Literaturübersetzer Ulrich Blumenbach erhält Preis der Leipziger Buchmesse

Ulrich Blumenbach
Ulrich Blumenbach - Bild: Ronald Bonß / LBM

Am 18. März 2010 wurde zum sechsten Mal der renommierte Preis der Leipziger Buchmesse vergeben. Nominiert waren jeweils fünf Autoren oder Übersetzer in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung.

Die Jury unter Vorsitz von Verena Auffermann entschied sich in der Kategorie Übersetzung für Ulrich Blumenbach und seine unter dem Titel Unendlicher Spaß erschienene Übersetzung des Romans Infinite Jest von David Foster Wallace (Verlag Kiepenheuer & Witsch).

Blumenbach musste Wörter erfinden, die es bislang nicht gab

„Unendlicher Spaß“ – das klingt wie die Paradiesvision unserer Epoche, wie die ultimative Glücksutopie für ein Zeitalter, dem das nie endende Vergnügen als einzig noch erstrebenswerter Lebensinhalt gilt. Aber „Infinite Jest“, der amerikanische Originaltitel des 1996 erschienenen Romans von David Foster Wallace, zitiert die berühmteste Totengräberszene der Weltliteratur: Shakespeares Hamlet erinnert sich an den Hofnarren Yorick, „a man of infinite jest“, als er dessen Totenschädel erblickt.

Es ist eine Schreckensvision, die der 1962 geborene und vor eineinhalb Jahren durch Selbstmord verstorbene Autor in diesem monumentalen Meilenstein der amerikanischen Literatur entworfen hat. Die hochaktuelle Schreckensvision von der tödlichen Unterhaltung, der desaströsen Einlösung und gleichzeitigen Abschaffung des amerikanischen Traums vom „pursuit of Happiness“. Ein Gesellschaftsroman ist dieses gewaltige Buch, mehr noch: ein zutiefst pessimistischer Weltentwurf.

Sechs Jahre hat Ulrich Blumenbach daran gesessen, diese komplexe, absurde, dunkle Welt im Deutschen neu zu erfinden. Sechs Jahre, in denen er sich bis in die feinsten Verästelungen der Psychiatrie, des Drogenkonsums und des Tennis, der Philosphie, Sprachtheorie und Mathematik einlesen musste. Doppel- und Dreifachcodierungen von Figuren und Sprachebenen galt es aufzulösen und umzusetzen.

Blumenbach musste mit Stilebenen jonglieren – in einer atemberaubenden Virtuosität. Und die entlegensten, vergriffensten Wörterbücher ausfindig machen, aus denen sich Wallace bediente. Er musste Wörter erfinden, die es bislang nicht gab, weil David Foster Wallace diesen Sport ähnlich perfekt beherrschte wie Tennis. Und bei allen technischen, ja wissenschaftlichen Schwierigkeiten dieser Arbeit, bei den enormen sprachschöpferischen Anforderungen, die diese Aufgabe an ihn stellte, ist es Blumenbach auch gelungen, das tiefe Mitleiden, die unendliche Empathie zu transportieren, die David Foster Wallace für seine Figuren empfand.

Übersetzer lebt in Basel

Ulrich Blumenbach, geboren 1964 in Hannover, lebt in Basel. Er studierte Anglistik und Germanistik in Münster, Sheffield und Berlin. Seit 1993 übersetzt er Romane und Essays, u. a. von Paul Beatty, Agatha Christie, Kinky Friedman, Stephen Fry, Arthur Miller und Tobias Wolff ins Deutsche. 2009 erhielt er den Ledig-Rowohlt-Preis.

Neben Blumenbach waren in der Kategorie Übersetzung nominiert:

  • Christian Hansen: 2666, aus dem Spanischen von Autor Roberto Bolaño (Carl Hanser Verlag)
  • Grete Osterwald: Waltenberg, aus dem Französischen von Autor Hédi Kaddour (Eichborn Verlag)
  • Rosemarie Tietze: Anna Karenina, aus dem Russischen von Autor Lew Tolstoi (Carl Hanser Verlag)
  • Hubert Witt: Wilner Getto 1941-1944: Gesänge vom Meer des Todes, aus dem Jiddischen von Autor Abraham Sutzkever (Ammann Verlag)

Zum Preis der Leipziger Buchmesse

Der Preis ehrt herausragende deutschsprachige Neuerscheinungen und Übersetzungen. Dotiert ist er mit insgesamt 45.000 Euro. Der Freistaat Sachsen und die Stadt Leipzig unterstützen den Preis der Leipziger Buchmesse. Partner ist das Literarische Colloquium Berlin (LCB), Medienpartner sind die Wochenzeitschrift DIE ZEIT und das Magazin BÜCHER.

Die Jury

Verena Auffermann (Vorsitz), Jens Bisky (Süddeutsche Zeitung), Dr. Ina Hartwig, Kristina Maidt-Zinke (Süddeutsche Zeitung), Elmar Krekeler (Die Welt), Dr. Adam Soboczynski (Die Zeit) und Volker Weidermann (Frankfurter Allgemeine Zeitung).

Sechs Jahre für ein Buch. Lohnt sich das?

Soweit die Pressemitteilung der Leipziger Buchmesse. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel wurde Blumenbach 2009 gefragt, ob es sich lohne, sechs Jahr auf die Übersetzung eines Buchs zu verwenden. Seine Antwort: „Ideell? Natürlich.“ Auf die Nachfrage, ob es sich denn auch finanzielle lohne, für die vorab vereinbarten 52.000 Euro Honorar sechs Jahre zu arbeiten, erklärte Blumenbach:

Mein Verleger Helge Malchow sagte sehr schön, dass der ,Unendliche Spaß‘ nicht ,im Zentrum unserer Umsatzerwartungen‘ stehe, aber immerhin bin ich vom ersten Exemplar an erfolgsbeteiligt. Geplant waren ursprünglich vier Jahre Arbeit und das Erscheinen für 2007, das Honorar war ein Drittel dessen, was ich zum Leben brauchte. Eine kleine Erbschaft habe ich in dieser Zeit aufgebraucht.

In einem Interview mit der Zeit antwortet Blumenbach auf die Frage, ob der Übersetzerberuf immer noch unterschätzt werde:

Er war es lange. Aber es wird besser. Wir rücken zunehmend ins Licht der Öffentlichkeit, das sieht man auch an diesem Preis, der hier in Leipzig verliehen wird. Nebenbei: Deutschland hat eine hervorragende Übersetzerkultur, das ist eine historische Tatsache. Sie ist eine der besten der Welt.

Ulrich Blumenbach
Die Jury-Vorsitzende Verena Auffermann und Martin Buhl-Wagner, Geschäftsführer der Leipziger Messe, gratulieren Ulrich Blumenbach. – Bild: Ronald Bonß / LBM

rs