„Übersetzer im Gespräch“: Goethe-Institut Warschau hat 36 Literaturübersetzer befragt

Warschau
In der Warschauer Altstadt

Hätte Wisława Szymborskas schwedischer Übersetzer nicht Anders Bodegård geheißen, hätte die polnische Dichterin dann auch den Nobelpreis für Literatur erhalten? Wohl kaum – dies behaupten zumindest einige Kenner, die es eigentlich wissen müssten. Die Rolle der Übersetzer bei der Wahl der Schwedischen Akademie kann gar nicht hoch genug veranschlagt werden.

Das Goethe-Institut hat diesem bedeutsamen Umstand in seiner Reihe „Übersetzer im Gespräch“ Rechnung getragen und Vertreter der Zunft (darunter auch Übersetzer mehrerer Nobelpreisträger) zu Wort kommen lassen: In den letzten drei Jahren sind so nach und nach fast vierzig polnische und deutsche Literaturübersetzer zu ihrer Berufswahl, ihrer Arbeit, ihrem Selbstverständnis als Kulturmittler und ihrem Verhältnis zu den von ihnen übersetzten Autoren befragt worden.

In die gleiche Kerbe schlägt auch die polnische Übersetzerin Małgorzata Łukasiewicz, die zu Recht in Zweifel zieht, dass Günter Grass’ Erfolg in Polen ein Selbstläufer war: „Stellen wir uns zum Beispiel vor, Günter Grass […] wäre seinerzeit in Polen nicht auf einen Übersetzer wie Sławomir Błaut gestoßen. Wir hätten vielleicht irgendeinen Grass auf Polnisch, aber das wäre vermutlich ein langweiliger, schwerfälliger Grass, nicht einer, der durch sprachlichen Einfallsreichtum fasziniert. Man hätte keine Lust, ihn zu lesen, um seine Bücher würde sich kaum jemand scheren.“

Persönlichkeit des Übersetzenden wichtiger als gemeinhin angenommen

Die beiden Beispiele zeigen, dass der Persönlichkeit des Übersetzenden ein größeres Gewicht zukommt als gemeinhin angenommen wird. In der Reihe des Goethe-Instituts werden einzelne Artgenossen dieser Spezies porträtiert, die im Allgemeinen eher ein Schattendasein fristet. In den Gesprächen kommt der Mensch hinter dem Übersetzer zum Vorschein, von dem in aller Regel erwartet wird, dass er vornehm hinter dem Autor zurücktritt, am besten er macht sich gleich ganz unsichtbar.

Selbstbewusste Überzeugungstäter

Der ideale Übersetzer, so ist immer wieder zu hören, müsse so etwas wie ein Medium sein, dessen Existenz im Idealfall vom Leser nicht einmal bemerkt wird, denn die Übersetzung dürfe nicht als eine solche wahrgenommen werden, heißt es.

Der Übersetzer, das unbekannte Wesen, der demütiger Arbeiter im Weinberg der Literatur? Liest man die einzelnen „Gespräche“, wird schnell klar, dass man es mit selbstbewussten Überzeugungstätern zu tun hat, die nicht im Affekt handeln, sondern nur allzu gut wissen, was sie machen. Es sind häufig Eiferer, die sich auch von geringer Wertschätzung und miesen materiellen Bedingungen nicht abschrecken lassen.

Übersetzen als Berufung, Ehrenamt, Glaubensbekenntnis

Viele der Befragten verstehen das Übersetzen als Berufung, andere wie Karl Dedecius gar als Ehrenamt („übersetzt habe ich fast ausschließlich ehrenamtlich“). Manch einer wartet sogar mit seinem eigenen, „privaten“ Glaubensbekenntnis auf (Roswitha Matwin-Buschmann). Wieder andere sind von einer fremden Kultur dermaßen fasziniert, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes über-setzen, sprich überlaufen, in der fremden Kultur sich eine neue Heimat errichten und das eigene Leben zu einer einzigen Übersetzung (v)erklären (Marlis Lami). Zudem gibt es die Fraktion der verhinderten (Sława Lisiecka) oder angehenden Schriftsteller, die zuerst übersetzten und erst später mit dem eigenen Schreiben begannen (Jakub Ekier).

Eher Sisyphos als Hieronymus?

Die Übersetzerschaft sieht sich eher der Tradition eines Sisyphos denn eines Hieronymus verpflichtet: „Es sind immer wieder andere Autoren, die mich durch irgendetwas begeistern, woraufhin ihr erstes Buch in Polen ein spektakulärer Misserfolg wird – und ich meine Suche von neuem beginne …“ (Ryszard Wojnakowski).

Die Aussagen der Porträtierten verknüpfen sich zu einem Netz von Querverbindungen, Assoziationen, Widersprüchen und Bezügen. Während Ryszard Wojnakowski seine skandinavischen und niederländischen Kollegen beneidet, die beim Übersetzen aus dem Deutschen, aufgrund der Ähnlichkeit der Sprachen, nicht einmal ins Schwitzen geraten, kann Sven Sellmer, der auch aus dem Sanskrit übersetzt, darüber nur schmunzeln.

Katarzyna Leszczyńska suchte jahrelang nach einem polnischen Verleger für Hannah Arendts Biographie Rahel Varnhagen, Małgorzata Łukasiewicz dagegen gibt sich mit einer Biographie nicht zufrieden, sie hätte sich am liebsten mit der Philosophin persönlich unterhalten. Agnieszka Kowaluk erklärt, wieso das Übersetzen nicht als reines Verlustgeschäft zu betrachten sei und bringt den von Barańczak geprägten Begriff der „Ökonomie der Übersetzung“ ins Spiel, Maciej Ganczar wiederum spricht ganz konkret von den Schwierigkeiten beim Übersetzen der inzwischen antiquierten Wirtschaftssprache in Hermann Brochs Dramen. Als fremd an der an sich so vertrauten Kultur, die man ja berufsmäßig zu vermitteln trachtet, empfindet Jacek Buras den preußischen Nationalismus, Ursula Kiermeier hingegen den polnischen Messianismus. Die Aufzählung ließe sich beliebig weiterführen.

Gesprächsreihe bringt Literaturübersetzer ins Licht der Öffentlichkeit

Auf diese Weise entsteht ein Dialog zwischen den Übersetzern. Der Übersetzer wird nicht nur als sonderbares Einzelwesen ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt, sondern auch seiner Vereinzelung entrissen, in seinen vielfältigen Varianten und Ausformungen gezeigt. Das ist das ganz besondere Verdienst dieser Umfrage. Man sieht diverse, ganz unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungen, man entdeckt immer neue Aspekte und Facetten des Übersetzerhandwerks, von denen man nicht einmal geahnt hat, dass sie existieren.

Nur eins würde man dann doch noch gerne wissen. Wie hat nun Jacek Buras in Thomas Bernhards Theatermacher den dienstäglichen Blutwursttag ins Polnische übersetzt? Welche Lösung hat er nach tagelangem Grübeln gefunden, als er schon kurz davor war, hinzuschmeißen. Vielleicht lag es ja gerade am mangelnden Beharrungsvermögen und Einfallsreichtum des schwedischen Bernhard-Übersetzers, dass das Lebenswerk dieses bedeutenden deutschsprachigen Autors nicht mit dem Literaturnobelpreis gekrönt wurde. Ein interessanter Gedanke, der aber dann doch weit übers Ziel hinausschießt.

Zum Autor Andreas Volk

Andreas Volk, der Autor dieses Artikels, wurde 1971 geboren und lebt in Warschau. Er studierte Slawistik und Vergleichende Mitteleuropastudien in Lublin, Berlin und Frankfurt/Oder. Seit 2000 ist er freiberuflicher Übersetzer polnischer Literatur, seit 2009 Koordinator des Projekts „Translation Studies“ am Collegium Polonicum in Słubice. Darüber hinaus arbeitet er als Redakteur der in Krakau erscheinenden deutsch-polnisch-ukrainischen Literaturzeitschrift „radar“ und ist Mitherausgeber des deutsch-polnischen Übersetzungsjahrbuchs „OderÜbersetzen“.

Link zur Interview-Reihe „Übersetzer im Gespräch“

Die bislang 36 Gespräche mit Literaturübersetzern können Sie auf der Website des Warschauer Goethe-Instituts lesen:

www.goethe.de/uebersetzergespraech

[Text: Andreas Volk. Quelle: Mitteilung des Goethe-Instituts Warschau, Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. Bild: Jackyserko/Fotolia.de.]