Jemen: Dolmetscher des Präsidenten entführt – Opposition kritisiert dessen Doppelrolle

Mohamed Sudam
Mohamed Sudam

In Zeiten des Umsturzes leben auch Dolmetscher gefährlich. Im Jemen hatten Kräfte des abtrünnigen Generals Ali Mohsen in der Nähe des Flughafens der Hauptstadt Sanaa mit Waffengewalt das Auto von Mohamed Sudam (Bild) angehalten und den Mann verschleppt. Sudam ist der persönliche Dolmetscher des seit 33 Jahren diktatorisch regierenden Präsidenten Ali Abdullah Salih.

Die Regierungspartei protestierte gegen die Entführung und wies darauf hin, dass Sudam ein Vertreter der internationalen Presse sei, weil er für eine amerikanische Nachrichtenagentur arbeite. Tatsächlich ist Sudam nicht nur Dolmetscher des Staatschefs, sondern seit Jahren auch freier Mitarbeiter von Reuters. Sein Name steht unter zahlreichen Reuters-Meldungen über die aktuelle Lage im Jemen, die von Medien auf der ganzen Welt übernommen werden.

Die jemenitische Opposition attackierte daraufhin sowohl den Dolmetscher in seiner vermeintlich zwielichtigen Doppelrolle als auch die Nachrichtenagentur. „Schande über Reuters“, schreiben Regimekritiker auf Facebook und Twitter. Und wie glücklich Sudam sich doch schätzen könne, zweimal bezahlt zu werden, „einmal von [Präsident] Salih für das Fälschen von Nachrichten und ein weiteres Mal von Reuters fürs Veröffentlichen“.

Die New Yorker Reuters-Zentrale war sich zunächst keiner Schuld bewusst. Von der Tätigkeit Sudams im Sprachendienst der Regierung habe man gewusst. Die Beiträge des Journalisten Sudam hätten stets die hohen Standards von Reuters erfüllt, weshalb man die Zusammenarbeit fortzusetzen gedenke. Erst als die Proteste der jemenitischen Opposition nicht abebben wollten, gab Reuters nach. Sudam werde künftig keine Berichte mehr über die Situation im Jemen schreiben – wohl aber über andere Länder der Region.

Sudam wurde von den Entführern nach einigen Tagen in Gefangenschaft auf Druck der Regierung und der jemenitischen Journalistengewerkschaft wieder freigelassen. Die Oppositionellen hatten offenbar gehofft, von ihm interne Informationen über das Regime in Sanaa zu gewinnen und ihn gegen inhaftierte Rebellen auszutauschen. Ob der Freilassung ein Kuhhandel zwischen Regierung und Opposition vorausgegangen ist, ist nicht bekannt.

Mohamed Sudam dolmetscht für Rice und Salih
Mohamed Sudam als Dolmetscher bei einer Begegnung zwischen der amerikanischen Außenministerin Mohamed Sudam als Dolmetscher im Hintergrund. Condoleezza Rice empfängt den jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Salih im Jahr 2007 in Washington. Neben Rice dolmetscht offenbar gerade der amerikanische Dolmetscher. Die USA unterstützen den Jemen seit vielen Jahren mit großzügigen Finanzhilfen.

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[Text: Richard Schneider. Quelle: Süddeutsche Zeitung, 2011-11-19. Bild: Quelle nicht ermittelbar.]

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