Dingsbums aus Dingskirchen: Am Anfang war das Ding, nicht das Wort

Manche Dinge haben keinen Namen. Oder nur wenige kennen ihn. Oder aber ein bestimmtes Wort fällt der sprechenden Person gerade nicht ein. Dann sagt man „Dings“, „Dingens“, „Dingsbums“ oder „Dingsda“.

In der gesprochenen Sprache werden diese Ausdrücke laut Duden „als Ersatz für ein beliebiges Substantiv, oft einen Namen verwendet“. Wenn man sich nicht sicher ist, woher etwas stammt, dann sagt man aus „Dingsda“ oder „Dingskirchen“ (Duden: „ugs. für einen unbekannten oder unbenannten Ort“).

Wissen Sie, wie das rechts abgebildete Haushaltsgerät, das der Beseitigung von Verstopfungen in Abflüssen dient, genannt wird? Jeder benutzt dieses „Ding“ ab und an und es verrichtet zuverlässig seine Dienste. Doch wenn jemand eine andere Person darum bittet, es ihm zu holen, versucht man zumindest das Aussehen und die Funktion der Sache zu beschreiben, da man nicht weiß, welchen Namen dieses „Ding“ hat. Wie nennt man nun diesen langen Holzstiel mit einer roten Gummikappe, der sowohl Ober- als auch Unterdruck erzeugt?

Dieses Haushaltsgerät heißt „Saugglocke“. Dieses Wort ist zumindest im Duden eingetragen. In der Umgangssprache sagt man dazu allerdings auch „Pümpel“ (Diminutiv von „Pumpe“), „Pumpfix“, „Stopfstecken“, „Klostampfer“, „Fluppi“, „Gummistumpen“, „Planscher“ oder „Ausgussreiniger“, ebenso „Plömper“, „Hebamme“, im norddeutschen Dialekt „Pömpel“ oder „Plümper“, in Franken „Siphonreiniger“, in der Oberlausitz „Prömpel“ und in Österreich auch „Saug-Hektor“ (nach dem ersten Hersteller) oder „Steßl“ (zu „stoßen“). Weitere Synonyme sind „(Gummi-)Nupfer“, „Pömpel“, „Gummisauger“, „Klostopfer“, „Saugheber“, „Saugstampfer“ und „Toilettentoni“.

Es gibt sehr viele Dinge in der Warenwelt, die keinen Namen haben oder deren Namen in Vergessenheit geraten sind. Dies ist beispielsweise bei dem Kleiderhaken aus Plastik im Umkleideschrank des Schwimmbades der Fall, an dem noch ein Netz und ein nach unten verlängerter Haken angebracht sind. Es wird angenommen, dass das Netz für die Unterbringung der Unterwäsche und Socken gedacht ist. Kaum einer verwendet das Netz jedoch so.

Wie heißt das schmale Teil auf dem Warenband zur Supermarktkasse, mit dem der eine Kunde seinen Einkauf von dem des nächsten abtrennt? Dieses stabähnliche Gebilde von etwa 30 cm Länge? Laut einer kurzen, nicht repräsentativen Umfrage gaben Dresdner Verkäuferinnen an, nicht zu wissen, womit sie jeden Tag zu tun haben. „Das haben Kunden schon so oft gefragt“, so eine ratlos mit den Schultern zuckende Verkäuferin. Hätten Sie es gewusst? Man nennt das Teil „Warentrenner“. Weitere Bezeichnungen sind „Warentrennholz“, „Warentrennstab“, „Kundentrennstab“, „Kassentrenner“, „Kundentrenner“, „Separator“, „Holz“, „Reklameriegel“, „Kassentoblerone“ und „Näkubi“ (für „Nächster Kunde bitte“).

Der Grund dafür, dass sich keiner dieser Begriffe in der deutschen Sprache durchgesetzt hat, liegt in der Sprachökonomie: Der Mensch benennt, was ihm zu benennen wichtig erscheint, da er ständig darüber reden muss. Für alles andere spart er sich den Aufwand. „Wir benutzen viele Dinge fast jeden Tag, haben aber selten die Gelegenheit, uns darüber auszutauschen“, erklärt der Sprachwissenschaftler Reinhard Fiehler vom Institut für Deutsche Sprache in Mannheim. Fiehler nennt semantische Lücke, was nicht nur auf Alltagsgegenstände, sondern auch auf weniger Greifbares zu übertragen ist.

Ein Beispiel zur Verdeutlichung. „Es gibt die Jugend und es gibt das Alter. Aber wie heißt die Generation dazwischen?“, fragt Reinhard Fiehler. Die Generation, die sich aus den „TwentySomethings“, „Best Agern“, „Babyboomern“ und der „Generation Praktikum“ zusammensetzt? Fiehler hat sich entschieden, diese Generation schlicht und einfach „Mittlere Generation“ zu nennen. „Für den Regelfall gibt es keinen prägnanten Begriff“, so der Linguist. „Häufiger benennen wir die Abweichung.“

Wie lautet das Antonym zu durstig? Wohl kaum „betrunken“. Ein großer deutscher Eistee-Hersteller hat 1999 in Zusammenarbeit mit dem Duden nach einem passenden Adjektiv dafür gesucht. Mehr als 100.000 Vorschläge wurden an die Jury geschickt. Darunter waren „nimedu“ für „nicht mehr durstig“ oder „dulo“ für „durstlos“, außerdem „gewässert“, „gelöscht“ und „abgefüllt“. Letztlich machte der Begriff „sitt“ das Rennen. Die Begründung der Duden-Redaktion lautete: „Es ist leicht sprechbar und bildet außerdem mit seinem Kollegen ’satt‘ einen Stabreim.“ Ferner bedeute das lateinische „sitim sidare“ auf Deutsch „den Durst löschen“. In die Alltagssprache des 21. Jahrhunderts ist „sitt“ aber nicht übergegangen. Sogar der Duden verwendet nicht mehr diese Wortneuschöpfung.

Doch wie die Menschen sind auch Sprachen nicht perfekt. „Sie weisen wie alles natürliche Mängel auf“, so Fiehler. Der Deutsche behilft sich, indem er umschreibend komponiert: Kettenkugelimpulsmobiledingsbums. Markennamen werden zu Produktbezeichnungen. So sagt man häufig „Tempo“, wenn man ein „Papiertaschentuch“ meint, „Tesa“ zum „Klebestreifen“ oder „Zewa“ für „Küchenrolle“. Zudem „googelt“ jeder, wenn er im Internet etwas sucht.

Am Anfang war das Ding, nicht das Wort. Und wer die Dinge beherrschen wollte, gab ihnen schlichtweg einen Namen. In der deutschen Sprache können wir uns der Kompositabildung bedienen, die schließlich äußerst produktiv ist. Heutzutage ist es jedoch auch fast schon gar nicht mehr möglich, für alles einen Namen zu haben bzw. jeden Begriff zu kennen. Die Produktion von Gütern hat nämlich den Erfindungsreichtum der Menschen eingeholt.

[Text: Jessica Antosik. Quelle: vds-ev.de, September 2011; Duden; Wikipedia. Bild: Frank C. Müller (Wikipedia).]