Österreich: Gerichtsdolmetscher, Richter und Anwälte protestieren gegen Regierungspläne

Österreich„Das ist wettbewerbswidrig, verfassungswidrig, verstößt gegen eine neue EU-Richtlinie und auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention“, warnten übereinstimmend Richter, Rechtsanwälte und gerichtlich zertifizierte Dolmetscher in einer gemeinsamen Pressekonferenz am 14.12.2010. Gemeint ist das Budgetbegleitgesetz 2011-2013, mit dem so ganz nebenbei das bisher perfekt funktioniere Zusammenspiel von unabhängigen zertifizierten und beeideten Gerichtsdolmetschern mit Justiz und Anwälten zerschlagen werden soll.

Künftig soll also laut dieser Gesetzesvorlage, die am 13.12.2010 bereits den Justizausschuss im Parlament passiert hat, die Justizbetreuungs-Agentur (JBA) die Dolmetscher stellen. Diese Dolmetscher sollen verpflichtend bei Strafprozessen und beim Arbeits- und Sozialgericht zum Einsatz kommen. Bisher war die JBA laut Gesetz ausschließlich für die medizinische und soziale Betreuung von Gefängnisinsassen zuständig.

Für den Grazer Strafrichter Dr. Helmut Wlasak, der mit nicht zertifizierten Dolmetschern schon schlechte Erfahrungen machen musste, ist so eine Vorgangsweise schlichtweg unverständlich: „Ist die Rechtsstaatlichkeit am Ende? Muss sich die Justiz kaputt sparen? Mindeststandards werden auf die Seite geschoben? Kann ein faires Verfahren überhaupt noch garantiert werden? Wo bewegen wir uns hin? In Zeiten grenzüberschreitender Kriminalität und der damit unabdingbaren Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden kommt den raschen, präzisen und über jeden Zweifel erhabenen Übersetzungen von Erledigungsstücken größte Bedeutung zu. Will man darauf in Zukunft tatsächlich verzichten? Es schaut so aus!“

Auch der ehemalige Jugendrichter Dr. Harald Lacom aus Wien sieht die Lage kritisch: „Bisher galt: Ein unabhängiger Richter bestellt zum Termin einen unabhängigen Dolmetscher, dessen Qualifikation bekannt und überprüfbar ist. Nach der ,Verbesserung‘ durch das Justizministerium: Eine private Agentur schickt jemand Unbekannten, dessen Qualifikation nicht bekannt und unüberprüfbar ist.“ Außerdem meinte Richter Lacom, noch nie sei durch die Auslagerung staatlicher Agenden an eine private Agentur etwas besser oder billiger geworden.

Die Wiener Strafverteidigerin Dr. Alexia Stuefer, stellte fest, die geplante Änderung verstoße sowohl gegen die österreichische Verfassung, wie auch gegen die Europäische Menschenrechts-Konvention: „Die Unabhängigkeit der Gerichte ist nicht mehr gewährleistet, wenn sie bei der Bestellung der DolmetscherInnen an die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde gebunden sind. Die vorgeschlagene Regelung steht daher im Konflikt zu Art. 6 der Europäischen Menschenrechts-Konvention (EMRK) und auch zu Art. 94 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), der eine strikte Trennung der Justiz und Verwaltung vorschreibt.“

Ähnlich argumentierte der Wiener Notar Dr. Rudolf Kaindl, der betonte, dass die geplante Änderung gegen eine erst wenige Tage alte EU-Richtlinie verstoße. Außerdem vermutet er: „Das Justizministerium schafft eine neue Struktur, um seine eigenen Gesetze nicht einhalten zu müssen.“

Laut Dipl.-Dolm. Liese Katschinka, Präsidentin der Europäischen Gerichtsdolmetscher-Vereinigung (EULITA), hat man im Ausland mit derartigen Agenturlösungen nur schlechte Erfahrungen gemacht: „Das Auslagern von Gerichtsdolmetschleistungen führte zum Beispiel in Schottland oder Schweden zu massiven Qualitätseinbussen und dem Exodus der qualifizierten Gerichtsdolmetscher. In der Folge mussten zahlreiche Verfahren wegen mangelhafter Dolmetschleistungen abgebrochen oder vertagt werden.“

Dipl.-Dolm. Christine Springer, Präsidentin des Österreichischen Verbandes der Gerichtsdolmetscher (ÖVGD), wehrt sich gegen den Vorwurf, den Gerichtsdolmetschern gehe es nur ums Geld: „Die Bezahlung soll nicht mehr nach dem seit 1975 geltenden Gebührenanspruchsgesetz erfolgen, das derzeit Stundensätze zwischen 24,80 und 36,90 Euro vorsieht – fast lächerlich im Vergleich zu einer Automechaniker- oder Installateurstunde, sondern neu geregelt werden.“

[Text: Oswald M. Klotz. Quelle: Pressemitteilung ÖVGD, 2010-12-14. Bild: Archiv.]