Die unsichtbare Kunst des Übersetzens: Alexandra Jordan im Porträt

Alexandra Jordan
Alexandra Jordan - Bild: privat

Ein Gastbeitrag von Nicola Trampert

Alexandra Jordan ist Literaturübersetzerin. In ihrem Beruf hat sie gelernt, neue Welten sichtbar zu machen, ohne dabei selbst sichtbar zu werden. Damit hat sie eine hohe kulturelle Verantwortung übernommen.

„We can, through perfecting the arts of translation, achieve what humanity lost at Babel. […] What we are doing is magic.” (Babel, Rebecca Kuang)

“Indem wir die Kunst der Übersetzung perfektionieren, können wir das zurückgewinnen, was die Menschheit in Babel verloren hat. […] Wir wirken hier Magie.“ (Übersetzung Babel, Alexandra Jordan)

Das sagt Professor Playfair bei der Einführung in die Translationstheorie in Rebecca Kuangs 2022 erschienenem Roman Babel, der inzwischen zum Weltbestseller geworden ist. Dass Übersetzen „Magie“ ist, weiß Alexandra Jordan schon lange. Deshalb hat es sich auch ein bisschen magisch für sie angefühlt, als sie das Zitat des fiktiven Oxford-Professors ins Deutsche übersetzt hat.

Für die 32-Jährige ist die Übersetzung von Babel das größte Werk ihrer bisherigen Karriere, ihr „Herzensprojekt“. Ein stolzes Lächeln trägt sie im Gesicht, als sie das Wort ausspricht.

Alexandra sitzt im Meetingraum ihres Büros, ein edel eingerichtetes Coworking-Space mit dunklen Wänden und modernen Akzenten, in der Altstadt von Münster. Sie hat langes, mittelblondes Haar und trägt eine Brille. Ihr Gesicht wirkt jung, doch ihr Blick ist entschlossen und sicher, als sie von den Herausforderungen der Romanübersetzung erzählt.

„Besonders wichtig war, dass die Sprache trotz der düsteren Erzählkulisse aus dem 19. Jahrhundert modern und jugendlich wirkt, so wie im Original, weil der Übersetzer bei einer guten Übersetzung quasi unsichtbar sein muss“, sagt sie.

R. F. Kuang: Babel
R. F. Kuang: Babel. Ins Deutsche übertragen von Alexandra Jordan. – Bild: HarperVoyager / Eichborn

Aus ihren Augen spricht dabei Selbstsicherheit. Unsichtbar und selbstsicher zugleich zu sein, das hat sie in ihrem Beruf gelernt, denn sie bewegt sich täglich auf einem schmalen Grat zwischen Loyalität und Verantwortung. Beim Übersetzen muss sie den AutorInnen stets treu bleiben und zugleich deren Ideen so übertragen, dass sie von den LeserInnen verstanden werden. Wenn die LeserInnen nicht bemerken, dass sie gerade eine Übersetzung in den Händen halten, weiß Alexandra, dass sie gute Arbeit geleistet hat.

An den Übertragungen von insgesamt 12 Romanen und 3 Sachbüchern ins Deutsche hat sie bisher mitgewirkt. Vor allem mit den Übersetzungen junger AutorInnen, wie Olivie Blake und Rebecca Kuang, hat sie dazu beigetragen, neue boomende Literaturtrends, wie „Dark academia meets fantasy“, nach Deutschland zu bringen.

Alexandra hat sich selbst bereits früh in fiktiven Welten zuhause gefühlt. Als Kind und Jugendliche hat sie diese in Büchern und Videospielen gefunden. Durch ihren Beruf bringt sie genau diese Welten heute in die Gegenwart, indem sie sie für neue LeserInnen zugänglich macht.

Sie stammt ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen. Studiert hat sie am Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Universität Mainz in Germersheim (FTSK Germersheim) und an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, wo sie 2019 ihren Masterabschluss im Fach Literaturübersetzen absolviert hat.

Direkt im Anschluss ist sie als Freiberuflerin durchgestartet und erhielt erste Aufträge zu Literatur- und Gaming-Übersetzungen vom S. Fischer Verlag, wo sie als Spiele-Nerd und Bücherwurm bekannt wurde.

88 Names, 88 Namen
Matt Ruff: 88 Names / 88 Namen – Bild: Harper / Fischer Tor

Ein entscheidender Schritt tat sich 2020 auf, als sie von ihrem Lektor den ersten Auftrag zur Übersetzung eines Romans erhielt: 88 Names von Matt Ruff.

„Er war mir einfach auf den Leib geschneidert, weil er sich mit allen Spielen befasst, die ich gerne mag“, erinnert sie sich mit glänzenden Augen.

Es war das Projekt, mit dem sie einen wichtigen Durchbruch erlangen sollte, denn danach folgten immer mehr große Aufträge, wie z.B. die Atlas-Trilogie von Olivie Blake, die sie gemeinsam mit Heide Franck übersetzt hat.

Atlas-Trilogie
Die Atlas-Trilogie von Olivie Blake, übersetzt von Alexandra Jordan und Heide Franck. – Bild: Fischer Tor

Damit war auch der Weg frei für Alexandras nächsten großen Karriereschritt: Über eine Ausschreibung in einer Facebook-Gruppe erhielt sie den Auftrag zur Übersetzung von Babel, ebenfalls in Zusammenarbeit mit Heide Franck.

Diese Übersetzung hat bis heute ihren Alltag und somit irgendwie auch einen Teil ihrer Identität mitgeprägt, denn seitdem schlägt sie viel öfter Etymologien nach als früher. Dass ihre Werke ihre Identität prägen, ist für Alexandra wichtig, denn mit jeder Übersetzung vermittelt sie nicht nur neue Perspektiven, sondern lernt auch selbst neue kennen.

In ihrem Umfeld war sie lange dafür bekannt, dass sie gerne in „rabbit holes“ verschwand. Ihre beste Freundin Luca hat immer besonders an ihr geschätzt, „dass sie jedem Menschen mit Empathie und Offenheit begegnet.“ Und für ihre Karriere sollte sich gerade diese Eigenschaft als nützlich erweisen, denn sie hat ihr dabei geholfen, für jede einzelne Figur in ihren Übersetzungen die richtige Stimme zu finden.

„In jeder Übersetzung steckt sehr viel Interpretation“, sagt Alexandra, „dazu ist es wichtig, sich in jede Perspektive einfühlen zu können.“ Am besten gelingt ihr das bei Science Fiction und Fantasy, die Genres, die ihr besonders am Herzen liegen und ihre Karriere am stärksten geprägt haben.

Wie in der Branche üblich, kommen die Aufträge meist „maßgeschneidert“ zu ihr, da ihre AuftraggeberInnen wissen, was zu ihr passt und was sie kann.

Alexandras ganz persönlicher Wunsch wäre es, irgendwann mal ein Science-Fiction-Epos zu übersetzen, „so ein richtig dickes Brett an Weltraumgedöns.“ Ihr Blick ist zuversichtlich, als sie das sagt, ohne jede Spur von Unsicherheit, ihre Hände liegen ruhig auf dem dunklen Bürotisch. Was die Zukunft sonst noch bringt, lässt sie gerne auf sich zukommen. Es gibt keine Herausforderung, die sie scheut.

Auch davor, dass sie eines Tages durch eine KI ersetzt werden könnte, hat sie keine Angst. Die Frage wird ihr öfter gestellt und sie gerät dabei immer wieder ins Schmunzeln. „Ich werde nicht als Wörterbuch gemietet, sondern als Mensch mit Leidenschaft und Persönlichkeit“, sagt sie. Ihr Kopf ist dabei aufrecht und ihr Blick zuversichtlich. Falls sie ihren Beruf doch eines Tages nicht mehr ausüben kann, überlegt sie, Buchhändlerin zu werden.

Wenn Alexandra über die Zukunft spricht, schwingt Leichtigkeit aus ihrer Stimme. Ihr selbstbewusster Blick verrät: Auch wenn sie sich gerne in fremden Welten verliert, ist sie keine verträumte Visionärin, sondern eine Schafferin der Gegenwart, die unbeirrt ihrem Traum folgt.

Alexandra Jordan
Alexandra Jordan in ihrem Element: umgeben von Büchern. – Bild: privat

Die Nachmittagssonne scheint durch das Fenster des Meetingraums und Alexandra wirft einen Blick auf die Uhr. Die nächste große Mammutaufgabe liegt schon im Büro nebenan auf ihrem Schreibtisch: Die Übersetzung von Katabasis, der aktuelle Roman von Rebecca Kuang.

„Daran werde ich jetzt gleich weiter arbeiten. Diesmal kann ich viel über Aristoteles lernen“, sagt sie. Und sie kann wieder eine neue Welt betreten, zu der sie ein Tor für neue LeserInnen öffnet.

Während sie das tut, muss sie weiterhin unsichtbar bleiben, zumindest in der fiktiven Welt von Rebecca Kuang. In der realen Welt darf sich Alexandra jedoch inzwischen etwas sichtbarer machen. Seit der Übersetzung von Babel wird sie öfter zu Interviews und Lesungen eingeladen, und sie genießt es, über ihre Projekte zu sprechen und auf diese Weise ihren Beruf der Öffentlichkeit näher zu bringen. Gleichzeitig hofft sie aber auch, dass sie noch lange die Möglichkeit hat, unsichtbar Großes zu leisten, damit die LeserInnen sich auch weiterhin in fantastischen Welten verlieren können, die ihnen ohne Alexandras Hilfe verborgen blieben.

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Nicola Trampert

Nicola Trampert hat 2017 den M.A. Translation mit Schwerpunkt Literatur- und Medienübersetzen am FTSK Germersheim absolviert und macht aktuell eine journalistische Weiterbildung an der Freien Journalistenschule Berlin.

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