Che Guevara, Salvador Allende, Indira Ghandi, Erich Honecker, Walter Ulbricht, Margaret Thatcher, George Bush sen., Bill Clinton. Wolfgang Ghantus, Jahrgang 1930, kannte sie alle. In 60 Jahren Berufspraxis als Dolmetscher spielte sich seine Arbeit nicht selten vor dem Hintergrund weltpolitischer Ereignisse auf vier Kontinenten ab. Jetzt hat Ghantus seine Lebenserinnerungen verfasst, die in wenigen Tagen als Buch erscheinen.
Anekdotenhaft, aber nie sensationslüstern, charakterisiert er darin viele Figuren der Zeitgeschichte, die seine Auftraggeber waren. Der BILD-Zeitung hat er schon einiges verraten, zum Beispiel über Erich Honecker:
Als ich Honecker 1950 das erste Mal traf, bot er mir eine Camel an. Damals hat er ja noch geraucht wie ein Schlot. […] Ahnung von Fremdsprachen hatte er nicht. Was mich verwundert hat, denn er war ja einige Zeit in der Sowjetunion. Aber sprachlich war nichts zu machen bei ihm. Er war auch kein guter Redner, hat immer nur abgelesen. Er hat monoton gesprochen, ohne Punkt und Komma. Er war furchtbar schwer zu dolmetschen. Seine Frau Margot war da viel besser. Mit ihr hatte ich auch ein persönlicheres Verhältnis. Sie war intelligent und flexibel. Eigentlich war sie all das, was ihr Mann nicht war. […] Honecker selbst hat mich immer geduzt, aber ich musste ihn mit Genosse Staatsratssekretär ansprechen. So formell ist das gewesen.
Über Walter Ulbricht schreibt Ghantus:
Er war mir erst unsympathisch. Wenn der den Mund aufmachte mit seinem unheimlichen Sächsisch. Aber das war ein oberflächlicher Eindruck. Ich habe hinterher erfahren, dass er mit Stalin immer wieder im Konflikt war, weil die DDR von der Sowjetunion geschwächt und geschröpft wurde bis zum Geht-Nicht-Mehr.
Im Gegensatz zu den meisten DDR-Bürgern konnte Ghantus weltweit reisen. Trotzdem hat er sich nie von seinen Arbeitgebern abhängig gemacht, sondern wahrte seine Unabhägigkeit als freiberuflicher Dolmetscher.
Ghantus hat in Leipzig und Halle Journalistik studiert und spricht Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch. „Entdeckt“ hat ihn noch während des Studiums Erich Honecker, der damals Vorsitzender der Freien Deutschen Jugend war. Ghantus begleitete den späteren Staatsratsvorsitzenden auf zahlreichen Auslandsreisen.
Der Verlag kündigt das Werk als „lesenwertes Zeitpanorama“ vom Zweiten Weltkrieg bis in unsere heutige Zeit an.
Bibliografische Angaben
- Wolfgang Ghantus (2011): Ein Diener vieler Herren. Als Dolmetscher bei den Mächtigen der Welt. Leipzig: Militzke. Zahlreiche Fotos, 200 Seiten, 13,5 x 22 cm Hardcover, ISBN 9783861898467, 17,90 Euro. Auch digital erhältlich. Auf Amazon ansehen/bestellen.
Jessica Antosik