Im Mittelpunkt der Entwicklung neuer Produkte steht heute der Lebenszyklus. Dieses Konzept begleitet ein Produkt in allen seinen Lebensphasen von der Geburt bis zur Entsorgung. Teams von Entwicklern, Ingenieuren, Marketingspezialisten denken darüber nach, wie sie bei der Produktspezifikation die Wünsche der weltweit vorhandenen Kunden berücksichtigen, wie sie Wartung und Kundenservice optimal gestalten und wie sie zum Schluss einzelne Komponenten umweltfreundlich recyceln. Aber mit Übersetzungen und teilweise auch mit der Erstellung der Produktdokumentation verlieren diese Teams im Allgemeinen keine Zeit. Es ist an und für sich erstaunlich, wenn man weiß, dass bei Industrieprodukten der Anteil der Dokumentationskosten an den Produktkosten nicht selten 1-3 % ausmacht (Peter Oehmig, 2005: tekom-Regionalgruppe Nord, „Was darfs denn kosten?“). An Übersetzungen denkt man meistens erst dann, wenn eine fremdsprachige Version zum Einsatz kommen muss. Daran sind je nach Bedarf unterschiedliche Menschen und Abteilungen beteiligt, die in linguistischen Fragen oft wenig miteinander zusammenarbeiten.
„Produkt“ ist ein sehr allgemeiner Begriff. Er kann sich auf eine Maschine, auf einen chemischen Stoff, auf eine Dienstleistung oder auf eine Software beziehen, die ja verschiedenartige Dokumentationen und Informationen nach sich ziehen. Tatsache ist aber, dass alle diese Produkte in unterschiedlichen Phasen ihres Einsatzes dokumentiert werden. Wenn man die Liste der Texte zusammenstellt, die sich auf ein Produkt beziehen, staunt man darüber, wie lang diese ist und wo überall Texte entstehen. Produktinformationen finden sich z. B. in Spezifikationen, auf CAD-Plänen, in Zulassungsanträgen, in Softwaretexten, in Handbüchern, in Marketing-Material, in Verträgen und und und. Und vieles davon ist oft in mehreren Sprachen verfügbar. Allein in der EU gibt es 23 Amtssprachen, die für bestimmte Bestandteile einer Dokumentation Pflichtsprachen darstellen, wenn Firmen ihre Produkte in das europäische Ausland vertreiben wollen.
Selten hat dies aber dazu geführt, eine ganzheitliche Übersetzungsstrategie zu entwickeln, die den Übersetzungsbedarf im gesamten Produktlebenszyklus berücksichtigt. Bestenfalls hat man dabei nur einen Teilbereich wie die Übersetzung von Bedienungsanleitungen optimiert. So passiert es immer wieder in der Praxis, dass ein Konstrukteur eine englische Übersetzung für seine Pläne organisiert, die andere Fachwörter verwendet als die Unterlagen, die später Kundendienstmitarbeiter benutzen. Oder der Softwarebenutzer in Brasilien findet in seiner Online-Hilfe Formulierungen, die eindeutig ein Übersetzer aus Portugal erstellt hat. Oft wissen diese einzelnen Übersetzer, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten für unterschiedliche Abteilungen Produktinformationen übersetzen, nichts voneinander und übersetzen dieselben oder ähnliche Sätze immer wieder, weil es keine gemeinsame Übersetzungsdatenbank gibt. Man stelle sich vor, die deutsche Industrie würde nach dieser Methode Maschinen entwickeln! Dass diese Arbeitsweise in Sachen Übersetzungen zu allerlei Fehlentwicklungen führt, ist nachvollziehbar. Zum einen leidet die Qualität darunter. Unterschiedliche Übersetzer bedeuten unterschiedliche Fachwörter und einen uneinheitlichen Schreibstil.
Zum anderen gibt es ein Effizienzproblem. Es ist Stand der Technik, dass professionelle Übersetzer mit Translation Memory Systemen arbeiten. Das Translation Memory speichert alle übersetzten Sätze und dient sie bei neuen Übersetzungsprojekten zur Wiederverwendung an. Das erhöht die Konsistenz der übersetzten Texte und senkt die Kosten wenn alle Übersetzer tatsächlich solche Translation Memories durchgehend gemeinsam benutzen. Da es aber kein auf den gesamten Produktlebenszyklus ausgerichtetes Übersetzungsmanagement gibt, bestehen in verschiedenen Abteilungen oft Insellösungen zeitversetzt nebeneinander. Übersetzungsdienstleister A hat die Konstruktionsunterlagen übersetzt und speichert die Übersetzung in seinem Translation Memory. Später kommt für die nächste Abteilung Übersetzungsdienstleister B zum Zuge und kümmert sich um die Betriebsanleitungen, wobei er bereits übersetzte Sätze von Dienstleister A nicht wieder verwendet, weil er sein eigenes Memory benutzt. Schließlich übersetzt ein weiterer Dienstleister Marketingunterlagen mit ganz anderen Wörtern. Zusammengefasst heißt dies, dass Unternehmen hier Möglichkeiten verschenken, bereits vorhandene Übersetzungen wiederzuverwenden und eine gemeinsame Sprache zu sprechen. Corporate wording heißt dies im Fachjargon. Wenn man regelmäßig in mehrere Sprachen übersetzen lässt, ist diese Fragestellung aufgrund der Hebelwirkung mehrerer Sprachen umso wichtiger.
Auch die Arbeit mit diesen sich abwechselnden Übersetzern bedeutet ein Vielfaches an Verwaltungs- und Kommunikationsaufwand. Mitarbeiter müssen Informationen, Definitionen, Erläuterungen mehrfach zusammenstellen. Unterschiedliche Stellen im Unternehmen erstellen ähnliche Anweisungen für unterschiedliche Übersetzer. Die Pflege von Terminologie oder von Übersetzungsdatenbanken erfolgt dezentral und Inhalte sind teilweise redundant.
Zu guter Letzt wirkt sich diese Situation auf den Faktor Zeit aus. Durch den unkoordinierten Einsatz von Übersetzern in Großunternehmen kommt es zu Verzögerungen, Korrekturbedarf und Mehraufwand, die in Einzelfällen den Zeitpunkt der Vermarktung eines Produktes negativ beeinflussen. Das nachträgliche Korrigieren einer Softwareoberfläche kostet Zeit, genauso wie das überflüssige Übersetzen von Texten, weil Translation Memories nicht konsolidiert wurden. Chancen, durch Feinabstimmung und zeitversetzte Arbeit Prozesse zu verkürzen, werden verpasst.
Während vielerorts Produkte über ihre eigenen Grenzen hinaus zu wachsen scheinen, herrscht im Übersetzungsmanagement noch ein sehr großzügiger Umgang mit Qualität und Ressourcen. Noch. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der globale Wettbewerb die Optimierung des Übersetzungsprozesses für den kompletten Produktlebenszyklus auf den Radarbildschirm der Mehrheit von Unternehmen bringt. Warum also länger warten?
Aber welche sind die Schritte dorthin? Als Erstes bedarf es einer Bestandsaufnahme. Welche Texte gehören zu einem Produkt? Wer verfasst diese Texte und wer übersetzt sie? Zu welchem Zeitpunkt des Produktlebenszyklus entstehen diese Texte bzw. deren Übersetzungen? Mit welchen technischen Mitteln werden sie produziert? Gibt es eine zentrale Terminologiedatenbank? Wer archiviert die Translation Memories und wo? Danach geht es um die Bewertung der Texte, der Übersetzungen und der Prozesse. Was lässt sich standardisieren (Inhalte, Terminologie, Formate, Verfahren), wo gibt es Reibungsverluste?
Lassen sich Prozesse parallel oder zeitversetzt ausführen, welche Inhalte kann man wiederverwenden?
Mit dieser Analyse kann man die betroffenen Mitarbeiter und Abteilungen an einen Tisch holen und mit Hilfe von Übersetzungsspezialisten den optimalen Prozess und die optimale Technologie für eine auf den gesamten Produktlebenszyklus abgestimmte Übersetzungsstrategie von der Geburt der Übersetzungen an bis zu deren Entsorgung festlegen. Dabei ist die Einbeziehung eines Partners mit globalem Konzept und Erfahrung sicherlich nur von Vorteil.
[Text: D.O.G. GmbH. Quelle: D.O.G. news 1/11. Bild: © JPS – Fotolia.com.]