
Erstmals in der Geschichte des Internationalen Literaturpreises (ILP) „für übersetzte Gegenwartsliteraturen“ wurde am 17. Juli 2025 im Rahmen eines literarischen Festes am Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) ein Werk der Lyrik ausgezeichnet: Für den 2025 auf Deutsch erschienenen Gedichtband Autobiographie des Todes erhalten die koreanische Autorin Kim Hyesoon und die Übersetzer Sool Park und Uljana Wolf den Internationalen Literaturpreis 2025.
Der Internationale Literaturpreis des HKW und der Stiftung Elementarteilchen gehört mit einem Preisgeld von insgesamt 35.000 Euro zu den höchstdotierten Übersetzerpreisen. 20.000 Euro gehen an den Autor, 15.000 Euro an den oder die Übersetzer.

Sprache auf der Schwelle zum Jenseits
Aus der Begründung der Jury:
Im Wunder von Hyesoons Dichtung offenbart sich Sinn oft gerade im Enigmatischen. Die Texte öffnen sich, indem wir ihrem Rhythmus folgen und immer weiter und immer wieder lesen, die Bilder erschließen sich wie Weganweisungen, die erst sichtbar werden, wenn die richtige Richtung bereits eingeschlagen ist.
[…] Dass diese Gedichte […] einen neuen, eigenen Referenzrahmen im Deutschen bekommen können, verdanken sie der Übersetzung von Uljana Wolf und Sool Park.
Aus dem Jurystatement zur Shortlist:
Die Gedichte in Kim Hyesoons Autobiographie des Todes sind Übersetzungen aus der Muttersprache des Todes. Sie sind ein Wunder, denn sie eröffnen die Möglichkeit, dieser Sprache zu lauschen, wie sie auf der Schwelle zum Jenseits klingt. Für jeden der 49 Tage, die der Geist in der buddhistischen Tradition für die Reise nach dem Tod braucht, findet sich in diesem Band ein Gedicht.
Die Verse von Kim Hyesoon transzendieren in ihrer Jenseitssprache das Bekannte und Vertraute und schaffen es paradoxerweise gerade deshalb, das Unbegreifliche – den Tod – ein Stück fassbarer zu machen.
Durch die Übersetzung von Sool Park und Uljana Wolf stellen sich sofort auch Bezüge in der Zielsprache her: „Das Nicht genichtet, des Nichts genichtigt, ist der Nichtherr nicht Herr, denn allein das Nicht ist der Herr des Nichts“ – man denke an Meister Eckhart: „Wenn die Seele in das ungemischte Licht kommt, so schlägt sie in ihr Nichts so weit weg von ihrem geschaffenen Etwas in dem Nichts, daß sie aus eigener Kraft mitnichten zurückzukommen vermag.“
Die Übersetzer haben nicht nur aus dem Koreanischen ins Deutsche übersetzt, sondern aus einer Geistersprache in eine Geistersprache – der haben sie ihre tiefe Kenntnis von Texten in der Zielsprache mitgegeben, die ebenfalls versuchen, mit dem Tod zu sprechen.

Kim Hyesoon eine der bedeutendsten modernen Lyrikerinnen Koreas
Kim Hyesoon, 1955 in Uljin geboren, ist Lyrikerin, Essayistin und Kritikerin. Sie studierte koreanische Literatur. Themen wie Emanzipation und Freiheit und immer wieder Bezüge zu historischen und gesellschaftspolitischen Fragen sind zentral in ihren unkonventionellen Arbeiten.
Sie gehört zu den bedeutendsten modernen Lyrikerinnen Koreas, wurde als erste Autorin mit dem Midang Award ausgezeichnet und lehrt Kreatives Schreiben am Seoul Institute of the Arts.
Sool Park Juniorprofessor an Universität Hildesheim
Sool Park, geboren 1986 in Südkorea, ist seit 2023 Juniorprofessor für Interkulturelle Philosophie an der Universität Hildesheim. Er übersetzte u. a. Wittgenstein, Nietzsche und Hölderlin ins Koreanische und schreibt philosophische und literarische Texte auf Deutsch und Koreanisch.
Uljana Wolf vielfach ausgezeichnete Lyrikerin und Übersetzerin
Uljana Wolf, geboren 1979 in Berlin, ist vielfach ausgezeichnete Lyrikerin und Übersetzerin. Zuletzt veröffentlichte sie den Essayband Etymologischer Gossip, der mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, und den Gedichtband muttertask. Sie übersetzte u. a. Valzhyna Mort, Erín Moure und Don Mee Choi ins Deutsche.
ILP zeichnet Gegenwartsliteratur in Erstübersetzung aus
Der Internationale Literaturpreis wurde 2025 zum siebzehnten Mal verliehen. Er zeichnet ein herausragendes Werk der internationalen Gegenwartsliteraturen und seine Erstübersetzung ins Deutsche aus. Dieser doppelte Fokus macht ihn in der deutschen Preislandschaft einzigartig.
Die Auszeichnung konzentriert sich auf heterogene Formen zeitgenössischen Erzählens und nimmt die Beziehungen von Texten und Wirklichkeiten sowie den Dialog zwischen verschiedenen Kulturen und Sprachen in den Blick. Mit dem Fokus auf Übersetzungen verfolgt er das Ziel, nationale Kanonisierungen und begrenzte Verständnisse des Literarischen zu überwinden und damit den aktuellen Bedingungen des literarischen Schaffens in einer von vielfältigen kulturellen Verflechtungen geprägten Welt Rechnung zu tragen.
Seit 2023 können auch deutsche Erstübersetzungen internationaler Lyrik eingereicht werden.
Das Prozedere: Bis zum 20. Januar 2025 konnten Verlage, die internationale Literatur in deutscher Übersetzung publizieren, bis zu drei Titel vorschlagen. Aus allen Einreichungen nominierte eine unabhängige Jury zunächst eine Shortlist und kürte daraus die Preisträger.
Gefördert durch die Stiftung Elementarteilchen
Der Internationale Literaturpreis wird verliehen vom Haus der Kulturen der Welt (Berlin) und der Stiftung Elementarteilchen (Hamburg).
Die Stiftung Elementarteilchen wurde 2007 gegründet. Sie unterstützt als Förderstiftung gemeinnützige Organisationen und Projekte im Klima und Umweltschutz, im Kampf gegen die Mädchenbeschneidung, die Landminenräumung sowie insbesondere im Raum Hamburg weitere gemeinnützige Organisationen aus verschiedenen Bereichen.
Gemeinsam mit dem HKW hat sie 2009 den Internationalen Literaturpreis entwickelt, der – getragen vom gemeinsamen Interesse an der Förderung internationaler Literaturen und ihrer Übersetzungen – seither mit ihrer maßgeblichen finanziellen Unterstützung jährlich verliehen wird.
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PM HKW