Praxisbericht memoQ 6.2: Positiver Gesamteindruck, aber teilweise Optimierungsbedarf

Translation Memory Systeme (TMS) gibt es viele, Hunderte sogar, denn diese in der Fachwelt des Übersetzens verbreitete Technologie besteht nun bereits seit 30 Jahren. In Deutschland stammen die meisten TMS aus einer kleinen Gruppe von 4-5 führenden Herstellern.

Kilgray-LogoEiner dieser Anbieter ist das dynamische Softwareentwicklungsunternehmen Kilgray Translation Technologies aus Ungarn. Es brachte im Jahr 2005 die erste Version von memoQ auf den Markt. Der Leonberger Sprachdienstleister D.O.G. Dokumentation ohne Grenzen GmbH hat memoQ 6.2 getestet und berichtet nachfolgendd über seine Erfahrungen:

memoQ-LogomemoQ verfügt in der professionellen Version über folgende Bestandteile:

  • Ein schlichtes Projektmanagement-Modul, mit dem der Projektmanager bzw. der Übersetzer den Überblick über seine Übersetzungsprojekte behält. Das Zusatzmodul „project manager edition“ ist auch als Einzelplatzversion verfügbar und bietet in Verbindung mit dem Server-Modul erweiterte Projektmanagementfunktionen wie den Einsatz von Workflows.
  • Ein Übersetzungsmodul mit integriertem Übersetzungseditor, Translation Memory sowie mit Import- und Exportfiltern für die verschiedenen Datenformate.
  • Ein Terminologiemodul.
  • Ressourcen. Es sind weitere Hilfsmittel wie indizierte oder alignierte Korpora, die die Arbeit des Übersetzers unterstützen.

Viele Funktionen von memoQ entsprechen dem aktuellen Stand der Technik. Was sind jedoch die Besonderheiten des Produkts? Wir haben einige Funktionen ausgemacht, die memoQ besonders gut löst, aber auch einige wenige, bei denen noch Verbesserungsbedarf besteht.

memoQ hat sich zum Ziel gesetzt, drei wichtige Benutzergruppen zu bedienen: Einzelübersetzer, Übersetzungsdienstleister und Firmen. Mit der Server-Version können sie in Echtzeit zusammenarbeiten, Dokumente übersetzen, Ressourcen und Informationen teilen.

Dabei sorgt das Kommunikationsmodul dafür, dass die projektrelevanten Informationen alle Teilnehmer ohne Verzögerung erreichen. Für die einzelnen Workflow-Schritte generiert memoQ automatisch eine E-Mail-Benachrichtigung. Es bietet auch ein Kommunikationsfenster, das in ein Chat-Fenster und ein Forum-Fenster aufgeteilt ist. Wer die entsprechenden Rechte hat, kann sofort Fragen oder Kommentare beisteuern und / oder Informationen sehen, die alle Projektteilnehmer betreffen.

Alle gängigen Formate werden unterstützt

memoQ importiert Dokumente aus allen gängigen Formaten, von MS-Office über FrameMaker 10 (MIF-Format) bis hin zu XML. Dazu zählen u. a. SDLXLIFF oder TYPO3-Dateien. Die volle Kompatibilität (sowohl der Import als auch der Export) zum Standard XLIFF ist bei memoQ gewährleistet. Es ist eigentlich ein Muss für alle, die sich bei der Auswahl von Übersetzern nicht durch die Vorgabe eines bestimmten Systems einschränken lassen möchten. Auch kann memoQ fertige SDLStudio- oder Star-Transit-Projekte öffnen und nach der Übersetzung wieder herausgeben.

Beim Import generiert memoQ für manche Dokumentenformate wie MS-Word eine Datei für die Vorschau der Übersetzung während des Übersetzungsprozesses.

Der Übersetzungsvorgang mit memoQ

Beim Übersetzen verfügt der Übersetzer über viele kleine Hilfen. Das Einfügen von Tags / Formatierungsinformationen aus dem Ausgangssatz in die Übersetzung ist beispielsweise besonders schnell. Dazu hilft die AutoPick-Funktion, mit der bestimmte Inhalte wie Zahlen, Eigennamen oder Tags einfach aus dem Ausgangssegment in die Übersetzung übertragen werden können. Die vorhandene Terminologie wird im Segment farblich hervorgehoben, wobei memoQ zusätzlich externe Wörterbücher wie das IATE der europäischen Union heranziehen kann.

Ferner gefiel uns die Terminologieextraktionsfunktion, mit der aus dem laufenden Projekt bzw. aus Translation Memories oder Referenzmaterial Terminologiekandidaten extrahiert und mit der bereits vorhandenen Terminologie abgeglichen werden können.

Die Übersetzung von mehrmals vorkommenden Segmenten pflanzt sich automatisch fort. Bei Treffern aus dem Translation Memory (TM) mit Kontext spricht memoQ von 101% Matches, wenn das Segment zuvor und das Segment danach ebenfalls ein Treffer im TM ist. Diese Segmente muss man in der Regel nicht auf Übereinstimmung mit dem Kontext prüfen.

Wenn kein Treffer aus dem Memory da ist, kann memoQ optional Teilsegmente (Fragmente) zu einer neuen Übersetzung zusammenfügen. Das Ergebnis muss der Übersetzer überprüfen und nacheditieren. Diese Funktion ist nur dann hilfreich, wenn ein entsprechender Bestand an guten Teilübersetzungen aufgebaut wurde.

Zusätzlich zum Translation Memory hat memoQ mehrere automatische Übersetzungssysteme integriert wie das eigene memoQ Pseudo-Übersetzungs-Plugin oder Google Translate. Deren Vorschläge sind durch eine besondere Farbe gekennzeichnet.

Der Übersetzer kann seinen Text filtern oder unterschiedlich sortieren, etwa nach der Zielsprache oder nach der Länge des Segments. Damit kann er z. B. Segmente, die ähnlich sind, schneller übersetzen. Leider ist es nicht möglich, ohne große Umwege Segmente herauszufiltern, die eine bestimmte Trefferquote haben (z. B. Segmente nur zwischen 95 und 99%).

Über die Funktion „Ansichten“ kann man bei memoQ mehrere Kleindokumente zusammenfügen oder umgekehrt ein großes Dokument für die Übersetzung durch ein Übersetzerteam aufteilen.

Sehr nützlich ist die Exportfunktion, mit der ein aktives Dokument in ein zweisprachiges Format exportiert werden kann. Dieses Dokument kann außerhalb von memoQ editiert, etwa zu Korrekturzwecken, und dann reimportiert werden. Die Änderungen werden dann von memoQ übernommen.

Der Übersetzer oder Lektor hat die Möglichkeit, den Ausgangstext zu editieren. Das ist u. a. sinnvoll, wenn man kleinere Fehler im Ausgangsdokument sieht und vermeiden möchte, dass das Translation Memory mit fehlerhaften Texten befüllt wird.

Die Ressourcen: LiveDocs, Alignment-Modul, „Musen“

Zu den Ressourcen gehört u. a. ein Referenztext-Modul namens „LiveDocs“, mit dem unterschiedliche Arten von Referenztexten (auch einsprachige) für die Übersetzung verwendbar gemacht werden. Eine Komponente davon ist das Alignment-Modul, mit dem man Altübersetzungen, die in getrennten Texten vorliegen, auch dynamisch während der Übersetzung verwenden kann.

Weitere Ressourcen sind die „Musen“. So nennt memoQ eine Funktion, mit der der Anwender Übersetzungsvorschläge erhält, während er tippt. Diese Vorschläge sind Teilsegmente, die aus TM und Korpora gewonnen wurden.

Wer kein Risiko eingehen möchte, kann jederzeit eine Momentaufnahme seiner Übersetzung speichern und diese Version im Bedarfsfall für die Wiedererstellung eines früheren Zustands oder als Vergleichsbasis für Änderungen verwenden.

Besonders gut hat uns folgendes Merkmal gefallen: memoQ kann die Übersetzungslänge mit einer variablen Maximallänge je Segment prüfen. Das ist für die Übersetzung von Softwarestrings mit variabler Länge ein sehr nützliches Merkmal.

Schwachpunkte: Terminologiemodul und Pflege von Translation Memories

Natürlich ist in der memoQ-Welt nicht alles perfekt. Bei einigen Punkten sehen wir Optimierungspotenzial. Das standardmäßig integrierte Terminologiemodul ist recht schlicht. Es erfüllt zwar die minimalen Anforderungen an ein solches System, bietet aber wenig Spielraum, um eigene Datenmodelle abzubilden. Erst mit dem optionalen browser-basierten Terminologieverwaltungsmodul qTerm steht eine erweiterte Funktionalität zur Verfügung.

Ebenfalls sind die Funktionen für die Pflege von Translation Memories ausbaufähig. Z. B. wäre eine Suche nach Einträgen, die ein bestimmtes Wort nicht enthalten oder die Anzeige von Segmenten mit Mehrfachübersetzungen nützlich.

Die Produktdokumentation ist sehr umfangreich und im Ressourcen-Center von Kilgray steht nützliches Einarbeitungsmaterial wie z. B. Videos zur Verfügung. Der Support ist sehr effizient und unsere Anfragen wurden sofort und kompetent beantwortet.

Fazit

Unter dem Strich ist der Gesamteindruck positiv. Preislich bietet memoQ im Vergleich zu anderen TMS viel Leistung fürs Geld und unterstützt alle Branchenstandards.

Über den memoQ-Anbieter Kilgray

Kilgray präsentiert sich auf der eigenen Website mit folgender Selbstdarstellung:

Kilgray ist der am schnellsten wachsende Anbieter für Übersetzungstechnologien weltweit. Das Unternehmen wurde im Jahr 2004 von drei ungarischen Sprachtechnologie-Experten gegründet. Die ersten vier Jahre arbeitete Kilgray an der Entwicklung der Technologie, die 2009 dann ihr Marktdebüt feierte. Heute hat Kilgray sechs Niederlassungen in fünf Ländern (Ungarn, den USA, Deutschland, Frankreich und Polen) und seine Mitarbeiter zählen zu den Topexperten der Branche.

Die Mitarbeiter von Kilgray verfügen gemeinsam über jahrzehntelange Erfahrung in der Entwicklung und Vermarktung anderer Übersetzungstools wie Lionbridge Freeway, Idiom Worldserver, SDL Trados und SDL Passolo. Das Entwicklungsteam von Kilgray wird von erfahrenen Microsoft-Experten geleitet, die auch verschiedene Bücher über Microsoft-Technologie veröffentlicht haben.

Kilgray ist das einzige Übersetzungstechnologie-Unternehmen mit einer Bottom-up-Arbeitsweise. Das Unternehmen ist der Überzeugung, dass Sprachtechnologien nur dann erfolgreich sein können, wenn diese von Übersetzern auch gerne verwendet werden, und dass unsere Technologie nur dann einen Mehrwert für Unternehmen schaffen kann, wenn sie die Anforderungen von Sprachdienstleistern wie freiberuflichen Übersetzern gleichsam erfüllt.

Kilgray ist ein Privatunternehmen und erzielt seit seiner Unternehmensgründung Gewinn. Kilgray bietet keine Übersetzungsdienstleistungen an und hat sein Versprechen, weiterhin unabhängig zu arbeiten, in seiner Unabhängigkeitserklärung schriftlich dokumentiert.

Weiterführender Link

[Text: D.O.G. GmbH. Quelle: D.O.G. news 2/2013, Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Dr. François Massion; Website Kilgray.]