Internationaler Tag der Muttersprache: Gedenktag für alle, deren Muttersprache unterdrückt wird

Shaheed Minar
„Shaheed Minar“, das „Märtyrer-Denkmal“, erinnert an die Menschen, die am 21. Februar 1952 im Kampf für ihre Muttersprache ihr Leben ließen. Am 21. Februar wird der Platz stets feierlich mit Blumen geschmückt. - Bild: Mostaque Ahammed (CC BY-SA 2.0)

Die Vereinten Nationen und die Europäische Union begehen den Internationalen Tag der Muttersprache heute meist als einen bunten Multikulti-Kindergeburtstag zur Feier der Sprachenvielfalt. Das entspricht jedoch nicht der ursprünglichen Intention.

Der Entstehungsgeschichte nach ist der 21. Februar ein politischer Kampftag gegen die Unterdrückung von Sprachen und vor allem für den Erhalt der Muttersprache. Es soll außerdem all derer gedacht werden, denen die Muttersprache durch staatliche Willkür genommen wurde und wird.

„Tag der Märtyrer“ wurde zum „Tag der Muttersprache“

In Bangladesch ist der 21. Februar ein gesetzlicher Feiertag und wird als „Tag der Märtyrer“ begangen. Im November 1999 beschloss die UNESCO auf Antrag Bangladeschs, den 21. Februar zum „Internationalen Tag der Muttersprache“ zu erklären (UNESCO-Resolution 30C/DR.35).

Im Jahr 2000 wurde der „Internationale Tag der Muttersprache“ zum ersten Mal weltweit gefeiert.

Im Februar 2002 hat die UNO-Vollversammlung in einer erweiterten Resolution zur Förderung und zum Schutz der Mehrsprachigkeit die Bedeutung des Gedenktags noch einmal bekräftigt (UN-Resolution A/RES/56/262):

[The General Assembly] Welcomes the decision by the General Conference of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization on 17 November 1999 that 21 February should be proclaimed “International Mother Language Day”, and calls upon Member States and the Secretariat to promote the preservation and protection of all languages used by peoples of the world; […]

Historischer Hintergrund: Tote und Verletzte 1952 in Dhaka

Zahlreiche Tote forderte am 21. Februar 1952 eine Demonstration in Dhaka, der Hauptstadt des damaligen Ost-Pakistan, weil die pakistanische Polizei in die Menge schoss. Ursache der Proteste war der Beschluss des pakistanischen Regimes, Urdu zur alleinigen Amtssprache des Landes zu erklären. Erst fünf Jahre zuvor, 1947, hatte sich Pakistan von Indien abgespalten.

Das Problem: Nur 3 Prozent der pakistanischen Bevölkerung sprachen Urdu. Demgegenüber haben aber mehr als 56 Prozent der damaligen Gesamtbevölkerung (West- und Ost-Pakistan) Bengalisch (Bengali) als Muttersprache. In Ost-Bengalen, dem damaligen Ost-Pakistan, lag dieser Anteil sogar bei 98 Prozent.

Urdu war die Sprache der herrschenden Schichten in Pakistan und die Sprache der Muslim-Liga, auf deren Betreiben der Staat Pakistan gegründet wurde.

Westpakistan und Ostpakistan
Nach der Abspaltung der muslimisch dominierten Gebiete von Indien bestand Pakistan aus zwei Landesteilen mit unterschiedlichen Sprachen, die mehr als 1.500 Kilometer voneinander entfernt lagen. – Bild: Furfur (CC BY-SA 4.0)

Bengalisch als unislamische „Hindu-Sprache“ diskriminiert

Im damaligen West-Pakistan traf diese Entscheidung auf keinen nennenswerten Widerstand, da die dort gesprochenen Sprachen mit Urdu verwandt sind.

Für die Menschen im mehr als 1.500 km entfernten Ost-Pakistan war Urdu jedoch eine völlig fremde Sprache, die nichts mit der eigenen Kultur zu tun hatte.

Kompromissvorschlag „Urdu und Bengali“ zurückgewiesen

Die führenden bengalischen Intellektuellen und Politiker schlugen deshalb vor, neben Urdu auch Bengali zur offiziellen Landessprache zu erklären.

Dieser Kompromissvorschlag wurde brüsk zurückgewiesen. Schon 1948 hatte der pakistanische Generalgouverneur Ost-Pakistans, Jinnah, auf Englisch unmissverständlich erklärt:

Let me make it clear to you that the State Language of Pakistan is going to be Urdu and no other language. Anyone who tries to mislead you is really the enemy of Pakistan. […] so far as the State Language is concerned Pakistan’s language shall be Urdu.

Auch die bengalische Schrift sollte abgeschafft werden

Die pakistanischen Behörden versuchten in den Folgejahren sogar, die bengalische Schrift zu verdrängen, indem sie zunächst durch arabische und dann durch lateinische Zeichen ersetzt wurde.

Dies scheiterte jedoch am breiten Widerstand der Bevölkerung, die sich weder ihre Muttersprache noch ihr Alphabet nehmen lassen wollte.

Bengalische Schrift
Die bengalische Schrift ist wie andere indische Schriften eine Zwischenform aus Alphabet und Silbenschrift, eine sogenannte Abugida mit 11 Vokal- und 35 Konsonantenzeichen. – Bild: Wikipedia

Nach Bürgerkrieg erklärt Bangladesch Unabhängigkeit von Pakistan

Die brachialen Maßnahmen zur Unterdrückung der bengalischen Sprache und Kultur waren letztendlich vergebens. Sie waren nicht die alleinige, aber neben der wirtschaftlichen und politischen Benachteiligung Ostpakistans, das von Westpakistan wie eine Kolonie behandelt wurde, eine wichtige Ursache für einen neunmonatigen Bürgerkrieg.

Nach dessen Ende erklärte Ostpakistan im Dezember 1971 seine Unabhängigkeit von Pakistan. Der Name des neuen Staates: Bangladesch. Die Landessprache: Bengali.

Richard Schneider