Die Übersetzer von Günter Grass: „sehr sympathische, höfliche und leise sprechende Menschen“

Günter-Grass-Haus
Das Günter-Grass-Haus in Lübeck.
In Lübeck fand in der vergangenen Woche erneut ein dreitägiges Übersetzertreffen statt. Seit 1978 lädt Günter Grass bei jeder Neuerscheinung aus seiner Feder seine Übersetzer zu einer Gesprächsrunde ein, um Hilfestellung bei übersetzerischen Fragen zu geben. Diesmal ging es allerdings um das lyrische Gesamtwerk des 85-jährigen Nobelpreisträgers.

Das Recht, diese „Familientreffen“ zu veranstalten, hat Grass in seinen Verträgen mit dem Steidl-Verlag ausdrücklich verankert. Der Verlag übernimmt außerdem den Großteil der Kosten der Veranstaltung. Versammlungsort war diesmal das „Günter Grass-Haus“, dem sowohl online als auch in gedruckten Unterlagen und auf den Schildern vor Ort ein Bindestrich fehlt.

Dieses Jahr waren elf Übersetzer aus neun Ländern der Einladung gefolgt, darunter der Däne Pehr Ohrgaard, der in Frankfurt lebende Chinese Hongjun Cai und Slawomir Blaut, der seit 45 Jahren Grass ins Polnische überträgt. Grass kennt die meisten seit Jahrzehnten.

Zu Beginn zitiert Grass-Lektor Dieter Stolz, der als Moderator der Runde fungiert, den Philosophen Friedrich Nietzsche, der die Arbeit der Philologen als „Goldschmiedekunst des Wortes“ bezeichnete, und er erinnert an ein Grass-Bonmot: „Übersetzer sind die genauesten Leser, sie nehmen den Autor beim Wort.“

Zum weiteren Verlauf des Arbeitstreffens schreibt die Süddeutsche Zeitung:

Für die Übersetzer ist es eine besondere Ehre, dabei zu sein, wie sie sagen. […] Das Übersetzertreffen zu Günter Grass‘ sechzig Jahre währender Gedichtproduktion ist nämlich eine Versammlung von sehr sympathischen, höflichen und leise sprechenden Menschen, die sich selbst als „Familie“ bezeichnen, weil sie sich Grass so nahe fühlen.

Typische Übersetzer-Probleme tauchten natürlich auch dann und wann auf. Ob es wichtiger sei, den Rhythmus zu bewahren oder die Reime und Alliterationen? Womit man ein Wort wie „begabt“ übersetzt, das es in den meisten Heimatsprachen der Anwesenden so nicht gibt? Und wie man das Geräusch der Ostseewellen, das Grass in dem autobiografischen Gedicht „Kleckerburg“ mit „Blubb, pifff, pschsch …“ wiedergibt, ins Chinesische transformiert? „Gluu, puu, pfff …“ ist die Antwort des chinesischen Grass-Übersetzers Hongjun Cai unter allgemeinem Gelächter. Ja, man hat sich gern in diesem Kreis und behandelt selbst trockene Fachprobleme mit dem nötigen Humor.

In einer Kaffeepause erklärt Grass einem der anwesenden interessierten Journalisten: „Sie können davon ausgehen, dass Übersetzungen mit Verlust einhergehen, aber manchmal auch mit einem gewissen Gewinn – ein lyrischer Text kann auch stärker werden.“

[Text: Richard Schneider. Quelle: Süddeutsche Zeitung, 2013-02-13; Schleswig-Holsteinische Zeitung, 2013-02-12; dpa, 2013-02-11. Bild: Garitzko (gemeinfrei).]

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