„Vorbildliches akademisches Sprachen-Institut“ – Das Heidelberger Dolmetscher-Institut im Nationalsozialismus

Die Universität Heidelberg imNationalsozialismus
Bild: Springer

Im 2006 erschienenen Buch Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus widmet sich ein Kapitel der Geschichte des Dolmetscher-Instituts der Universität Heidelberg in der Zeit von 1933 bis 1945. Nachfolgend eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten darin dargelegten Fakten:

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Ursprünglich wurde das Institut zur sprach- und wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung von Dolmetschern 1931 an der Mannheimer Handelshochschule eingerichtet. 1934 wurde es an die Universität der Nachbarstadt Heidelberg verlegt.

Nach Medizin größtes Institut der Uni Heidelberg

Das Dolmetscher-Institut wuchs schnell: Im Wintersemester 1934/35 unterrichteten lediglich 3 Lektoren und Sprachlehrbeauftragten 84 Studierende. Neun Jahre später, im Sommersemester 1943, war die Zahl der Lehrkräfte auf rund 30 und die der Studierenden auf 643 angewachsen. Schon bei Kriegsbeginn war das Dolmetscher-Institut das zahlenmäßig bestbesuchte nichtmedizinische Institut der Universität Heidelberg.

Das Sprachenangebot wurde in dieser Zeit von Englisch und Französisch (im Hauptfach)  mit Spanisch, Italienisch und Russisch im Nebenfach um die Sprachen Niederländisch, Rumänisch, Japanisch, Portugiesisch, Bulgarisch, Polnisch und Schwedisch ergänzt.

Die Studentenschaft war weiblich dominiert. Der Anteil der männlichen Studenten lag zwischen 1934 und 1945 nie höher als 15 %.

Im Wintersemester 1935/36 wurden die bis heute stattfindenden Montagskonferenzen eingeführt. Das sind allen Studierenden offenstehende Vorträge, die als praxisnahe Übung simultan und konsekutiv gedolmetscht werden.

Als Abschlüsse wurden der „akademisch geprüfte Übersetzer“ und der „Diplom-Dolmetscher“ angeboten.

Streit über Studienausrichtung und Verlagerung an Handelsschule

Über die pädagogische Gestaltung der Studiengänge und die Frage, ob ein solches Institut überhaupt an eine Universität oder eher an eine Handelsschule gehört, entwickelten sich langjährige Grabenkämpfe. „Die Existenzberechtigung des Instituts wurde vielfach in Frage gestellt“, heißt es in dem Aufsatz.

Dolmetscher-Institut bleibt bei Kriegsbeginn geöffnet, weil kriegsrelevant

Als unverzichtbar erwies sich das Institut jedoch bei der Vorbereitung und Durchführung des Weltkriegs. Schon seit 1934 diente es unter anderem auch „zur Wehrhaftmachung auf auslandskundlichem und außenpolitischem Gebiet“.

„Die Gefahr liegt manchmal nahe, beim Studium fremder Nationen die Verbindung zur eigenen zu verlieren“, so der Lektor Gustav A. Jekel 1936 in „Der Heidelberger Student“. Deshalb sei es insbesondere den Dolmetschern aufgegeben, sich unbedingt zum Nationalsozialismus zu bekennen.

Bei Kriegsbeginn blieb das Dolmetscher-Institut im Gegensatz zu allen anderen Instituten der Universität wegen seiner Kriegsrelevanz geöffnet. Im Aufsatz heißt es:

Mit den deutschen Eroberungen wuchs der Bedarf an geprüften „Wehrmachtssprachmittlern“ schnell an. So bot das Dolmetscher-Institut englische, französische, spanische, italienische und russische Sprachkurse für Wehrmachtsangehörige an.

Im Rahmen des 1939 ins Leben gerufenen „studentischen Kriegspropagandaeinsatzes“ hatte es sich der Heidelberger „Arbeitskreis Volksaufklärung der deutschen Studentinnen“ am Institut zur Aufgabe erkoren, die ausländische Presse nach Material für die antienglische Propaganda zu durchsuchen.

Neben ihren zur Wehrmacht eingezogenen männlichen Kommilitonen wurden auch einige Studentinnen zum „Westeinsatz“ als Dolmetscherinnen für den SD und die Militärverwaltung kostenfrei beurlaubt.

Die „Großpläne“ der Universität Heidelberg aus dem Jahr 1940/41 sahen eine verstärkte Ausrichtung der gesamten Universität auf die Auslandskunde vor. Darin nahm das Dolmetscher-Institut eine zentrale Rolle ein.

„Das vorbildliche akademische Sprachen-Institut Deutschlands schlechthin“

Vierzehn Jahre nach Eingliederung in die Universität war von einer Schließung oder Verlagerung an eine Handelsschule längst keine Rede mehr. DI-Direktor Mönch schrieb 1944 an den Rektor der Universität:

Im Urteil aller wirklich sachkundigen und zuständigen Stellen – unter diesen möchte ich außer  dem Reichserziehungsministerium das Auswärtige Amt, die Wehrmacht, das Reichssicherheitshauptamt, die deutsche Industrie und das Auslandsamt der Dozentenschaft nennen – ist das Dolmetscher-Institut das vorbildliche akademische Sprachen-Institut Deutschlands schlechthin.

Bibliografische Angaben

  • Wolfgang Uwe Eckart, Volker Sellin, Eike Wolgast (Hg., 2006): Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus. Springer Verlag. 1278 Seiten, 396,99 Euro, ISBN 978-3540214427.

Richard Schneider