„Unsere Zunft ein wenig mehr ins Licht rücken“ – VdÜ zeichnet Maike Albath mit Übersetzerbarke aus

Übersetzerbarke 2006
Dr. Maike Albath mit dem Preis, den ihr die VdÜ-Vorsitzende Gerlinde Schermer-Rauwolf überreicht hat.

„Zwischen Nichtbeachtung und Verächtlichmachung“ schwanke der Umgang der Medien mit Übersetzern, so Gerlinde Schermer-Rauwolf, Vorsitzende des Literaurübersetzerverbands VdÜ. Aber es gebe auch Gegenbeispiele wie die Literaturkritikerin Dr. Maike Albath. Albath habe es sich zum Prinzip gemacht, in jeder ihrer Buchbesprechungen auch die Arbeit des Übersetzers zu würdigen. Dafür verlieh ihr der VdÜ auf der Frankfurter Buchmesse die „Übersetzerbarke 2006“.

„Sie preist Gelungenes, weist aber auch auf weniger oder gar nicht Geglücktes hin“, so Schermer-Rauwolf in der Laudatio. „Und beides tut sie mit der gleichen Kompetenz und Sachlichkeit, vor allem aber mit einem in der Branche leider selten anzutreffendem Respekt vor der Person des Übersetzers und seiner Professionalität.“ Albath gehöre „zu dem kleinen, erlesenen Kreis von Menschen, die unsere Zunft ein wenig mehr ins Licht zu rücken helfen“. Darüber hinaus stelle sie sich als Moderatorin für VdÜ-Veranstaltungen zur Verfügung, leite Übersetzungsworkshops und trete bei Übersetzerpreisverleihungen als Laudatorin in Erscheinung.

Albath, die sich sehr über die Auszeichnung freute, betonte in ihrer Dankesrede die Bedeutung der Literaturübersetzer für die Buchkultur. Sie würdigte besonders die Hingabe und Ernsthaftigkeit, mit der diese, ganz im Gegensatz zu dem hektischen, oft oberflächlichen Betrieb der Buchbranche, ihrer Arbeit nachgingen. Dieser Einstellung fühle auch sie als Rezensentin sich verpflichtet – eine implizite Aufforderung an ihre Kollegen, häufiger und eingehender auch den Beitrag der Literaturübersetzer zum literarischen Leben kritisch zu begleiten.

Die Laudatio von Gerlinde Schermer-Rauwolf im Wortlaut:

„Wer keinen Stuhl hat, muss auf der Bank sitzen“, sagt der Volksmund. Wir Übersetzer sitzen in der öffentlichen Wahrnehmung nach wie vor fast immer auf der letzten Bank.
Die Leser lasten jede Unstimmigkeit, über die sie in einem Buch stolpern, per se dem Übersetzer an, der offenbar sein Handwerk nicht beherrsche.

Bei den Verlagen und ihrer medialen Lobby stehen wir im Verdacht, mit realitätsfernen Vergütungsforderungen die gesamte Buchbranche in den Ruin treiben zu wollen, blind und taub für die Warnungen wohlmeinender Verleger, die nicht müde werden, uns vor Augen zu führen, dass dieses von uns provozierte Ende der Literatur auch unser eigenes Verderben wäre.
Die Verlage der Gruppe Random House machen seit einiger Zeit in ihren Verträgen Übersetzern den juristischen Anspruch auf korrekte Schreibung ihres Namens in veröffentlichten Übersetzungen streitig, obwohl das einzige Werbemittel, das ein Übersetzer hat, das er sich leisten kann, sein guter Name ist.

In Hörbüchern sucht man den Namen des Übersetzers auf dem Cover der CD-Box vergeblich unter dem des Autors und dem des Sprechers, auch auf der blanken Scheibe nichts davon, dass dort ein Übersetzer mit am Werke war, der Übersetzername findet sich erst im Kleingedruckten auf der letzten Seite des Booklets.

Und kaum zu überbieten ist die Ignoranz, mit der das Gros der Kritiker unserer Zunft begegnet. Da werden in den diversen Literatursendungen im Fernsehen jeweils vier, fünf neue Bücher vorgestellt, mindestens drei davon sind Übersetzungen, doch das wird nicht einmal erwähnt.

Neuerscheinungen internationaler Autoren werden in allen größeren und kleineren regionalen Tageszeitungen ausführlich rezensiert, dabei wird nicht selten lang und breit aus dem jeweiligen Werk zitiert, aber der Name des Übersetzers wird nicht genannt, weder im Text selbst, noch in den bibliographischen Angaben am Ende des Beitrags. Und wenn doch, wie in der Regel in den Feuilletons der überregionalen Blätter, kommt seine Nennung nicht selten einer öffentlichen Hinrichtung gleich. Da liest man dann Sätze wie: „Abgesehen davon, dass die Übersetzerin mit dem deutschen Konjunktiv auf Kriegsfuß steht, ist die Lektüre dieses Romans durchaus vergnüglich“, oder: „Hätte der Übersetzer nicht das Wortspiel auf Seite 234 missverstanden, könnte es ein unterhaltsames Buch sein.“

Es gibt im deutschsprachigen Raum immerhin eine Handvoll Verlage, die den Namen des Übersetzers auf den Schutzumschlag des Buches drucken. Es gibt ein paar Rezensenten, die sich verantwortungsvoll auch zu den Übersetzungen der von ihnen besprochenen Bücher äußern … und es gibt unsere diesjährige Preisträgerin Maike Albath.

Sie ragt aus dem grauen Alltag eines Umgangs mit den Übersetzern, der zwischen Nichtbeachtung und Verächtlichmachung changiert, als leuchtendes Beispiel heraus, denn sie ist eine, die es sich zum Prinzip gemacht hat, in jeder ihrer Buchbesprechungen auch die Arbeit des Übersetzers zu würdigen. Lobhudelei ist ihre Sache nicht. Sie preist Gelungenes, weist aber auch auf weniger oder gar nicht Geglücktes hin. Und beides tut sie mit der gleichen Kompetenz und Sachlichkeit, vor allem aber mit einem in der Branche leider selten anzutreffendem Respekt vor der Person des Übersetzers und seiner Professionalität.

Lassen Sie mich ein paar Splitter aus Kritiken von Maike Albath zitieren. Über Giuseppe Tomasi di Lampedusa, Der Gattopardo, sagt sie: „Dass Tomasi vom gattopardo spricht, ist eine ironische Umwertung – beim gattopardo handelt es sich nämlich um einen Pardel oder einen Ozelot, der, anders als der Leopard, wegen seines verknöcherten Zungenbeins nicht mehr brüllen kann. Auf diese zoologischen Feinheiten weist uns der neue Übersetzer Gio Waeckerlin-Induni hin.“

Über die Ausgabe sämtlicher Gedichte von William Butler Yeats im Luchterhand Verlag, übersetzt von Marcel Beyer, Mirko Bonné, Gerhard Falkner, Norbert Hummelt und Christa Schuenke, hören wir von ihr: „Yeats ist zotiger, frecher und witziger geworden, und die Übersetzungen haben gegenüber den bisher vorliegenden […] an Präzision gewonnen.“

In ihrer Kritik zu Italo Svevos Senilità lesen wir: „Barbara Kleiner darf mit Senilità […] zum zweiten Mal ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen. Insgesamt wird Kleiners Übertragung den stilistischen Eigenarten Svevos wie seinem Satzrhythmus und der Syntaxstruktur gerecht und ist in vielen Punkten der bisher vorliegenden Übersetzung Piero Rismondis überlegen.“ Es folgt eine lange Aufzählung solch positiver Punkte, an die sich ein paar kritische Bemerkungen anschließen. Da heißt es etwa: „Ähnliche Stilbrüche unterlaufen ihr mehrfach“. Und auch hier wird wieder nichts behauptet, ohne überzeugend belegt zu werden. „Aber“, so schließt Maike Albath, „Barbara Kleiners Übersetzung ist ein Anlass, den ersten modernen Liebesroman der italienischen Literatur wiederzuentdecken.“

Doch auch da, wo ihr das Ergebnis übersetzerischen Tuns zweifelhaft oder gar unbefriedigend erscheint, wie im Falle eines Bandes mit Gedichten von Andrea Zanzotto, schreibt sie sachlich und ohne Häme: „Wie soll man ein derartiges Buch übersetzen? Nach der Lektüre des wagemutigen Unterfangens von Peter Waterhouse, Maria Fehringer, Donatella Capaldi und Ludwig Paulmichl stellt sich die Erkenntnis ein: vielleicht gar nicht. […] Wiederzuerkennen ist die atemberaubende Stimme Zanzottos in der deutschen Ausgabe häufig nicht.“ Und Maike Albath – von Hause aus Italianistin – begründet auch dieses Urteil in einem ausführlichen, analytischen Beitrag in der Frankfurter Rundschau.

Maike Albath, und das ist das Besondere an dieser Kritikerin, bleibt immer fair, auch dann, wenn sie an einer Übersetzung etwas zu beanstanden hat. Und sie beherrscht nicht nur das Andante der bedachtsamen Einwanderhebung, sondern ebenso das Allegro des Lobens, das jeden Übersetzer freut, etwa, wenn sie über Alessandro Manzonis Brautleute schreibt: „Für den deutschen Leser ist Kroebers Übersetzung ein Glücksfall […].“

Sie weiß, wie existentiell wichtig für den Übersetzer die korrekte öffentliche Nennung seines Namens ist. Und sie weiß auch, dass die Öffentlichkeit beim Kritiker endet, dass der Übersetzer kein Forum hat, um sich gegen eine undifferenziert negative Kritik zu wehren, und dass ein fahrlässiger, unausgewogener Verriss unter Umständen seine berufliche Existenz vernichten kann. Deswegen geht die Kritikerin Maike Albath mit Umsicht und Behutsamkeit zu Werke.

Wenn ich sage, Maike Albath sagt, oder wir hören von ihr, so ist das oft wortwörtlich zu verstehen. Den meisten von uns war nämlich, ehe wir sie zum ersten Mal leibhaftig sahen, ihre sympathische, ganz unverwechselbare, präzise artikulierende Stimme längst aus dem Radio bekannt, etwa aus der Sendung Büchermarkt des Deutschlandfunks oder als Moderatorin des Studio LCB im nämlichen Sender, oder auch aus ihren lebendigen, nicht selten durch Interviews mit Autoren, aber auch mit Übersetzern ergänzten Buchbesprechungen im Deutschlandradio Kultur.
Aber Maike Albath schreibt auch: in der Frankfurter Rundschau, im Berliner Tagesspiegel, in der Neuen Zürcher Zeitung. Und sie stellt sich bereitwillig bei Veranstaltungen unseres Übersetzerverbands (VdÜ) als Moderatorin zur Verfügung, leitet Übersetzerworkshops, tritt bei Übersetzerpreisverleihungen als Laudatorin in Erscheinung und nimmt überhaupt in einem Maße Anteil an den Aktivitäten und den Geschicken der Literaturübersetzer, das für eine Vertreterin der Kritikergilde durchaus bemerkenswert ist.

„Der Unzufriedene findet keinen bequemen Stuhl“, sagt Benjamin Franklin. Wir Übersetzer sind sehr zufrieden mit dem kritischen Wirken unser Preisträgerin Maike Albath, gehört sie doch zu dem kleinen, erlesenen Kreis von Menschen, die unsere Zunft ein wenig mehr ins Licht zu rücken helfen.

Ob der Stuhl, der die Übersetzerbarke des Jahres 2006 trägt, und den die Berliner Künstlerin Inka Gierden gestaltet hat, ein bequemer Stuhl ist? Für Menschen mit sitzender Beschäftigung und dementsprechend geschundenem Rücken, Kritikerinnen beispielsweise oder auch Übersetzer, wohl kaum. Aber sieht er nicht ein bisschen aus wie ein Thron? Und gleicht die kleine Barke darauf – mit etwas Phantasie – nicht einer goldenen Krone?

Liebe Maike Albath, wir danken Ihnen für Ihre Fairness, Ihren Respekt und Ihr waches Interesse an der Arbeit der Literaturübersetzer. Wir hoffen, dass Sie uns gewogen bleiben, und wünschen uns von Ihren Zunftkollegen, dass sie Ihrem Beispiel folgen mögen.

[Text: Richard Schneider. Quelle: VdÜ-Pressemitteilung, 2006-09-28. Bild: Thomas Wollermann / VdÜ.]