absolviertes Hochschulstudium, alternativ die erfolgreiche Teilnahme an einem Test vor Lehrgangsbeginn)
  • sehr gute Kenntnisse in Wort und Schrift in einer weiteren, für Neuzuwanderer in Deutschland relevanten Sprache
  • in der Regel eigene Migrations-Erfahrung
  • in der Regel Berufserfahrung

Inhalt

Zuwanderer mit geringen Deutschkenntnissen benötigen Unterstützung in der Kommunikation mit Verwaltung, im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich oder in der Arbeitswelt („Institutionen“). Gleichzeitig verlangen auch diese Institutionen nach Vermittlungsdienstleistungen, um ihren Aufgaben in der Migrationsgesellschaft gerecht werden zu kennen. Dabei geht es nicht nur um die Bewältigung der aktuellen Flüchtlingssituation, sondern um Unterstützungsangebote für Zuwanderer und Institutionen der Aufnahmegesellschaft im Allgemeinen.

Der Zertifikatslehrgang trägt zur Professionalisierung solcher Tätigkeiten bei. Gelernt wird das Dolmetschen und Übersetzen in institutionellen Kommunikationssituationen. Der Lehrgang macht mehrsprachige Personen damit zu Expertinnen und Experten, die Neuzuwanderer auf der einen, „Institutionen“ auf der anderen Seite, bei der Kommunikation professionell unterstützen können.

Als „Community Interpreter“ begleiten sie Menschen bei diesen Situationen, dolmetschen in Gesprächen und übersetzen bei Bedarf Schriftstücke. Der Lehrgang vermittelt in 180 Unterrichtsstunden die Kompetenz, diese Tätigkeit auch professionell auszuüben. Dazu erwerben die Teilnehmenden fundiertes Fachwissen auf hohem Niveau und wenden dieses im Rahmen von intensiven Praxisübungen an.

Die Inhalte der Module sind eng miteinander verzahnt und werden sehr praxis- und anwendungsbezogen durchgeführt. Dabei werden stets die bisherige Erfahrung und die Sichtweisen der Teilnehmenden auf das Tätigkeitsfeld mit einbezogen.

Übersicht über die Module

  • Modul 1: Einführung in das „Community Interpreting“
    – Definitionen: Dolmetschen/Übersetzen, Konferenzdolmetschen, „Community Interpreting“
    – Rollenverständnis, mögliche Rollenkonflikte, Ehrenkodex für Dolmetscher/-innen
    – Merkmale der institutionellen (Behörden-) Kommunikation (Machtasymmetrie)
    – Fachbegriffe und Arbeitsmethoden
  • Modul 2: Institutionenwissen
    – Kommunalverwaltung und -politik: Stadtverwaltung, Entscheidungsabläufe, Gremien; Anforderungen an Dolmetscher/-innen in Behörden
    – Krankenversicherung, Sozialversicherung
    – Staat und Recht: Demokratie, Gewaltenteilung, Justiz
    – Aufbau und Arbeitsweise von Jobcenter und Arbeitsagentur; Grundkenntnisse der Arbeitsvermittlung und der Leistungen nach den Sozialgesetzbüchern
    – Aufbau des Jugendamtes, Grundlagen des Kinder- und Jugendhilferechts, Instrumente, Situation von Menschen mit Migrationshintergrund
    – Struktur und Arbeitsweise weiterer Behörden/Einrichtungen (Schule, Kindergarten, Gesundheitswesen z.B.)
  • Modul 3: Erfahrungen von Migration, Integration, Diskriminierung – Selbstreflexionsworkshop
    – Reflexion der eigenen Migrationsgeschichte und ihrer Bedeutung für die Tätigkeit als Sprachmittler/-in
    – Umgang mit dem „Anderssein“ reflektieren, eigene Werte, Vorstellungen, Stereotype, Vorurteile erkennen/verstehen; Interkulturelle Kompetenz
    – Neutralität vs. Parteilichkeit: Reflexion der eigenen Rolle in der Dolmetschsituation
    – Umgang mit Diskriminierungssituationen im Rahmen der Tätigkeit
  • Modul 4: Persönliche Kompetenzen
    – Aufbau und Gliederung einer Rede; Formulieren und sicherer Stil; Auftritt und Stimme; freie Rede
    – Sprachliche Spontanität und Flexibilität, Debattieren
    – Kommunikationstechniken, Gesprächsführung, Umgang mit Konfliktsituationen
    – Gedächtnisübungen, Lerntechniken
  • Modul 5: Dolmetsch- und Übersetzungstechniken
    – Fachliche Grundlagen und methodisches Vorgehen
    – Konsekutiv-Dolmetschen in Gesprächssituationen
    – Weitere Dolmetsch-Formen
    – Übersetzung von Dokumenten
    – Übungen (u.a. Notizentechnik, Gedächtnisübungen, Paraphrasieren, Rollenspiele, sprachpaarspezifische Gruppenarbeit, Übersetzungsübungen anhand von relevanten Dokumenten)
    – Kritische Reflexion des Gelernten
  • Modul 6: Praxisübungen
    – Begleitung oder eigene Durchführung eines Dolmetschauftrags mit anschließender kritischer Reflexion in Bezug auf die eigene Tätigkeit (Erstellen eines Berichts)
  • Modul 7: Begleitung in die freiberufliche Tätigkeit
    – Voraussetzungen und Rahmenbedingungen einer selbständigen Tätigkeit; Chancen und Risiken; individuelle Voraussetzungen, persönliche Eignung
    – Kaufmännische Grundlagen (Markt, Preise, Kunden, Finanzplanung, Existenzgründungsplanung, Auftragsmanagement)
    – Soziale Absicherung

Voraussetzungen zum Erhalt des Zertifikats (Leistungsnachweise)

  • Regelmäßige Teilnahme (mindestens 80% der Unterrichtsstunden)
  • Praktischer, bewerteter Leistungsnachweis (Rollenspiel, Anwendung des methodischen Wissens)
  • Schriftlicher, bewerteter Leistungsnachweis (Dokumentenübersetzung). Die Leistungsnachweise werden nach den Kriterien Sprachbeherrschung, inhaltliche Korrektheit und Präsentation (professioneller Auftritt, Kommunikationsleistung) bewertet.

Kompetenzen von Sprachmittlern

  • Sie überbrücken sprachliche und kulturelle Hürden und verkürzen somit den Kommunikationsprozess erheblich.
  • Sie kennen Strukturen und Verwaltungsabläufe und ermöglichen den Zugang zu den Angeboten der Institutionen.
  • Sie verfügen über Dolmetsch- und Übersetzungstechniken und die Grundlagen der interkulturellen Kommunikation.
  • Sie haben berufsethisches und professionelles Wissen (Rolle des Dolmetschers, Neutralität, Schweigepflicht).

Tätigkeitsfelder für Sprachmittler (Beispiele)

  • bei Beratungsgesprächen in sozialen Diensten, Beratungsstellen, in Einrichtungen des Gesundheitswesens, in der Gemeinwesenarbeit,
  • in der Kommunikation mit Behörden,
  • bei Elterngesprächen in Kindertageseinrichtungen und Schulen
  • bei Informationsveranstaltungen und -gesprächen
  • Gespräche mit Arbeitgeber, Kollegen etc.

Mögliche relevante Institutionen/Einsatzgebiete (Beispiele)

  • Soziale Dienste, Beratungsstellen
  • Verwaltung/Behörden (z.B. Ausländerbehörde, Sozialamt)
  • Bildungseinrichtungen (Kindertagesstätten, Schulen)
  • Gesundheitswesen (Ärzte, Kliniken, Krankenversicherung, Pflege)
  • Sozialversicherungen
  • Arbeitsverwaltung (Arbeitsagentur, Jobcenter)
  • Kinder- und Jugendhilfe
  • Frauenhäuser/-Notrufe und andere Einrichtungen für Notlagen
  • Betriebe

[Text: Richard Schneider. Quelle: VHS Mainz.]