Holzklotzwurf: Richter verweigert Mordangeklagtem den Dolmetscher

Nikolai H. soll einen sechs Kilo schweren Holzklotz von einer Autobahnbrücke geworfen und damit eine in einem vorbeifahrenden Auto sitzende Mutter von zwei Kindern getötet haben. Deshalb wird vor dem Landgericht Oldenburg gegen ihn verhandelt.

Der 30-Jährige stammt aus Kasachstan. Er lebt seit 14 Jahren in Deutschland und besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Sein Verteidiger weist darauf hin, dass H. in der Schule schlecht gewesen sei. Einen Beruf habe dieser nicht erlernt. Und bei den von ihm ausgeübten Hilfsarbeiterjobs sei es nicht auf Deutschkenntnisse angekommen. Mit seiner Familie, Freunden und Bekannten spreche der Angeklagte nur Russisch.

Deshalb hatte die Verteidigung beantragt, die Anklageschrift ins Russische übersetzen zu lassen und während der Verhandlung zur Sicherheit einen Dolmetscher hinzuzuziehen.

Dies wurde vom Richter abgelehnt. Begründung: Der heroinabhängige Nikolai H. habe wegen Drogendelikten und Beschaffungskriminalität bereits mehrfach vor Gericht gestanden. In diesen Fällen habe er keinen Dolmetscher benötigt.

Kurz nach der Tat hatte H. einem Fernsehsender als Zeuge ein Interview gegeben. Er berichtete darin mit russischem Akzent und in langsam formuliertem, fehlerhaftem Deutsch von seinen Beobachtungen am Tatort.

Bei seinen Aussagen hatte er sich in Widersprüche verstrickt und war von der Polizei in die Mangel genommen worden. Er legte ein Geständnis ab, das er später widerrief. Für die Boulevardpresse war der schüchtern wirkende und von seiner Umgebung als nett und harmlos beschriebene Mann sehr schnell der „Brückenteufel“ und „Holzklotzmörder“.

Die Westdeutsche Zeitung fragt: „Darf man einem Angeklagten einen Dolmetscher verweigern, wenn die Möglichkeit besteht, dass er seinen eigenen Prozess nicht versteht?“ Immerhin gehe es für Nikolai H. diesmal um Mord und damit um lebenslänglich.

Die Entscheidung der Kammer halten viele Prozessbeobachter für bedenklich. „Immerhin werden im Prozess auch Gutachten von Sachverständigen erörtert – Texte, die sogar für Menschen mit guten Deutschkenntnissen nicht leicht zu verstehen sind“, so die Westdeutsche Zeitung.

Die Verweigerung des Dolmetschers könnte für die Verteidigung zudem ein stichhaltiger Grund sein, nach der Urteilsverkündung umgehend in die Revision zu gehen. Das gesamte Verfahren müsste dann unter Umständen noch einmal aufgerollt werden – und zwar mit Dolmetscher.

[Text: Richard Schneider. Quelle: Westdeutsche Zeitung, 2008-11-10. Bild: Richard Schneider.]