Nach Selbstmord von Jaber Al-Bakr: Ist die Situation eskaliert, weil kein Dolmetscher anwesend war?

Rolf Jacob
Rolf Jacob, Leiter der JVA Leipzig, gab erschöpfend Auskunft über den Einsatz von Dolmetschern im Gefängnis.

Nach dem Selbstmord des terrorverdächtigen Syrers Jaber Al-Bakr (22) in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Leipzig am 12.10.2016 stellt sich die Frage, ob die Situation auch deshalb eskaliert ist, weil für den Gefangenen nur am Vormittag des zweiten Tages ein Dolmetscher zur Verfügung stand.

Der als Flüchtling nach Deutschland eingereiste Bombenbastler hatte 1,5 kg hochexplosives TATP hergestellt. Am Montag der Woche war er in die JVA eingeliefert worden. Landsleute hatten ihn überwältigt und der Polizei übergeben.

Am nächsten Vormittag hatten sich zunächst ein Anwalt und danach die Gefängnispsychologin per Dolmetscher ausführlich mit ihm unterhalten.

Am Abend des dritten Hafttages nahm sich Al-Bakr das Leben, indem er sich mit dem Hemd der Anstaltskleidung am Zwischengitter erhängte, das die Zelle zur Tür hin abgrenzt. Es verhindert, dass der Gefangene Wärter attackiert, die die Zellentür aufschließen.

Zwei Tage zuvor hatte er bereits die Deckenlampe und eine Steckdose aus der Verankerung gerissen. Das wurde als Vandalismus interpretiert. Er könnte aber auch versucht haben, sich mit einem Stromschlag das Leben zu nehmen.

Pressekonferenz im sächsischen Justizministerium

Auf einer Pressekonferenz am 13.10.2016 berichtete neben dem sächsischen Justizminister, dem Oberstaatsanwalt und dem Vollzugsabteilungsleiter aus dem Justizministerium vor allem der Leiter der JVA Leipzig, der Leitende Regierungsdirektor Rolf Jacob, über die Ereignisse und stellte sich den Fragen der Presse.

Am Einlieferungstag kein Dolmetscher anwesend

Gleich die erste Frage der Journalisten drehte sich darum, ob und wann dem nur Arabisch sprechenden verhinderten Attentäter ein Dolmetscher zur Verfügung stand. Ein Journalist der Freien Presse fragt: „Wieso war bei der Einlieferung von Jaber Al-Bakr kein Dolmetscher anwesend? War ein Dolmetscher je bei ihm?“

Der Leitende Regierungsdirektor Rolf Jacob, Leiter der JVA Leipzig, antwortet:

Ich hatte ja schon dargelegt, dass am folgenden Tag ein Dolmetscher für das Gespräch der Psychologin zur Verfügung stand. In der Nacht, bei der Einlieferung, gab es keinen Dolmetscher.

 

Es wurde auch nicht für notwendig erachtet, den jetzt sofort zu holen, da klar war, am nächsten Morgen, wenn die Psychologin im Dienst ist, wird alles, was notwendig ist, unternommen. Und deswegen aber auch diese 15-minütigen Kontrollen, damit man einen so engen Rhythmus hat, dass man sagen kann, da dürfte eigentlich nicht allzu viel passieren.

Frage: „Warum stand für das Aufnahmegespräch kein Dolmetscher zur Verfügung?“

Also wir machen das immer dann, wenn wir ganz konkrete Hinweise haben. Aber vielleicht auch nochmal so: Wir kriegen in Leipzig am Tage manchmal 10, 12, 15, 19 Zugänge. Für jeden Neuzugang, für jeden Gefangenen kann ich nicht immer so viel Dolmetscher [bestellen].

 

Was gesetzt ist, wo ein Dolmetscher immer da sein muss, ist dann, wenn es Hinweise auf Krankheiten, bestimmte Sachen gibt, wenn akute Lebensgefahr besteht, dann wird natürlich sofort ein Dolmetscher geholt.

Antwort auf eine Zusatzfrage, in der ein Journalist zu Bedenken gibt, dass ein Terrorist doch kein normaler Neuzugang sei:

Sein Verhalten gab keinen Anlass, einen Dolmetscher zu holen. Er war ruhig, er war ausgeglichen. Die Hinweise lagen vor. Die Leute vor Ort haben keine Veranlassung gesehen, jetzt sofort den Dolmetscher zu holen, da das für den nächsten Tag geplant war.

JVA Leipzig zieht Festeinstellung eines Arabisch-Dolmetschers in Erwägung

Im späteren Verlauf der Pressekonferenz ergänzt Anstaltsleiter Jacob:

Es ist nicht immer hundertprozentig möglich, sofort einen Dolmetscher nach der regulären Dienstzeit oder am Wochenende zur Verfügung zu haben. Da gibt es sogar Überlegungen, ob wir nicht mal einen festen Dolmetscher für die Anstalt einstellen könnten.

 

Ob der dann jedes Wochenende immer zur Verfügung steht, … ? Aber man hätte dann die Möglichkeit, die Kommunikation zu verbessern. Und das ist wichtig. Kommunikation ist das Wesentliche bei der Reduzierung der Suizidgefahr.

JVA-Leiter: „Hätte gern fest beschäftigten Dolmetscher. Aber personell und finanziell nicht leistbar.“

Gegen Ende der Pressekonferenz weist Jacob darauf hin, dass Al-Bakr bei der Polizei wegen der Verlesung des Haftbefehls auf jeden Fall ein Dolmetscher zur Verfügung gestanden haben muss. Das sei so vorgeschrieben. Bei der Einlieferung sei jedoch auf Seiten der Polizei kein Dolmetscher anwesend gewesen. Dies sei aber auch nicht üblich:

Mir ist kein Fall bekannt, bei dem die Hafteinlieferung [durch die Polizei] direkt mit Dolmetscher erfolgt ist.

 

Ich habe versucht, deutlich zu machen, dass bei dieser Vielzahl der Hafteinlieferungen und dem Dolmetscherproblem es nicht möglich ist, zeitgenau mit der Einlieferung oder zu bestimmten Ereignissen in der Anstalt sofort immer einen Dolmetscher zu haben.

 

Das wäre wünschenswert. Deswegen hätte ich gern einen fest beschäftigten Dolmetscher in der Anstalt. Das ist aber im Moment personell und vielleicht auch finanziell nicht leistbar. Aber wir machen sehr viel mit Dolmetschern in Sachsen.

Ausländeranteil in JVA Leipzig: 35 bis 40 Prozent

Nach Angaben von Rolf Jacob auf der Pressekonferenz betreut die JVA Leipzig mehr als 500 Häftlinge (397 im Hafthaus, 70 im Krankenhaus, 49 im offenen Vollzug). Der Ausländeranteil schwanke und liege meist zwischen 35 und 40 Prozent.

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[Text: Richard Schneider. Quelle: Pressekonferenz im sächsischen Justizministerium, 2016-10-13. Bild: Phoenix.]