Dolmetschen in der Psychotherapie: Marija Glišić für Qualitätssicherungsmodell ausgezeichnet

Marija Glišić
Wolfgang Pribyl, Geschäftsführer des Joanneum Research, Preisträgerin Marija Glišić und Landesrat Christopher Drexler.

Migranten, die unter Zwang aus ihrem Heimatland flüchten müssen, erleben oft traumatische Erlebnisse, die sie in der neuen Heimat mit der Hilfe eines Psychotherapeuten zu verarbeiten versuchen. Treten dabei Sprachbarrieren auf, werden Dolmetscher zur Therapie hinzugezogen.

Welche Faktoren ihre Arbeit beeinflussen und wie eine adäquate sowie hochwertige Dolmetschung gewährleistet werden kann, hat Marija Glišić, Absolventin der Karl-Franzens-Universität Graz, untersucht. Für ihre Masterarbeit, in der sie ein Qualitätssicherungsmodell für das Dolmetschen in psychotherapeutischen Settings entwickelt hat, erhielt Glišić am 28. September 2016 den mit 7.000 Euro dotierten HTI-Forschungspreis (Human-Technology-Interface) des Landes Steiermark in der Kategorie Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften. Der Preis wurde von Landesrat Christopher Drexler in der Grazer Stadthalle überreicht.

Arbeitsprozesse analysiert

Ein psychotherapeutisches Gespräch, bei dem sprachlich vermittelt werden muss, stellt Dolmetscher vor besondere Herausforderungen. Ihre Perspektive wurde wissenschaftlich bislang jedoch nur punktuell erfasst. Glišićs Masterarbeit beschreibt nun erstmals sämtliche Aufgaben, die Dolmetscher während ihres gesamten Arbeitsprozesses durchlaufen.

Dieser beginnt bei einer genauen Vorbereitung, erklärt Ass.-Prof. Dr. Nadja Grbic vom Institut für Theoretische und Angewandte Translationswissenschaft und Betreuerin der Arbeit: „Die Dolmetscher müssen sich zunächst mit dem Hintergrund der Patienten vertraut machen: Aus welchem sozialen und kulturellen Kontext wurde der Betroffene herausgerissen? Benutzt er eine spezielle Sprachvariante? Was hat er auf der Flucht durchgemacht? Welche Art der Therapie wird angewandt?“

Persönliche Betroffenheit der Dolmetscher wird oft ignoriert

Dabei wird häufig verabsäumt, auch die persönliche Betroffenheit der Dolmetscher in Betracht zu ziehen: „Sie müssen sich nicht nur fachlich, sondern auch emotional auf das Gespräch vorbereiten. Nicht selten haben sie selbst Migrationshintergrund und werden durch die Erzählungen der Patienten an schmerzliche Erlebnisse erinnert“, so Nadja Grbic.

Während der Therapie können unter anderem die Beschaffenheit der Räumlichkeiten, die Sitzordnung und die Wahl der Translationsstrategien den Gesprächs- und damit auch den Dolmetschprozess beeinflussen. Besondere Bedeutung kommt im psychotherapeutischen Setting der Nachbereitung zu, die der emotionalen Entlastung der Dolmetscher wie der Wissenserweiterung dient.

Für Masterarbeit Checkliste für Dolmetscher entwickelt

Sämtliche relevanten Faktoren hat Marija Glišić nun in Form einer Checkliste in ihrer Masterarbeit zusammengefasst. „So können Dolmetscher individuelle Qualitätssicherung betreiben und sich auf die verschiedenen Phasen sowie auf mögliche Komplikationen vorbereiten“, schildert die Preisträgerin.

Die Checkliste ist Teil eines Qualitätssicherungsmodells, das Glišić durch Gespräche mit Dolmetschern entworfen hat und das auf einem Konzept basiert, das ursprünglich für das Monitoring beim Konferenzdolmetschen entwickelt wurde. Glišićs Modell steht allen interessierten Einrichtungen ab sofort kostenlos zur Verfügung.

Das Land Steiermark setzt mit dem Forschungspreis für Human-Technology-Interfaces ein Zeichen für die Relevanz von Gesundheit, Medizintechnik und Humantechnologie und möchte vor allem junge Wissenschaftler zu herausragenden Leistungen in diesen Bereichen anspornen. Der Preis wird in vier Kategorien vergeben: Grundlagenforschung und/oder universitäre Forschung; Wirtschaftliche Anwendungen; Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften sowie Nachwuchsförderung.

[Text: Gerhild Kastrun. Quelle: Presseaussendung Universität Graz, 2016-09-29. Bild: Werner Krug.]

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