EU-Kommission muss 12 Mio. Euro Schadensersatz an Systran zahlen

Gericht der Europäischen Union

Das Gericht der Europäischen Union in Luxemburg (im Bild oben in der Zusammensetzung des Jahres 2009) hat die EU-Kommission dazu verurteilt, Schadensersatz in Höhe von 12.001.000 Euro an die Systran SA zu leisten. Die Kommission habe die Urheberrechte und das Know-how der Systran-Gruppe an der Unix-Version der Software für maschinelle Übersetzungen Systran von 1997 bis 2002 verletzt (Rechtssache T-19/07, Systran SA und Systran Luxembourg SA gegen die EU-Kommission). Nachfolgend die entsprechende Pressemitteilung:

Die außervertragliche Haftung der Union ist an das Zusammentreffen mehrerer Voraussetzungen geknüpft, und zwar an die Rechtswidrigkeit des einem Organ vorgeworfenen Verhaltens, das Vorliegen eines Schadens und das Bestehen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem behaupteten Verhalten und dem geltend gemachten Schaden.

Zwischen dem 22. Dezember 1997 und dem 15. März 2002 passte Systran Luxembourg ihre Software für maschinelle Übersetzungen Systran-Unix unter der Bezeichnung EC-Systran Unix an die spezifischen Bedürfnisse der Kommission an.

Am 4. Oktober 2003 veröffentlichte die Kommission eine Ausschreibung für die Wartung/Pflege und linguistische Verbesserung ihres maschinellen Übersetzungssystems. Die Leistungen, die die Kommission dem erfolgreichen Bieter übertragen hat, betrafen nach der Ausschreibung insbesondere die Verbesserungen, Anpassungen und Zusätze zu Sprachroutinen, die spezifischen Verbesserungen der Analyse-, Synthese- und Transfer-Programme sowie die Aktualisierungen des Dienstes.

Auf diese Ausschreibung hin wies Systran, das Mutterunternehmen von Systran Luxembourg, die Kommission darauf hin, dass die auszuführenden Arbeiten ihre Rechte des geistigen Eigentums verletzen könnten. Seit über vierzig Jahren bietet Systran nämlich auf der Grundlage der gleichnamigen Software Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen Technologielösungen für maschinelle Übersetzungen an. Systran hat insbesondere eine Systran-Version entwickelt und vertrieben, die in der Lage ist, auf den Betriebssystemen Unix und Windows zu arbeiten (Systran Unix) und die veraltete ältere Version zu ersetzen, die auf dem Betriebssystem Mainframe arbeitete (Systran Mainframe).

Nach mehreren Unterredungen zwischen Systran und der Kommission kam diese zu dem Schluss, dass Systran keine beweiskräftigen Unterlagen zum Nachweis von Rechtsansprüchen, die dieses Unternehmen auf ihren maschinellen Übersetzungsdienst EC-Systran Unix erheben könnte, vorgelegt habe. Nach Ansicht der Kommission ist die Systran- Gruppe folglich nicht berechtigt, sich den Arbeiten zu widersetzen, die von dem Unternehmen durchgeführt werden, dem der Zuschlag erteilt worden war.
Da sie der Auffassung sind, dass die Kommission mit der Auftragsvergabe rechtswidrig ihr Know-how einem Dritten weitergegeben und im Zusammenhang mit der Durchführung von unerlaubten Weiterentwicklungen der Version EC-Systran Unix durch den erfolgreichen Bieter eine Urheberrechtsverletzung begangen habe, haben Systran und Systran Luxembourg beim Gericht eine Schadensersatzklage gegen die Kommission erhoben.

Nachdem die Verfahrensbeteiligten im Rahmen eines von dem Gericht nach der mündlichen Verhandlung eingeleiteten Schlichtungsverfahrens nicht zu einer einvernehmlichen Lösung im Wege eines Vergleichs gelangt sind, entscheidet das Gericht nunmehr über die Schadenersatzklage.

Das Gericht stellt zunächst fest, dass der Rechtsstreit außervertragliche Ansprüche betrifft. In den in der Vergangenheit mit der Kommission geschlossenen Verträge über die Nutzung der Software Systran sind nämlich die Fragen der Weitergabe des Know-how von Systran an Dritte oder die Durchführung von Arbeiten, die die Rechte des geistigen Eigentums der Systran-Gruppe beeinträchtigen könnten, nicht geregelt.

Was die Rechtswidrigkeit des der Kommission zur Last gelegten Verhaltens betrifft, ist das Gericht der Ansicht, dass die Systran-Gruppe eine wesentliche Ähnlichkeit zwischen den Versionen Systran Unix und EC-Systran Unix hinsichtlich des Kerns und gewisser Sprachroutinen (Sprachprogramme) nachgewiesen hat und dass sie folglich die Rechte an der Version Systran Unix, die Systran seit 1993 entwickelt und vertrieben hat, geltend machen kann, um sich der Weitergabe der abgeleiteten Version EC-Systran Unix, die seit 1997 von Systran Luxembourg an die Bedürfnisse der Kommission angepasst worden war, an Dritte ohne ihre Zustimmung zu widersetzen.
Die Kommission konnte hingegen nicht nachweisen, auf welche Elemente des Kerns und der Sprachroutinen von Systran Unix sie insbesondere aufgrund ihrer Rechte an den von ihren Dienststellen eingegebenen Wörterbüchern Eigentumsansprüche geltend macht.

Darüber hinaus hat Systran nachgewiesen, dass – entgegen dem Vorbringen der Kommission – für die in der Ausschreibung geforderten Änderungen der Zugriff auf die in der Version EC-Systran Unix übernommenen Elemente der Version Systran Unix und deren Änderung erforderlich ist.

Folglich hat die Kommission rechtswidrig gehandelt und die den Mitgliedstaaten gemeinsamen allgemeinen Rechtsgrundsätze auf dem Gebiet des Urheberrechts und des Know-how verletzt, indem sie sich ohne vorherige Zustimmung der Systran-Gruppe das Recht genommen hat, Arbeiten durchzuführen, die zu einer Änderung von in der Version EC-Systran Unix enthaltenen Elementen der Version Systran Unix der Software Systran führen mussten. Dieses Fehlverhalten, das eine hinreichend schwerwiegende Verletzung der Urheberrechte und des Know-how der Systran-Gruppe an der Version Systran Unix der Software Systran darstellt, löst die außervertragliche Haftung der Union aus.

In Bezug auf den Schaden entscheidet das Gericht, dass Systran Schadenersatz in Höhe von 12 001 000 Euro als Ersatz des ihr durch das rechtswidrige Verhalten der Kommission entstandenen Schadens zu gewähren ist, nämlich

  • 7 Millionen Euro für die Lizenzgebühren, die für die Jahre 2004 bis 2010 geschuldet worden wären, wenn die Kommission die Erlaubnis zur Nutzung der Rechte des geistigen Eigentums von Systran eingeholt hätte, um die in der Ausschreibung aufgelisteten Arbeiten durchzuführen, für die der Zugriff auf die in der Version EC-Systran Unix übernommenen Elemente der Version Systran Unix und deren Änderung erforderlich ist;
  • 5 Millionen Euro als Ersatz für die Auswirkungen, die das Verhalten der Kommission auf die von Systran in den Jahren 2004 bis 2010 erzielten Umsätze und im weiteren Sinne die Entwicklung dieses Unternehmens gehabt haben kann;
  • 1 000 Euro als Ersatz des immateriellen Schadens.

Außerdem weist das Gericht darauf hin, dass es der Kommission obliegt, die erforderlichen Schlussfolgerungen zu ziehen, um sicherzustellen, dass bei den Arbeiten an der Version EC-Systran Unix die Rechte von Systran an der Version Systran Unix berücksichtigt werden. Sollten diese Rechte nicht berücksichtigt werden, wäre Systran aufgrund des Umstands, dass der in der vorliegenden Rechtssache zugesprochene Schadenersatz nur den Zeitraum von 2004 bis zum Tag der Verkündung des vorliegenden Urteils betrifft, berechtigt, beim Gericht eine neuerliche Schadensersatzklage hinsichtlich des ihr möglicherweise noch entstehenden Schadens zu erheben.
Schließlich stellt das Gericht fest, dass die Verbreitung der vorliegenden Pressemitteilung auch zu einer faktischen Wiedergutmachung des immateriellen Schadens beiträgt, den die Rufschädigung von Systran durch das rechtswidrige Verhalten der Kommission darstellt.

HINWEIS: Gegen die Entscheidung des Gerichts kann innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Zustellung ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt werden.
HINWEIS: Eine Nichtigkeitsklage dient dazu, unionsrechtswidrige Handlungen der Unionsorgane für nichtig erklären zu lassen. Sie kann unter bestimmten Voraussetzungen von Mitgliedstaaten, Organen der Union oder Einzelnen beim Gerichtshof oder beim Gericht erhoben werden. Ist die Klage begründet, wird die Handlung für nichtig erklärt. Das betreffende Organ hat eine durch die Nichtigerklärung der Handlung etwa entstehende Regelungslücke zu schließen.

EU-Gerichtshof

Der Gerichtshof der Europäischen Union, der seinen Sitz in Luxemburg hat, besteht aus drei Gerichten: dem Gerichtshof, dem Gericht (errichtet 1988) und dem Gericht für den öffentlichen Dienst (errichtet 2004). Ihre Aufgabe besteht darin, die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe der Europäischen Union zu überprüfen, darüber zu wachen, dass die Mitgliedstaaten den Verpflichtungen nachkommen, die sich aus den Verträgen ergeben, und auf Ersuchen nationaler Gerichte das Unionsrecht auszulegen.

[Text: Gericht der Europäischen Union. Quelle: Pressemitteilung Nr. 123 des Gerichts der Europäischen Union, 2010-12-16. Bild: Pressestelle Gericht der Europäischen Union.]