
Die bayerische Landeshauptstadt München vergibt seit 1991 Literaturstipendien, von denen meist auch einige an Literaturübersetzer für laufende Projekte gehen. 2025 wurden zehn Stipendien vergeben, davon zwei an Literaturübersetzerinnen. Alle Stipendiaten erhalten jeweils 8.000 Euro.

Burkhardt übersetzt W. von Tiemen Hiemstra aus dem Niederländischen
Christiane Burkhardt wird ausgezeichnet für die Übersetzung des Romans W. von Tiemen Hiemstra aus dem Niederländischen, der im Kein & Aber Verlag erscheinen soll.
Der Roman behandelt eine Dreierfreundschaft zwischen zwei Männern und einer Frau. Als einer der Männer plötzlich verschwindet, ist die Sorge groß, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte. Doch es stellt sich heraus, dass er die anderen beiden „ghostet“.
Der Roman setzt ein, als er Jahre später völlig unerwartet wieder auftaucht. Es geht also um Themen wie persönliche Wahrnehmung im Verhältnis zur Realität, Widersprüchlichkeit und Wahrheit. Der Autor begibt sich damit auf ein ambivalentes Feld voller Irritations- und Störmomente.
Die überzeugende Übersetzung von Christiane Burkhardt löst das gekonnt durch einen Ton, der dem Inhalt genau entspricht und die richtige Atmosphäre schafft. Auch die Arbeit mit verschiedenen vom Autor eingestreuten Textsorten und sprachlichen Doppeldeutigkeiten ist sehr gelungen und kenntnisreich umgesetzt für einen treffenden und gleichzeitig flüssigen Text im Deutschen.
Christiane Burkhardt, geboren 1966 in Stuttgart, hat Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte studiert und arbeitet seit 2000 als Übersetzerin aus dem Niederländischen, Italienischen und Englischen, moderiert Übersetzungen und unterrichtet literarisches Übersetzen.

Katharina Martl übersetzt Vestersand von Ingeborg Arvola aus dem Norwegischen
Katharina Martl wird ausgezeichnet für die Übersetzung des 2024 veröffentlichten Romans Vestersand der norwegischen Autorin Ingeborg Arvola, der 2026 auf Deutsch erscheinen soll.
Als zweiter Band der Eismeer-Trilogie (nach Der Aufbruch) porträtiert Vestersand den vielgestaltigen soziokulturellen Raum an der norwegischen Eismeerküste im 19. Jahrhundert. Thematisch verschränken sich kontrastierende Glaubenswelten, Auswanderung, die raue Lebenswirklichkeit von Walfängern und Fischern sowie die staatliche Repression der samischen und kvenischen Minderheiten zu einem dichten, atmosphärischen Gesellschaftsporträt.
Diese Vielschichtigkeit zeigt sich auch in der Komposition des Romans, der von der Übersetzerin nicht nur tiefgreifende historische, kulturelle und milieuspezifische Kenntnisse, sondern auch ein feines Gespür für stilistische Nuancen verlangt.
Katharina Martl bewältigt all diese Herausforderungen mit beeindruckender Souveränität. Sie verleiht dem Werk in ihrer Übersetzung einen sehr schönen Ton und findet wunderbar poetische Lösungen.
Katharina Martl, geboren 1987, studierte Nordische Philologie, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft sowie Philosophie an der LMU München und schloss dort 2022 den Masterstudiengang „Literarisches Übersetzen“ ab. Sie übersetzt aus dem Dänischen, Englischen, Norwegischen und Schwedischen.
Preisverleihung im Literaturhaus München
Die öffentliche Preisverleihung mit Lesung aller Stipendiaten findet am 10. Dezember 2025 um 19:00 Uhr im Literaturhaus München satt.
Die Literaturstipendien der Landeshauptstadt München wurden von 1991 bis 1999 jährlich vergeben, seitdem nur noch alle zwei Jahre.
Autoren und Übersetzer müssen sich selbst bewerben. Eine vom Stadtrat berufene Jury übernimmt die Auswahl aus den eingesandten Bewerbungen. Für die Übersetzungsprojekte und Projekte im Bereich Kinder- und Jugendbuch wird jeweils eine eigene Jury eingesetzt. Die Entscheidung über die Preisträger obliegt dem Stadtrat, der von den Grünen und der SPD dominiert wird.
PM München