Ohne Dolmetscher „wie ein Esel im Nebel“ – Studie zur Sprachmittlung bei der Geburtshilfe

Schwangere

Ein Forschungsteam unter der Leitung der Berner Fachhochschule BFH hat die Qualität der geburtshilflichen Gesundheitsversorgung von Migrantinnen in der Schweiz untersucht. Im Fokus standen dabei die kommunikativen Herausforderungen, die von den Migrantinnen, dem Fachpersonal, aber auch den Dolmetscherinnen wahrgenommen werden.

Interviews mit den Teilnehmerinnen der Studie zeigten, dass sprachliche Barrieren sehr oft zu mangelnden Kenntnissen über Betreuungsangebote führen und die Kommunikation erschweren.

Ohne Dolmetscher vor Ort oder am Telefon kein Zugang zu Information und Betreuung

In einer Evaluation des Einsatzes und der Wirkung von Dolmetschern in Spitälern konnte gezeigt werden, dass sich deren Einsatz positiv auf die Gesundheit der fremdsprachigen Mütter auswirkt.

Wenn Worte und Verständnis fehlen, können eine umfassende Betreuung und Beratung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett nicht gewährleistet werden. Fremdsprachigen Migrantinnen ist es ohne Dolmetscherinnen vor Ort oder am Telefon oft nicht möglich, ihre Fragen und Unsicherheiten anzusprechen und die Erklärungen der Fachpersonen zu Untersuchungen und Eingriffen zu verstehen.

Fremdsprachen Mütter
Häufigkeit der Muttersprachen der im Rahmen der Studie untersuchten Fälle (BKMS = Bosnisch, Kroatisch, Montenegrinisch, Serbisch).

Empfehlungen der Dolmetscherinnen

Die Dolmetscherinnen erkannten bei den Frauen oft den Wunsch, mehr über ihre Sorgen und Probleme zu sprechen, während die Fachpersonen bestrebt waren, möglichst viele Fachinformationen abzugeben und Entscheidungen treffen zu können. Die Dolmetschenden sahen sich selber in einer neutralen Rolle, setzten manchmal aber auch aktive Impulse bei der transkulturellen Vermittlung.

Die Dolmetschenden lieferten Hinweise darauf, was es für eine verbesserte Verständigung braucht. Beispielsweise sollten die Gespräche einfacher gestaltet und inhaltlich nicht überfrachtet werden, ausserdem sei es wichtig, sich genügend Zeit dafür zu nehmen. Im Vordergrund sollten dabei die für die Nutzerin unmittelbar relevanten Themen stehen. Das Dolmetschen vor Ort wird dabei vor allem bei komplexen oder intimen Themen den Telefondolmetschen vorgezogen, welches vor allem für kurze Informationen geeignet sei.

Interkulturelle Konflikte

Auch im Bereich der Geburtshilfe erschweren typische interkulturelle Konflikte die Verständigung:

(1) Frauen weigern sich, Männer als Dolmetscher zu akzeptieren – selbst dann, wenn diese nur per Telefon zugeschaltet sind:

  • Eine Hebamme berichtet: Ich wollte schon ein paar Mal den Telefon-Dolmetschdienst nutzen, und es konnte sich einfach keiner finden, weil die Frauen nicht wollten, dass ein Mann mit ihnen über ihre Brüste oder über Wochenfluss und Hämorrhoiden redet.

(2) Viele Frauen haben negative Klischees zur Verhütung. Einige sagen, die Europäer wollten sie unfruchtbar machen.

(3) Oft herrscht grundsätzliches Unverständnis für die europäische Perspektive, eine Geburt als medizinischen Notfall zu betrachten:

  • „Unsere Mütter gebären 10 Kinder in Eritrea, ohne Medikamente, ohne irgendeine Hilfe, und alles läuft ohne Probleme.“
  • „In unserem Land, in Eritrea, wird der Test nicht gemacht, man weiss, wenn das Kind da ist, ob es gesund ist oder nicht, und man akzeptiert das Kind wie es ist. Hier müssen uns die Ärzte nicht sagen, dass das Kind krank ist, ich finde es nicht so gut, wenn man das schon im Bauch sagt, und dann wird es abgetrieben, darum sollen sie es nicht sagen.“

Letztendlich sind sich aber alle über die Bedeutung der Sprachmittlung einig:

  • Eine werdende Mutter: „Das System zu verstehen ist sehr wichtig. Wenn man die Sprache nicht spricht, steht man wie ein Esel im Nebel.“

Dolmetschen durch Angehörige oft problematisch

Wenn keine professionellen Dolmetschdienste verfügbar waren, griff das medizinishe Personal häufig auf Laiendolmetscher zurück. Oft waren dies der Partner der Nutzerin, sonstige Angehörige, manchmal sogar Kinder oder Mitarbeiter des Spitals. Dank Mobiltelefonen und Smartphones werden zunehmend auch Angehörige via Telefon oder Skype kontaktiert.

Angehörige, so die Befragten, übersetzen jedoch manchmal nicht adäquat, weil sie nicht die nötigen Fachkenntnisse besitzen, weil sie selber betroffen sind oder weil sie die Frau vor beunruhigenden Informationen schützen wollten.

Darüber hinaus wurde beschrieben, dass Frauen ihre Fremdsprachenkompetenz manchmal hinter derjenigen des Mannes „verbargen“. Eine Krankenschwester berichtet: „Ich merke häufig, dass wenn Frauen nicht so gut Deutsch können und die Ehemänner übersetzen, sie auf einmal fast gar nicht Deutsch können, und sobald die Männer nicht mehr da sind, können sie super verstehen und es klappt wunderbar.“

Alle Interviewten bevorzugten das Dolmetschen vor Ort, weil die sprachliche Übermittlung einfacher sei und der Vertrauensaufbau besser gelinge als am Telefon. Telefondolmetschen sei jedoch besser als gar nichts. Eine sinnvolle Ergänzung seien gut aufbereitete Informationsbroschüren. Aber die Grundaussage lautet gemäss den Befragten: Ohne dolmetschen geht’s nicht.

Vor-Ort-Dolmetschen besser als Telefondolmetschen

NeugeborenesJe komplexer, intimer und emotional belastender die Gesprächsinhalte sind, desto eher sollte das Vor-Ort-Dolmetschen dem Telefondolmetschen vorgezogen werden, so die Studie.

Ferner sollten Kontinuität und der Vertrauensaufbau zu den Dolmetschenden durch strukturelle Massnahmen sichergestellt werden (z. B. fixe Sprechstundenzeiten von Dolmetschenden). Gespräche sollten nicht inhaltlich überfrachtet werden, weil sie dann die Nutzerinnen überfordern und letztlich kontraproduktiv sein können.

Telefondolmetschen stellt für kurze, einfache Informationen, das Ermitteln von Anliegen und das Beantworten von Fragen eine nützliche Alternative dar, die kurzfristig jederzeit verfügbar ist. Dies hat sich im spitalinternen und spitalexternen Setting bereits bewährt. In Notfallsituationen kann Telefondolmetschen sowohl hilfreich als auch problematisch sein, da ein Notfall per se mit hoher Komplexität und emotionaler Belastung verbunden ist.

In Schulungen können sowohl Fachpersonen als auch Dolmetschende gleichermassen auf die Herausforderungen eines Trialogs vorbereitet werden. Die Dachorganisation für das interkulturelle Dolmetschen und die Vermittlungsstellen können mit gezielten interdisziplinären Weiterbildungen die Qualität der Dienste fördern, indem neben gesprächstechnischen auch medizinische Themen vertieft werden. Ferner sollte das System der Vermittlung von Telefondolmetschenden so optimiert werden, dass die Vermittlungsdauer verkürzt wird.

Der Einsatz von Videodolmetschdiensten sollte geprüft werden, da diese Methode gegenüber dem Telefon das Potential hat, die Verständigung durch die zusätzliche Vermittlung von nonverbaler Kommunikation zu erleichtern.

Interkulturelles Dolmetschen in Leistungskatalog der Krankenpflegeversicherung aufnehmen

Die Autoren der Studie plädieren dafür, das interkulturelle Dolmetschen in den Leistungskatalog der obligatorischen Krankenpflegeversicherung aufzunehmen und in allen Kantonen flächendeckend und gleichermassen für stationäre und ambulante Bereiche verfügbar zu machen.

In erster Linie sei die Politik gefordert, Rahmenbedingungen für ein „Recht auf Verständigung“ zu schaffen. Fachgesellschaften und -verbände im Gesundheits- und Medizinbereich sollten die Umsetzung dieser Empfehlung unterstützen.

Bis die politischen Weichen gestellt sind, brauche es Übergangslösungen. Während die Gesundheitsinstitutionen aufgefordert sind, aktiv nach Finanzierungsmöglichkeiten zu suchen, sollten Kantone, Gemeinden oder Non-Profit-Organisationen Dolmetschleistungen unbürokratisch entgelten.

Weiterführende Links

[Text: Richard Schneider. Quelle: BFH, 2017-10-11. Bild: Zffoto / Fotolia.]