Dolmetscher und Übersetzer werden schon in Bibel erwähnt – Zweitältester Beruf der Welt?

Dolmetscherrelief
Der Dolmetscher als „gespaltene Persönlichkeit“: links dem Pharao und rechts den Bittstellern (besiegten Feinden) zugewandt. Das Dolmetscher-Relief aus dem Grab des Pharaos Haremhab in Memphis stammt aus dem Jahr 1330 v. Chr. Mit einem Alter von mehr als 3.300 Jahren galt es lange als älteste bekannte bildliche Darstellung eines Dolmetschers. Dass es sich um einen Dolmetscher - und nicht um einen Unterhändler oder Diplomaten - handelt, geht aus den Texten hervor, die in das Relief gemeißelt sind.

Übersetzer und Dolmetscher können sich darauf berufen, dass ihre Berufe nachweislich bereits vor mehr als 5000 Jahren existierten und auch in den teils 2600 Jahre alten Texten der Bibel erwähnt werden. Welcher Customer Relationship Manager kann das schon von sich behaupten?

Dolmetschen und Übersetzen kein Phänomen der Neuzeit und Globalisierung

Gelegentlich hört man, dass das Dolmetschen und Übersetzen ein Phänomen der Neuzeit und eine Begleiterscheinung der Globalisierung sei. Eine Professionalisierung von Ausbildung und Berufsausübung habe erst Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts eingesetzt.

Das ist nicht richtig. Nicht ohne Grund wird das Dolmetschen scherzhaft auch als zweitältester Beruf der Welt bezeichnet.

Sprachmittler gibt es, seit die Völker verschiedene Sprachen sprechen. Es gab sie schon lange vor Erfindung der Schrift, die vor rund 6.000 Jahren entstand. Auch den hauptberuflich tätigen und verbeamteten Übersetzer und Dolmetscher in Diensten des Staates gibt es bereits seit Jahrtausenden.

Das Wort „Dolmetscher“ steht im 1. Buch Mose (Genesis)

In den Texten der Bibel wird sowohl die Berufsbezeichnung Dolmetscher als auch die Tätigkeit des Übersetzens und deren Produkt, die Übersetzung, zwar selten, aber doch ausdrücklich und in der bis heute unveränderten Bedeutung erwähnt.

Das Wort „Dolmetscher“ kommt nur ein einziges Mal in der Bibel vor, und zwar im Alten Testament, 1. Buch Mose (Genesis), Kapitel 42 (Josefs Brüder kommen nach Ägypten), Vers 23. Dort heißt es:

Weil Josef sich mit ihnen durch einen Dolmetscher verständigte, ahnten sie nicht, dass er alles verstand. (Übersetzung: Gute-Nachricht-Bibel, 2018)
Auf Latein: Nesciebant autem quod intellegeret Ioseph eo quod per interpretem loquebatur ad eos.

Es geht hier nicht um den Josef aus der Weihnachtsgeschichte (den mit Maria und dem Jesuskind), sondern um die Hauptfigur der Geschichte von Josef und seinen Brüdern.

In der oben zitierten Szene empfängt Josef als hoher Beamter am Hof des Pharaos seine Brüder als Bittsteller. Diese hatten ihn Jahre vorher als Sklave nach Ägypten verkauft und erkennen ihn nicht wieder.

Weil er einen Dolmetscher benutzt, um sich mit ihnen zu verständigen, ist ihnen nicht bewusst, dass er auch ohne Dolmetscher alles versteht, was sie zu ihm oder untereinander sagen.

Der Dolmetschervers in Übersetzungsvarianten

  • Weil Josef sich mit ihnen durch einen Dolmetscher verständigte, ahnten sie nicht, dass er alles verstand. (Gute-Nachricht-Bibel, 2018)
  • Sie ahnten nicht, dass Josef sie verstand, denn vorher hatte er durch einen Dolmetscher mit ihnen geredet. (Hoffnung für alle, 2015)
  • Sie wussten aber nicht, dass Joseph sie verstand; denn er verkehrte mit ihnen durch einen Dolmetscher. (Schlachter, 2000)
  • Sie wussten aber nicht, dass es Josef verstand; denn er redete mit ihnen durch einen Dolmetscher. (Lutherbibel, 2017)
  • Sie wussten aber nicht, dass Josef es verstand, denn ein Dolmetscher vermittelte zwischen ihnen. (Zürcher Bibel, 2007)
  • Sie wussten nicht, dass Josef sie verstand. Denn ein Übersetzer vermittelte zwischen ihnen. (Basis-Bibel, 2021)
  • Sie aber wussten nicht, dass Josef zuhörte, denn zwischen ihnen vermittelte ein Dolmetscher. (Einheitsübersetzung, 2016)
  • Sie aber erkannten nicht, dass Josef es verstand, denn der Dolmetscher war zwischen ihnen. (Elberfelder Bibel, 2006)
Dolmetscherrelief Haremhab Gesamtschau
Das Dolmetscherrelief aus dem Grab des Haremhab in der Gesamtschau. Der Dolmetscher ist unten in der Mitte zu sehen. (Das Bild zeigt einen Abguss. Das Original ist in drei Teile zersägt und auf drei verschiedene Museen verteilt. Die Platte mit dem Dolmetscher ist im niederländischen Leiden zu besichtigen.)

Übersetzungen werden in den Büchern Ester und Esra erwähnt

Die Arbeit von Übersetzern wird im Buch Ester beschrieben, das ebenfalls Teil des Alten Testaments ist:

Ester 1,22:
Er [König Ahasveros] sandte Schreiben an alle königlichen Provinzen, an jede Provinz in ihrer eigenen Schrift und an jedes Volk in seiner Sprache, […].

Ester 3,12:
Am dreizehnten Tag des ersten Monats wurden die Schreiber des Königs gerufen. Man schrieb an die Satrapen des Königs, die Statthalter der einzelnen Provinzen und die Fürsten aller Völker der einzelnen Provinzen in ihrer eigenen Schrift und Sprache alles genau so, wie es Haman befohlen hatte.

Ester 8,9:
Da rief man die königlichen Schreiber; es war der dreiundzwanzigste Tag im dritten Monat, dem Monat Siwan. Und so, wie es Mordechai befahl, wurde zugunsten der Juden ein schriftlicher Erlass herausgegeben und an die Satrapen, Statthalter und Fürsten der hundertsiebenundzwanzig Provinzen von Indien bis Kusch geschickt, für jede einzelne Provinz in ihrer eigenen Schrift und für jedes einzelne Volk in seiner eigenen Sprache.

Das Buch Esra gehört ebenfalls zum Alten Testament. In dem ursprünglich überwiegend auf Hebräisch, teils aber auch in aramäischer Sprache geschriebenen Text kommen die Wörter „übersetzt“ und „Übersetzung“ vor:

Esra 4,7:
In der Zeit des Artaxerxes schrieb Bischlam zusammen mit Mitredat, Tabeel und seinen übrigen Amtsgenossen an den König Artaxerxes von Persien. Der Brief war ins Aramäische übersetzt und in aramäischer Schrift geschrieben.

Esra 4,17 und 18:
Der König schickte folgende Erwiderung: An den Befehlshaber Rehum und den Schreiber Schimschai sowie ihre übrigen Genossen, die in Samaria und dem übrigen Gebiet jenseits des Stroms wohnen, meinen Gruß. Das Schriftstück, das ihr an uns gesandt habt, ist mir in Übersetzung vorgelesen worden.

Schon bei den Pharaonen gab es Dolmetscher und Chefdolmetscher

Ingrid Kurz weist in ihrem Aufsatz „Das Dolmetscher-Relief aus dem Grab des Haremhab in Memphis – Ein Beitrag zur Geschichte des Dolmetschens im alten Ägypten“ (Babel, Volume 32, Issue 2, Januar 1986, S. 73-77) darauf hin, dass es bereits vor 5.000 Jahren bei den Pharaonen Dolmetscher und „Vorsteher der Dolmetscher“ gab:

Die ältesten historischen Zeugnisse vom Dolmetschen stammen aus der Pyramidenzeit aus dem südägyptischen Grenzgebiet, dem Gau von Elephantine. Hier herrschten die Ägypter über die ansässige nubische Bevölkerung, und Dolmetscher waren in der Verwaltung tätig. Und von hier aus unternahmen die Ägypter monatelang dauernde Expeditionen und Kriegszüge nilaufwärts, deren Durchführung als eine schwierige Aufgabe galt und bei denen Dolmetscher unerläßlich waren.

Schon im dritten Jahrtausend v. Chr., in der 6. Dynastie des Alten Reiches, führten die Gaugrafen von Elephantine mit Stolz den Titel „Vorsteher der Dragomane“ oder „Leiter der Dolmetscher“. Die Inschriften in den Felsengräbern von Assuan geben ein beredtes Zeugnis von diesen Unternehmungen. (KURZ) Auch die Führung der Schiffe ins Gottesland Punt vertraute man im Alten Reich den „Dragomanen“ von Elephantine an, die für alle Länder im Süden und Südosten zu Wasser und zu Lande als zuständig galten. (KEES)

Ebenso gab es in der Residenz Memphis Dolmetscher, die in der Verwaltung tätig waren. So trug ein Mann beispielsweise den Titel „Vorsteher der Dolmetscher, Leiter der Botschaften, Hüter des weißen Stieres und Hofmann“. (HERMANN) Ihre Aufgabe bestand u. a. darin, den Gesandten fremder Völker und Stämme die Beschlüsse des Pharaos mitzuteilen. Die nachstehend beschriebene Reliefszene aus dem Grab des Haremhab ist ein Beispiel dafür.

Mehrsprachige Beamte in der Verwaltung muß es in allen altorientalischen Hochkulturen gegeben haben. Denn wie hätten sich sonst die Großreiche der Sumerer, Assyrer, Babylonier und Hethiter mit ihren verschiedensprachigen Völkern und Stämmen regieren und verwalten lassen? Die vielen mehrsprachigen Inschriften auf Felsen und Tontafeln beweisen dies. Für die kulturellen, wirtschaftlichen, politischen und kriegerischen Beziehungen zwischen den altorientalischen Reichen gab es fremdsprachlich geschulte Diplomaten.

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[Text: Richard Schneider. Bild: van Oudheden / Rijksmuseum Leiden; Winfried Ulrich.]

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