Weltweit gibt es heute etwa 7000 Sprachen. Doch wie leicht wäre das Leben, wenn alle Menschen eine Sprache sprächen? Seit Jahren beschäftigen sich die beiden Wirtschaftswissenschaftler Shlomo Weber (Southern Methodist University, Dallas) und Victor Ginsburgh (Freie Universität, Brüssel) mit den ökonomischen Folgen von Spracheinheit und -vielfalt und schlagen der EU-Verwaltung vor, die Sprachenvielfalt in der EU drastisch zu verringern. Aus ökonomischen Gründen und um die Sprachverwirrung zu überwinden soll die EU auf 17 der aktuell 23 Amtssprachen verzichten. Ihrer Ansicht nach käme Brüssel mit den folgenden sechs Arbeitssprachen bestens klar: Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch, Spanisch und Polnisch. Auf diese Weise würde viel Geld für die Übersetzungen gespart, Verwaltungsvorgänge würden beschleunigt sowie grobe Missverständnisse verhindert und das Verständnis würde verbessert. Das wiederum würde das wirtschaftliche Wachstum ankurbeln.
Doch die EU erklärt, die Sprachen und Sprachenvielfalt zu achten und zu respektieren. Daher gestaltet sich eine Reduzierung der Sprachenvielfalt schwierig. Denn wie sollen sich die Menschen eines Landes als Teil einer Gemeinschaft fühlen, wenn ihre Sprache und somit auch Kultur und Geschichte ihrer Nation nicht geachtet wird? Sprache generiert ferner Wohlstand und macht die Identität des Menschen aus. Setzt man diese aufs Spiel, riskiert man damit auch einen wirtschaftlichen Abschwung.
Der Westen schreibt in einem Artikel über die Sprachenvielfalt und die Wirtschaftswissenschaftler Folgendes:
Sie zitieren Studien, nach denen Unternehmen mehr Gewinn erzielen, wenn sie Mitarbeiter mit unterschiedlichen Sprachen beschäftigen. Eine Untersuchung von zwölf amerikanischen Großstädten zeige, dass Vielsprachigkeit höhere Löhne und größeren Wohlstand bringt. Sie ist offenbar dann besonders fruchtbar, wenn die verschiedensprachigen Mitglieder einer Gruppe ein gemeinsames Ziel verfolgen. Sprachvielfalt hat demnach Vor- und Nachteile.
Laut Weber und Ginsburgh sind die vielen Sprachen in der EU jedoch teuer: Über eine Milliarde Euro benötigt die EU-Verwaltung jährlich für die Anfertigung von Übersetzungen. Wer ein EU-Patent anmelden möchte, muss die Anmeldung in alle Sprachen übersetzen das allein kostet im Schnitt 13 600 Euro, so viel wie die Anmeldung eines Patents in den Vereinigten Staaten von Amerika für 20 Jahre. Die Ökonomen kommen jedoch auch zu dem Ergebnis, dass etwa zwei Drittel der 500 Millionen EU-Bürger benachteiligt wären, wenn Englisch die Hauptsprache der EU würde. Dies bedeute nämlich für die Mehrheit der Bürger unverständliche Gesetze, Regeln und Debatten. So könnten sie keinen Einfluss mehr auf das politische Geschehen ausüben. Die Sprachbarriere behindere des Weiteren den direkten Zugang zu juristischen und wirtschaftlichen Prozessen. „Sprache ist die Voraussetzung für Engagement“, sagt Weber.
Die EU hat den größten Dolmetscherdienst weltweit. Der Westen schreibt dazu Folgendes:
Für den Dienst der Europäische Kommission arbeiten rund 530 Dolmetscher, außerdem können bei Bedarf 2700 Freiberufler herangezogen werden. Jeden Tag sind rund 700 Dolmetscher bei rund 60 Veranstaltungen im Einsatz. Das Europäische Parlament und der Europäische Gerichtshof unterhalten jeweils ihre eigenen Dienste. Für Dolmetscher und Übersetzungen wird ein Prozent des Budgets aller EU Institutionen ausgegeben mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr, rund 2,50 Euro pro Bürger.
Die Nato hat zwei Amtssprachen, die UNO beschränkt sich mit den 193 Staaten auf sechs Sprachen. In Afrika nimmt die sprachliche Vielfalt enorme Ausmaße an. Allein Nigeria muss 527 Sprachen unter einen Hut kriegen, Kamerun 279, Tansania 129.
Die Ergebnisse des Forscherduos wurden in dem Buch How Many Languages Do We Need? veröffentlicht.
Zum Buch
Victor Ginsburgh, Shlomo Weber: How Many Languages Do We Need?
Verlag: Princeton University Press (4. April 2011)
Sprache: Englisch
Seiten: 232
ISBN-10: 0691136890
ISBN-13: 978-0691136899
Preis: ca. 2535 Euro
[Text: Jessica Antosik. Quelle: derwesten.de, 10.02.2012; presseportal.de, 10.02.2012; vds-ev.de, 16.02.2012; faz.net, 17.08.2011. Bild: Archiv.]