Alla Kusch über das Gerichtsdolmetschen

Dr. phil. Alla Kusch ist eine staatlich geprüfte, allgemein vereidigte Dolmetscherin und ermächtigte Übersetzerin der russischen Sprache. Ihr Germanistikstudium absolvierte sie an der Universität in Riga (Lettland), das Studium der deutschen Philologie an der Lomonossow-Universität in Moskau, wo sie auch promovierte. Seitdem sie die staatlichen Prüfungen zur Dolmetscherin und Übersetzerin in Hessen bestanden hat, arbeitet sie am Gericht. Seit 1993 ist sie als freiberufliche Dolmetscherin und Übersetzerin tätig, lehrt Deutsch als Fremdsprache und unterrichtet Russisch.

Nun hat die Gerichtsdolmetscherin aus Weiterstadt (Kreis Darmstadt) aus dem Nähkästchen geplaudert.

Zwei Jahre dauerte der längste Prozess, für den Kusch als Dolmetscherin bestellt war. Verhandelt wurde – unter hohen Sicherheitsvorkehrungen – über Drogenschmuggel. „Das ist spannend, als würde man einen Krimi live erleben“, sagt Alla Kusch.

Sowohl in Familien-, Zivil- als auch in Strafsachen dolmetscht Kusch für das Gericht. „Am Anfang war das nicht einfach, ich fühlte mich unter einem ähnlichen Druck wie die Angeklagten. Es hängen ja Schicksale davon ab, wie authentisch ich das Gesagte rüberbringe.“ Schließlich sollen die Richter, Staats- und Rechtsanwälte nicht sie, sondern die Zeugen und den Angeklagten sprechen hören. Sie habe eine „unheimlich verantwortungsvolle“ Arbeit zu verrichten, die schnelle Reaktionsfähigkeit erfordere. „[D]ie Menschen und Schicksale vor Gericht sind immer anders und immer neu“, weshalb sie nie auslerne.

Junge Menschen, die Dolmetschen studieren möchten, hätten zwar gute Chancen, die Rahmenbedingungen für Gerichtsdolmetscher seien jedoch verbesserungswürdig, erzählt Kusch. „Das Verständnis für diese Arbeit ist nicht sehr groß, […] [denn als] Dolmetscher kommt man in den Gerichtssaal ohne zu wissen, worum es überhaupt geht.“ Ilse Freiburg, 2. Vorsitzende des Berufsverbands der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) Landesverband Hessen, erklärt, dies solle für die Unvoreingenommenheit der Dolmetscher sorgen. „Wir wünschen uns aber, vorab zumindest grob über die Art des Falls informiert zu werden – immerhin sind wir vereidigt und unterliegen der Schweigepflicht.“

Alla Kusch kritisiert die Vorgehensweise zahlreicher Bundesländer, in denen Dolmetscher vor der Berufung ans Gericht keinen Nachweis über ausreichende Kenntnisse der Rechtssprache sowie der Grundlagen des deutschen Rechts erbringen müssen. Auch in Hessen sei dies der Fall. „Wir müssen aber viel mehr können als nur die Sprache“, erklärt Kusch.

Da Verhandlungen sich über insgesamt acht Stunden am Tag hinziehen können, die Arbeitsbedingungen im Gericht, wie bereits erwähnt, oftmals verbesserungswürdig seien, die Dolmetscher zum Teil sogar in der kurzen Mittagspause für den Anwalt und Mandanten dolmetschen müssen, haben Gerichtsdolmetscher eine anstrengende Aufgabe zu bewältigen, so Dr. phil. Alla Kusch. In anderen Teilen Europas sei es üblich, dass sich zwei Dolmetscher im Halbstundentakt ablösen, merkt Ilse Freiburg an.

Ferner sagt Kusch, dass das Dolmetschen vor Gericht „leider unter dem Niveau der auf dem freien Markt üblichen Honorare bezahlt“ werde. Dennoch sinke das Honorar stetig. Dies erwecke den Eindruck, die Behörden seien sich dessen nicht bewusst, dass Gerichtsdolmetscher, abgesehen von den Sprachkenntnissen, über juristische und kulturelle Kenntnisse verfügen müssen, um einen fairen und reibungslosen Prozess sicherzustellen. Trotz allem würde Kusch jedem den Beruf des Dolmetschers weiterempfehlen und begründet dies wie folgt: „Es kommt nie Langeweile auf. Und im Angesicht vieler Aussagen lernt man, sein eigenes Leben zu schätzen, und merkt, wie gut es einem selbst geht.“

[Text: Jessica Antosik. Quelle: main-netz.de, 27.07.2011; kusch-online.com. Bild: Alla Kusch.]