„Ich seh dir in die Augen, Kleines!“ – Ist das falsch, schief oder genial übersetzt?

Humphrey Bogart
Humphrey Bogart - Bildbearbeitung: UEPO.de

„Der legendäre Satz aus dem Film Casablanca ist eine Fehlübersetzung.“ – Darauf weist zu Silvester und aus Anlass der zum Jahreswechsel üblichen Trinksprüche der österreichische Autor Robert Sedlaczek in einem Beitrag für die Wiener Zeitung hin.

„In den englischsprachigen Ländern verwendet man als Trinkspruch ‚cheers‘, ‚here’s to you‘ oder ‚your health'“, führt Sedlaczek aus. Und weiter:

Der berühmteste Trinkspruch aus der Filmwelt lautet: „Ich schau dir in die Augen, Kleines!“ Das sagt in Casablanca Rick (Humphrey Bogart) zu Ilsa (Ingrid Bergman).

Zunächst einmal eine kleine Korrektur: In der aktuellen Synchronisation von 1975 sagt er nicht süddeutsch „ich schau“, sondern norddeutsch „Ich seh dir in die Augen, Kleines!“. In der stark zensierten und um 25 Minuten gekürzten ersten deutschen Fassung von 1952 lautete der Satz noch ganz anders: „Schau mir in die Augen, Kleines!“

Wie übersetzt man „Here’s looking at you, kid“?

Im englischen Original heißt es: „Here’s looking at you, kid!“ Sedlaczek schreibt weiter:

Bogart spricht den Satz mit sonorer, lispelnder Stimme, fast knurrend. […] Der Satz stand nicht im Drehbuch. Bogart hat ihn während der Dreharbeiten am 3. Juli 1942 im Burbank Studio der Warner Brothers spontan verwendet.

Eigentlich handelt es sich um einen alten Trinkspruch: Zwei Menschen prosten sich zu und schauen sich durchs Glas in die Augen. Bogart verwendet ihn als unterkühlte Offenbarung seiner Gefühle.

Wenn die Übersetzer ihr Handwerk verstanden hätten, würde Bogart in der deutschen Synchronisation in etwa so klingen: „Ich trinke auf dein Wohl, Kleines!“ Zur allgemeinen Überraschung heißt es aber: „Ich schau dir in die Augen, Kleines!“

Das ist so, wie wenn man „how do you do“ nicht mit „wie geht es Ihnen“, sondern mit „wie tun Sie sich denn so“ übersetzen würde.

Komplexes Übersetzungsproblem

Auf den ersten Blick hat Sedlaczek recht. Aber: Bogart spricht in der Rolle des Rick seine Geliebte Ilsa (Ingrid Bergmann) nicht nur einmal, sondern vier Mal auf diese Weise an – in völlig unterschiedlichen Situationen:

  • Die ersten beiden Male beim Zuprosten in „Rick’s Café Americain“ mit einem Glas Champagner in der Hand. In diesen Fällen hätte „Ich trinke auf dein Wohl, Kleines!“ tatsächlich besser gepasst.
  • Beim dritten Mal sagt er es in der Rückblende, in der die glückliche Zeit in Paris geschildert wird, während er Ilsa in den Armen hält – ohne Glas, ohne Schampus und ohne Prösterchen. Vermutlich soll der Spruch hier als Ausdruck seiner Liebe und Wertschätzung für Ilsa verstanden werden.
  • Das vierte, letzte und auffälligste Mal bringt Bogart den Spruch in der Schlussszene am Flughafen. Rick berührt Ilsa zärtlich am Kinn und spricht zum Abschied erneut: „Here’s looking at you, kid!“

Zweimal Trinkspruch, zweimal definitiv kein Trinkspruch

Die beiden letzten Male kann man die Wendung auf keinen Fall als Trinkspruch interpretieren und übersetzen. In Paris wollte der Protagonist offenbar seiner Verliebtheit Ausdruck verleihen, à la „ich bin so froh, dass es dich gibt“, „schön, dass du bei mir bist“ oder einfach „ich liebe dich“. In der Abschiedsszene am Flughafen Casablanca hätte man den Spruch sinngemäß und treffend mit „Kopf hoch, Kleines!“ übersetzen können. Denn Ilsa ist den Tränen nah, weil Rick ihr gerade eröffnet hat, dass er doch nicht mitfliegt. Möglich wäre zum Abschied auch: „Alles Gute, Kleines!“ Oder die ursprüngliche Übersetzung von 1952: „Schau mir in die Augen, Kleines.“ Denn Ilsa blickt mit Tränen in den Augen zu Boden. Vollkommen sinnbefreit wäre an dieser Stelle aber die für Sedlaczek einzig korrekte Variante: „Ich trinke auf dein Wohl, Kleines!“

Nach den gängigen Regeln der Übersetzungskunst hätte man in den drei unterschiedlichen Situationen (Zuprosten, Liebesgeflüster, Abschiedsschmerz) ohne Weiteres drei verschiedene Übersetzungen anbringen können – der jeweiligen Situation angepasst.

Damit wäre aber der Ausspruch an sich zerstört worden, der mit dem Anhängsel „kid“ auch im englischen Sprachraum fest mit Bogart verbunden wird. Und Bogey selbst wird sich auch irgendetwas dabei gedacht haben, dass er dieselbe Wendung viermal vorträgt.

„Ich seh dir in die Augen, Kleines!“ – Wohl doch die bestmögliche Übersetzung

Offenbar hat der Übersetzer der Synchronfassung von 1975 doch gründlicher nachgedacht als viele meinen. Zumindest hat er erkannt, dass es wichtig ist, den Satz einheitlich zu übersetzen. Nur weil das englische „Here’s looking at you, kid!“ einheitlich schief, aber für alle Situationen halbwegs passend mit „Ich seh dir in die Augen, Kleines!“ eingedeutscht wurde, konnte es sich zu einem geflügelten Wort und typischen Bogart-Zitat entwickeln, das noch heute jeder kennt.

So gesehen ist die vermeintliche Fehlübersetzung doch nicht holprig und stümperhaft, sondern geradezu genial.

Richard Schneider

Leipziger Buchmesse 2024