Grete Osterwald: „Übersetzungen können einen auffressen“

Die Literaturübersetzerin Grete Osterwald wurde im Jahre 1947 in Bielefeld geboren und lebt als freie Übersetzerin aus dem Englischen und Französischen in Frankfurt am Main. Sie wurde unter anderem 2001 mit dem Übersetzerpreis des Verlages C.H.Beck ausgezeichnet und erhielt 2007 den Wilhelm-Merton-Preis für ihr umfangreiches Gesamtwerk.

In einem Gespräch mit der Neuen Zürcher Zeitung spricht Osterwald über ihren Beruf. Dabei merkte sie in Bezug auf die Schwierigkeiten ihrer Tätigkeit an, dass sie sich ab und an ohnmächtig fühle, wenn sie im Deutschen keine Entsprechung für das im Original Genannte finde. Ein weiteres Problem bestehe darin, sich bei Doppeldeutigkeiten für die eine oder andere Seite entscheiden zu müssen.

Auf die Frage, ob fiktionale Literatur größere Freiheiten biete, antwortet Osterwald:

Ein Roman ist ein Gesamtkunstwerk wie ein Gebäude, das transponiert und neu errichtet werden muss. Hier braucht es ein Grundverständnis für den Text, den spezifischen Humor, die Ironie, den Sprachrhythmus. Er hat manchmal Vorrang vor einem Wort, das zwar inhaltlich korrekt wäre, aber störrisch in der Satzkonstruktion steht.

Grete Osterwald, die Klassiker der französischen Geschichtsschreibung (Stichwort: Annales-Schule) sowie französische und englische Literatur in die deutsche Sprache übertragen hat, sagt, warum sie verstärkt englischsprachige Belletristik übersetzt. Die Annales-Historiker begeistern Osterwald sehr, allerdings irgendwann hätten sie neue sprachliche Herausforderungen mehr gereizt. Letztlich sagt sie aber, dass sie es als eine große Bereicherung ansehe, aus zwei so grundverschiedenen Sprachen zu übersetzen.

Die Frage „Rauben Ihnen Übersetzungsprobleme manchmal den Schlaf?“ beantwortet die Literaturübersetzerin folgendermaßen:

Übersetzungen können einen auffressen, zumal das internationale Geschäft mit zeitgenössischer Belletristik zu einem rasenden Markt geworden ist. Vor allem in den Vereinigten Staaten werden die zum Teil noch unfertigen Manuskripte wie an der Börse gehandelt, im Extremfall sollen die Übersetzungen gleichzeitig mit dem Original erscheinen. Das bedeutet für die Übersetzer kurze Fristen und macht eine Planung der Arbeiten kaum noch möglich.

Warum Übersetzer oftmals schlecht bezahlt werden, erklärt sie damit, dass das Übersetzen guter Literatur langwierig und aufwendig sei. Es komme vor, dass man zum Teil tagelang recherchieren müsse ehe man zu einer Lösung gelange. Diese Feinarbeit sei kaum zu bezahlen. Und da jede Übersetzung auf einem individuellen Vertrag basiere, seien die Übersetzer leider keine gut organisierte Macht. Das

Das Interview zwischen Grete Osterwald und Urs Hafner ist auf der Website der Neuen Zürcher Zeitung in voller Länge abzurufen. Die Literaturübersetzerin sagt noch einige Worte zu unübersetzbaren Passagen und äußert sich zu dem Grundhonorar von Literaturübersetzern.

[Text: Jessica Antosik. Quelle: nzz.ch, 19.11.2012.]