Gutmenschen-Jury kürt „Gutmensch“ zum Unwort des Jahres

Die sprachkritische Aktion Unwort des Jahres hat am 12.01.2016 bekannt gegeben, dass der Ausdruck „Gutmensch“ ihrer Ansicht nach das „Unwort des Jahres 2015“ sei. „Gutmensch“ sei zwar bereits seit langem im Gebrauch und auch 2011 schon einmal von der Jury als ein zweites Unwort gewählt worden, doch sei die Bezeichnung im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsthema im letzten Jahr besonders prominent geworden. In der Pressemitteilung wird die Wahl wie folgt begründet:

(1) Gutmensch

Als „Gutmenschen“ wurden 2015 insbesondere auch diejenigen beschimpft, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren oder die sich gegen Angriffe auf Flüchtlingsheime stellen. Mit dem Vorwurf „Gutmensch“, „Gutbürger“ oder „Gutmenschentum“ werden Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischer Imperialismus diffamiert.

Der Ausdruck „Gutmensch“ floriert dabei nicht mehr nur im rechtspopulistischen Lager als Kampfbegriff, sondern wird auch von Journalisten in Leitmedien als Pauschalkritik an einem „Konformismus des Guten“ benutzt (vgl. z.B. Wolfram Weimer „Schluss mit dem Gutmenschen-Gegurke“, Handelsblatt 11.12.2015).

Die Verwendung dieses Ausdrucks verhindert somit einen demokratischen Austausch von Sachargumenten. Im gleichen Zusammenhang sind auch die ebenfalls eingesandten Wörter „Gesinnungsterror“ und „Empörungs-Industrie“ zu kritisieren. (Der Ausdruck „Gutmensch“ wurde 64-mal und damit am dritthäufigsten eingesendet.)

Außerdem werden die Wörter „Hausaufgaben“ (im Zusammenhang mit Griechenland) und „Verschwulung“ gerügt:

(2) Hausaufgaben

Das Wort „Hausaufgaben“ wurde in den Diskussionen um den Umgang mit Griechenland in der EU nicht nur, aber besonders im Jahr 2015 von Politikern und Journalisten als breiter politischer Konsensausdruck genutzt, um Unzufriedenheit damit auszudrücken, dass die griechische Regierung die eingeforderten so genannten Reformen nicht wie verlangt umsetze: Sie habe ihre „Hausaufgaben“ nicht gemacht.

In diesem Kontext degradiert das Wort souveräne Staaten bzw. deren demokratisch gewählte Regierungen zu unmündigen Schulkindern: Ein Europa, in dem „Lehrer“ „Hausaufgaben“ verteilen und die „Schüler“ zurechtweisen, die diese nicht „erledigen“, entspringt einer Schule der Arroganz und nicht der Gemeinschaft. Das Wort ist deshalb als gegen die Prinzipien eines demokratischen Zusammenlebens in Europa verstoßend zu kritisieren.

(3) Verschwulung

Das Wort „Verschwulung“ ziert einen Buchtitel des Autors Akif Pirinçci („Die große Verschwulung“) und wurde von der Online-Zeitschrift „Männer“ und ihren Lesern zum „Schwulen Unwort 2015“ gekürt. Die Jury teilt die Ansicht der Zeitschrift und ihrer Leser, dass ein solcher Ausdruck und die damit von Pirinçci gemeinte „Verweichlichung der Männer“ und „trotzige und marktschreierische Vergottung der Sexualität“ eine explizite Diffamierung Homosexueller darstellt und kritisiert den Ausdruck daher ebenfalls als ein Unwort des Jahres 2015. Auch durch die Analogie zu faschistischen Ausdrücken wie „Verjudung“ ist die Bezeichnung kritikwürdig.

Unwort-Statistik 2015

Für das Jahr 2015 wurden 669 verschiedene Wörter eingeschickt, von denen ca. 80 auch den Unwort-Kriterien der Jury entsprechen. Die Jury erhielt insgesamt 1.644 Einsendungen. Die zehn häufigsten Einsendungen insgesamt, die allerdings nicht sämtlich den Kriterien der Jury entsprechen, waren Lärmpause [165], Willkommenskultur [113], Gutmensch [64], besorgte Bürger [58], Grexit [47], Wir schaffen das! [46], Flüchtlingskrise [42], Wirtschaftsflüchtling [33], Asylgegner/-kritiker/Asylkritik [27] und Griechenlandrettung/ Griechenlandhilfe [27].

Die Jury der Aktion „Unwort des Jahres“ bezeichnet sich selbst als „institutionell unabhängig“ und besteht zurzeit aus folgenden Mitgliedern: den vier Sprachwissenschaftlern Prof. Dr. Nina Janich (TU Darmstadt, Sprecherin der Jury), PD Dr. Kersten Sven Roth (Universität Düsseldorf), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier) sowie dem Autor und freien Journalisten Stephan Hebel. Als jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr der Kabarettist Georg Schramm beteiligt.

www.unwortdesjahres.net

[Text: Aktion Unwort des Jahres. Quelle: Pressemitteilung Aktion Unwort des Jahres, 2016-01-12.]