Jenny Erpenbeck und Übersetzer Michael Hofmann gewinnen International Booker Prize 2024

Jenny Erpenbeck, Michael Hofmann
Jenny Erpenbeck und ihr Englisch-Übersetzer Michael Hofmann. - Bild: David Parry (Booker Prize Foundation)

Das Buch Kairos von Jenny Erpenbeck wurde in der englischen Übersetzung von Michael Hofmann mit dem International Booker Prize 2024 ausgezeichnet. Die mit 50.000 britischen Pfund (58.710 Euro) dotierte Ehrung wird stets zu gleichen Teilen zwischen Autor und Übersetzer aufgeteilt.

Die Entscheidung wurde am 21. Mai 2024 auf einer festlichen Veranstaltung in der Londoner Tate Gallery of Modern Art bekannt gegeben.

Erste Deutsche und erster Mann

Mit Erpenbeck erhält zum ersten Mal ein deutscher Autor die Auszeichnung. Und Michael Hofmann ist der erste männliche Übersetzer, der den Preis erhält. Bisher wurden ausschließlich übersetzende Frauen ausgezeichnet.

Roman über zerstörerische Affäre in Endphase der DDR

Erpenbecks Roman handelt von einer zerstörerischen Affäre zwischen einer jungen Frau und einem älteren Mann im Ostberlin der 1980er Jahre, wobei die beiden Liebenden offenbar den untergegangenen Idealismus der DDR verkörpern. Kairos sei eine Meditation über Hoffnung und Enttäuschung und werfe komplexe Fragen über Freiheit, Loyalität, Liebe und Macht auf, so die Jury.

Die Autorin selbst charakterisiert ihre Geschichte so: „Es ist eine private Geschichte über eine große Liebe und ihren Zerfall, aber auch eine Geschichte über die Auflösung eines ganzen politischen Systems. Einfach gesagt: Wie kann etwas, das anfangs richtig erscheint, zu etwas Falschem werden?“

Jenny Erpenbeck: Kairos
Bild: Granta

Eleanor Wachtel, Vorsitzende der Jury, hält das Werk für „gleichzeitig schön und unbequem, persönlich und politisch“:

In leuchtender Prosa legt Jenny Erpenbeck die Komplexität der Beziehung zwischen einer jungen Studentin und einem viel älteren Schriftsteller offen, indem sie die täglichen Spannungen und Wendungen, die ihre Intimität kennzeichnen, in den Wohnungen, Cafés und Straßen der Stadt, an den Arbeitsplätzen und beim Essen in Ost-Berlin verfolgt.

Am Anfang stehen Liebe und Leidenschaft, aber es geht mindestens ebenso sehr um Macht, Kunst und Kultur. Die Selbstversunkenheit der Liebenden, ihr Abstieg in einen zerstörerischen Strudel, bleibt mit der größeren Geschichte Ostdeutschlands in dieser Zeit verbunden.

Die Übersetzung von Michael Hofmann fängt die Eloquenz und die Exzentrik von Erpenbecks Schreiben ein, den Rhythmus der aneinander gereihten Sätze, die Weite ihres emotionalen Vokabulars.

Michael Hofmann
Michael Hofmann – Bild: Booker Prize

Übersetzer schreibt auch Gedichte

Der 1957 in Freiburg im Breisgau geborene Michael Hofmann lebt seit seinem vierten Lebensjahr in Großbritannien. Er hat zahlreiche deutschsprachige Autoren ins Englische übertragen, darunter Franz Kafka, Joseph Roth und Hans Fallada. Zurzeit arbeitet er an einer Neuübersetzung von Alfred Doblins Berlin Alexanderplatz.

Darüber hinaus hat Hofmann sich auch als Autor einen Namen gemacht. Er hat bereits mehrere Gedichtbände und eine Sammlung eigener Essays herausgebracht und sich als Mitherausgeber einer Anthologie betätigt.

Seit 1993 nimmt er einen halben Lehrauftrag an der University of Florida in Gainesville wahr.

Michael Hofmann: „Books don’t exist to be about you.“

Schon als Kairos in die engere Wahl kam, haben die Organisatoren des Wettbewerbs ein Gespräch mit Übersetzer Michael Hofmann geführt:

How long did it take to translate the book, and what does your working process look like? Do you read the book multiple times first? Do you translate it in the order it’s written?

I forget – perhaps a year. I did read it before working on it, which isn’t always the case. I read it ‘multiple times’ later, in English – perhaps twenty, when revising it. This is always my practice.

What was your path to becoming a reader – what did you read as a child and what role did storytelling play in your younger years? Was there one book in particular that captured your imagination?

My father, Gert Hofmann, was a German novelist. You could take or leave a literary upbringing; there was no other; I took it.

Tell us about your path to becoming a translator. Were there any books that inspired you to embark on this career?

We spoke German at home; I grew up bilingual in England and Scotland and the U.S. Once I stopped desiring not to be German, and began reading German books of my own volition, the way was clear, though the bilingualism – being on an easy footing with two languages, translation, as I wrote somewhere, ‘not a naturally occurring activity’ – was a hindrance. I could then start turning myself into an open-cast mine for words. That’s an East German thing.

Tell us about a book originally written in German that you would recommend to English readers. How has it left a lasting impression on you?

That would be Hans Joachim Schädlich’s novel Tallhover, about a German police spy who lived to be 150. Demand for his services never ceased, so he went on living.

Which work of translated fiction do you wish you had translated yourself, and what aspects of this particular work do you admire most?

Proust. Proust.

What role do you think translated fiction plays in promoting a more inclusive and diverse literary canon, and how can we encourage more people to read it?

Absolutely critical. It incorporates distance and difference and teaches empathy. Down with the monstrous idiocy of relatability! Books don’t exist to be about you.

500 Exemplare der Finalisten an Bibliotheken gespendet

Durch die Unterstützung von Sponsoren war es möglich, 500 Exemplare der sechs in die engere Wahl gekommenen Übersetzungen an Bibliotheken in ganz Großbritannien zu spenden.

Booker Prize und International Booker Prize

Die von der Booker Prize Foundation vergebenen Preise gelten als wichtigste britische Literaturpreise. Während der „Booker Prize“ herausragende belletristische Werke auszeichnet, die auf Englisch verfasst wurden, kümmert sich der „International Booker Prize“ um fremdsprachige Literatur, die ins Englische übersetzt wurde.

Bis 2018 hat der britische Finanzinvestor Man Group beide Preise gesponsert („Man Booker International Prize“). Ab 2019 übernahm die wohltätige Stiftung Crankstart des britischen Geschäftsmanns Michael Moritz das Sponsoring. Seitdem trägt die Auszeichnung den Namen „International Booker Prize“.

Richard Schneider