Festival „Translating HipHop“: Dolmetschende Rapper und rappende Dolmetscher

Translating HipHopIn Berlin ist soeben das dreitägige Festival „Translating HipHop“ (10.-12.11.2011) im Haus der Kulturen der Welt (HKW) zu Ende gegangen. Es bildete den Abschluss eines fast einjährigen Projekts. Im Programmheft heißt es:

In den vorangegangenen Workshops in Beirut, Bogotá, Manila und Nairobi haben Rapper Songtexte in ihre Sprachen übersetzt. Darauf aufbauend entwickelten sie Variationen, die den Inhalt der Vorlage aufgreifen, aber mit eigenen Erfahrungen und Interpretationen durchsetzen. Durch Sprache, Gestik und den individuellen Stil entstand so eine Vielzahl von Versionen derselben Stücke. In Berlin wurde nun untersucht, was für Geschichten sich hinter den Übersetzungen der Lyrics verbergen. Was wurde von den MCs übernommen, was verändert und warum? Welche Hindernisse mussten beim Übersetzen überwunden werden, welche Gemeinsamkeiten gab es?

Das Projekt sei als „Gegenentwurf zum Klischee von HipHop als oberflächlicher und nichtssagender Gelddruckmaschine“ gedacht, schreibt die Wochenzeitung der Freitag. Es gehe um die Inhalte: „Um die zu verstehen, tauschen die RapperInnen beim Konzert im HKW die Gesangs- gegen die Übersetzerkabine. Während die einen auf der Bühne rappen, übersetzen die anderen die Texte parallel in andere Sprachen, die Besucher können auf ihren Kopfhörern zwischen verschiedenen Kanälen wählen. Es ist spannend, wie unterschiedlich die Idiome bei der Verhandlung des gleichen Inhalts sind: Tondo Tribe verwenden bei der Übersetzung in der Kabine rund dreimal so viele Wörter wie der Hamburger Rapper Max Maxamom auf der Bühne.“ Translating HipHop sollte Barrieren aufbrechen. Der Freitag schreibt weiter:

Professionelle Dolmetscher übersetzten die Texte der Teilnehmer in die anderen Sprachen. „Damit hast Du aber noch keinen Plan von den Hintergründen der anderen Rapper“, sagt Pyranja, Rapperin und Radiomoderatorin aus Berlin. Geniale Wortspiele in der einen sind in einfacher Übersetzung unverständlich in der anderen Sprache. „Wenn ich eins zu eins übernehme, was Diana Avella aus Kolumbien rappt, denkt man hier, ich hab einen an der Klatsche“, sagt Pyranja. Die Auseinandersetzung mit dem Leben der Künstler und die Besuche der anderen Länder hätten ihr die Augen geöffnet: „Wir haben andere Probleme, aber auch so viele Gemeinsamkeiten.“

Rapper in der Dolmetscherkabine

Die Hip-Hop-Szene in Berlin ist schon lange polyglott. Durch die Einwanderungsgeschichte der Stadt geprägt, rappen MCs hier mehrsprachig – auf Deutsch, Türkisch, Kurdisch, Lingala, Französisch, Englisch, Spanisch und anderen Sprachen. Die Kuratoren Detlef Diederichsen und Dr. Susanne Stemmler beschreiben den Anspruch der Veranstaltung im Programmheft wie folgt:

Am Anfang als „Black Noise“ abgewertet, hat sich Hip Hop in den letzten 30 Jahren über den Globus verbreitet. Auf der ganzen Welt praktiziert man die verschiedenen Dimensionen dieser energiegeladenen Kultur: Rap, DJing, Breakdance, Graffiti. Körpersprache und Gesten werden fast überall verstanden, die Übersetzung funktioniert unbemerkt. Durch diese gemeinsame „Sprache“ ist eine virtuelle „Hip Hop nation“ entstanden. Gleichzeitig haben lokale Szenen völlig unterschiedliche Stile, Dialekte, Slangs und Codes, die eine Übersetzung erfordern.

Hier setzt Translating Hip Hop an: Es feiert Hip Hop und Übersetzung zugleich. MCs aus Bogotá, Beirut, Nairobi, Berlin und Manila arbeiten seit Februar 2011, u. a. in vier Workshops in diesen Städten, an RapÜbersetzungen aus den verschiedenen Sprachen. Zum Festival präsentieren sie an zwei Konzertabenden ihre babylonischen Performances.

Der Kongress bringt in Performances, Lectures, Talks und Filmen internationale Künstler, Aktivisten und Hip Hop-Experten zum Thema Übersetzung und Hip Hop zusammen. Sie alle erkunden neue Szenen, decken globale Verbindungen auf und knüpfen neue Netzwerke.

Translating HipHop

Zu den beteiligten Künstlern gehörten Amewu (Deutschland), Anne Khan (Deutschland),  Diana Avella (Kolumbien), Flaco Flow and Melanina (Kolumbien), MC Kah (Kenia), Mad Maxamom (Deutschland), Malikah (Libanon), Nazizi (Kenia), Pyranja (Deutschland), Rayess Bek (Libanon), Chefket (Deutschland), Tondo Tribe (Philippinen).

Auf dem Programm standen in Berlin auch „Academic Workshops“, zu denen Sprachwissenschaftler geladen waren. Dazu heißt es im Programmheft:

Übersetzen bedeutet immer auch Austausch mit dem Unbekannten. In den Kulturwissenschaften bilden Übersetzungsprozesse im Zusammenhang mit globaler Kulturproduktion schon seit einigen Jahren ein hochaktuelles Forschungsfeld. Neue Impulse kommen dabei immer wieder aus verschiedensten populären Musikszenen. Der Workshop lädt Hip Hop-Forscher ein, sich mit dem Projekt Translating Hip Hop vor dem Hintergrund ihrer eigenen Arbeiten auseinanderzusetzen und es zu kommentieren.

Der Titel einer Veranstaltung lautete „Hip Hop: Übersetzung als Energie“. Dazu schreiben die Veranstalter:

Die unterschiedlichen Beats zweier Tracks aufeinander abzustimmen ist Übersetzung. Arabische Kaffeehausmusik aus den 50er Jahren für einen Rap in London zu samplen, ist Übersetzung. Freestylen und Breakdance Moves sind spontane Übersetzungen eines Moments, genauso das Nachahmen maschineller Sounds beim Beatboxing. Die Neudeutung und damit Aneignung von ‚Anderem’ ist im Hip Hop immer Antrieb für die kreative Performance.

Translating HipHop war ein Projekt des Hauses der Kulturen der Welt (HKW) und des Goethe-Institus. Finanziell unterstützt wurde es durch den Hauptstadtkulturfonds, die Botschaft der Vereinigten Staaten von America und das Berliner Künstlerprogramm des DAAD. Das HKW wird gefördert durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und das Auswärtige Amt.

Das englischsprachige Blog der Veranstaltung kann unter der folgenden Adresse abgerufen werden: http://translatinghiphop.de/blog/

[Text: Richard Schneider. Quelle: Translating HipHop. Bild: Translating HipHop, Jakob Hoff / Haus der Kulturen der Welt (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Pressereferenten).]

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