„Diese Kanzlerin braucht ÜbersetzerInnen“ – taz kritisiert verschwurbelte Rhetorik von Angela Merkel

Angela Merkel
Angela Merkel

Viel wird dieser Tage über die schlichte Sprache von US-Präsident Donald Trump gelästert – von Journalisten ebenso wie von Übersetzern und Dolmetschern. Dessen Wortschatz sei klein, die Aussage sei oft vage und werde redundant vorgetragen. Das führe besonders bei Übertragungen in andere Sprachen zu Verständigungsproblemen.

Allenthalben trauert man seinem Vorgänger Barack Obama nach, der in der Rückschau kein „großer“ Präsident und auch nicht eines Friedensnobelpreises würdig war. Unbestritten gehört dieser aber zu den besten politischen Rhetorikern der vergangenen zehn Jahre. Jede seiner Reden – egal zu welchem Thema – war sprachlich ein Genuss.

Merkel ebenso untalentierte Rednerin wie Trump, aber mit größerem Wortschatz

Nur selten wird hingegen die Sprache der Kanzlerin thematisiert, die seit zwölf Jahren Deutschland regiert – im Ausland überhaupt nicht und im Inland nur vereinzelt von Kabarettisten.

Das ist erstaunlich, gehört Angela Merkel doch ebenso wie Donald Trump eher zu den sprachlich unbegabten Politikern. Aber während ihre Reden die Zuhörer nur einschläfern, lösen die von Trump wenigstens Begeisterung oder Hass aus.

Merkels Sprache ist mindestens ebenso vage und kaum weniger redundant als die des US-Präsidenten. Die Kanzlerin verfügt aber über einen umfangreicheren Wortschatz.

taz über Merkels Sprache: „Worte wie Schneeflocken“

In der linken Berliner Tageszeitung taz hat sich Ulrich Schulte, der Leiter des Parlamentsbüros der Zeitung, dieses Themas angenommen. Unter der Überschrift „Floskeln in der politischen Rhetorik: Worte wie Schneeflocken“ führt er aus:

  • „Friemelig klein oder unbestimmt groß, zwischen diesen Polen changiert die Rhetorik der Kanzlerin.“
  • „Darauf ausgelegt, auch in komplexen Situationen maximale Spielräume zu erhalten und wenig verbindliche Zusagen zu machen, […].“
  • „Ihre Reden sind wie dicke, wattige Schneeflocken, die aus einem grauen Winterhimmel fallen. Sie decken zu, dämpfen, zeichnen die Konturen weich. Und am Ende steht stets dieselbe Frage: Was hat sie jetzt eigentlich gesagt?“
  • „Ihren Satz aus einem Bierzelt in Trudering, mit dem sie die europäische Herausforderung durch Trump zusammenfasste, muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei.“ Über den Sinn dieser Worte wurde tagelang im politischen Feuilleton gerätselt, sie wurden als Neudefinition des transatlantischen Verhältnisses gedeutet.“
  • „Was sie tatsächlich meint, bleibt ein Geheimnis, und wenn sie nach langem Nachdenken zu neuen Schlüssen kommt, bringt sie diese möglichst beiläufig unter, damit niemand behaupten kann, sie korrigiere sich.“
  • „Selbst bei maximalen Schwenks kultiviert Merkel ihren deeskalierenden Stil, der vom Zuhörer unmenschliche Aufmerksamkeit verlangt, weil sich das Wichtigste im unwichtigsten Relativsatz verstecken könnte.“

Ihr Nachgeben bei der „Ehe für alle“ habe eine Revolution eingeläutet, auf die Schwule und Lesben seit Jahrzehnten hofften. Merkwürdig sei, dass sie dies weder im Parlament und auch nicht in einer Pressekonferenz, sondern eher beiläufig auf einer Podiumsdiskussion der Frauenzeitschrift Brigitte bekanntgegeben habe:

  • „Nach einer Zuschauerfrage windet sie sich minutenlang, bevor der entscheidende Satz kommt. „Und deshalb möchte ich gerne die Diskussion mehr in die Situation führen, dass es eher in Richtung einer Gewissensentscheidung ist, als dass ich jetzt hier per Mehrheitsbeschluss irgendwas durchpauke.“ In eine Situation führen. Eher in Richtung. Dann, endlich: Gewissensentscheidung. Halleluja.“

Eine solche „verschwurbelte Sprache“ könne „kränkend“ für die betroffenen Menschen sein, so die taz. Der (schwule) SPD-Wahlkampfberater Frank Stauss schrieb, Merkels „verklemmtes Gestammel“ sei „wahrscheinlich die trostloseste Verkündung einer gesellschaftlichen Reform in der Geschichte der Republik“.

Angela Merkel braucht Übersetzer wie kaum ein Kanzler vor ihr

Die taz kommt zu folgendem Schluss:

  • „Eben weil Merkel die Nichtverständlichkeit so kultiviert, ist die Merkologie, die Merkel-Deutung, eine der Königsdisziplinen des deutschen Journalismus. Diese Kanzlerin braucht ÜbersetzerInnen wie kaum ein Kanzler vor ihr. Jene vergleichen ihre langweiligen Reden mit früheren, klopfen sie auf die Halbsätze ab, die neu sind. Die Deutungen, das liegt in der Natur der Sache, gehen oft auseinander. Manche banalen Merkel-Sätze entwickeln so ein kaum fassbares Eigenleben.“

[Text: Richard Schneider. Quelle: taz, 2017-08-04. Bild: Laurence Chaperon / CDU.]