Quo vadis, Dolmetscherpool Germersheim? Podiumsdiskussion zieht Zwischenbilanz

Dolmetscherpool Germersheim
Einige der Studentinnen, die sich im Dolmetscherpool des FTSK Germersheim engagieren

Vor knapp einem Jahr nahm die Idee zur Einrichtung eines Dolmetscherpools am FTSK Germersheim der Universität Mainz konkrete Formen an, seit einem halben Jahr sind die ehrenamtlichen Dolmetscher im Einsatz – Zeit für eine Zwischenbilanz. Diese wurde am 9. Juli 2012 auf einer Podiumsdiskussion mit dem Titel „“Quo vadis, Dolmetscherpool?““ gezogen.

Dozenten des FTSK tauschten sich mit Dolmetschern aus dem Pool, Vertretern der nutzenden Einrichtungen und dem Publikum über ihre Erfahrungen und Einschätzungen aus. In der Diskussion kamen Fragen auf wie: Was läuft gut, was läuft schlecht, wie geht es weiter, wie sieht der Fachbereich das ehrenamtliche Projekt, wird die Kostenlosigkeit ausgenutzt, wieso sind Dolmetscheinsätze auf freiwilliger Basis überhaupt nötig?

Die Podiumsdiskussion war hochkarätig besetzt:

  • Univ.-Prof. Dr. Dörte Andres, seit 1986 am FTSK Germersheim in der Dolmetschwissenschaft tätig
  • Prof. Dr. Bernd Meyer, seit 2010 Universitätsprofessor für Interkulturelle Kommunikation und Allgemeine Kulturwissenschaft am FTSK
  • Ruth Kritzer, Vorsitzende des Verbands der Konferenzdolmetscher (VKD)
  • Dr. phil. Doris Kinne, Dozierende am Arbeitsbereich Neugriechisch des FTSK
  • Dipl.-Sozialpäd. Annette Heck, Vertreterin des Jugendamtes Germersheim
  • Dipl.-Dolm. Stefanie Kader, Vertreterin der Abteilung für Anglistik, Amerikanistik und Anglophonie sowie des Arbeitsbereichs Niederländisch des FTSK
  • Dr. Şebnem Bahadır, Vertreterin der Abteilung Interkulturelle Germanistik des FTSK
  • Vertreter der Polizeiinspektion Germersheim
  • Journalisten der Lokalzeitung Rheinpfalz

Befürworter des Dolmetscherpools

Jugendamt ist begeistert

Das Jugendamt, das das Angebot des Dolmetscherpools nutzt, gab ein äußerst positives Feedback. Der Zugang zu den Familien sei vereinfacht und der Hilfeprozess beschleunigt worden. Die Dolmetscher seien in der Lage, die sprachlichen und kulturellen Unterschiede zwischen beiden Seiten – hier dem Jugendamt und Bürgern mit geringen Deutschkenntnissen – aus dem Weg zu räumen. Sie nähmen eine Mittlerposition ein. Sie würden Verständnis für die Kultur der Familien aufbringen und so über bessere Möglichkeiten der Kommunikation verfügen. So seien die Dolmetscher in der Lage, den Familien zu erklären, wie das Jugendamt überhaupt funktioniere und welche Unterstützung es anbieten könne. Dies sei früher kaum möglich gewesen.

Beim Jugendamt werden größtenteils private, intime Themen besprochen, was die Familien in eine brenzlige Lage bringt, da sie nicht unbedingt möchten, dass die Probleme vor ihren Familienangehörigen bzw. Kindern diskutiert werden. Übernimmt allerdings ein Dolmetscher diese Aufgabe, wird die Familie entlastet, Missverständnissen wird vorgebeugt und alle Gesprächsbeteiligten profitieren so durch effizientere und kürzere Beratungszeiten. Zudem ist ein Dolmetscher neutral, was von einem Familienangehörigen nicht unbedingt behauptet werden kann. Schließlich können die Hilfs- und Beratungsangebote der Einrichtungen von mehr Menschen genutzt werden.

Studierende haben den Eindruck, wirklich helfen zu können

Die sich im Dolmetscherpool engagierenden Studierenden erklärten, dass sie den Eindruck hätten, den Familien wirklich helfen zu können. Durch ihre sprachmittlerische Tätigkeit hätten sie zum gegenseitigen Verständnis und dazu beitragen können, dass sich eine oft angespannte Situation entspannt habe. Die Klienten glaubten endlich an die deutschen Institutionen. Als Studierende würden sie bei den Einsätzen viel dazulernen und auch für die Einrichtungen, die den Dolmetscher anfordern, sei ihre Arbeit sehr hilfreich.

Studierende verbinden Theorie mit Praxis

Von dem Dolmetscherpool profitieren nicht nur die Einrichtungen im Kreis Germersheim. Der Pool stellt auch einen großen Mehrwert für die Studierenden dar. Sie haben die Möglichkeit, praxisnah zu arbeiten, was in der universitären Ausbildung ansonsten nur bedingt simuliert werden kann. Sie können auf diese Weise nicht nur aus Rollenspielen fürs Leben lernen und Theoretisches mit Praktischem verbinden. Die teilnehmenden Studierenden werden mit Trauer und großen Emotionen konfrontiert. Natürlich ist dies auch eine enorme Herausforderung für die Studierenden. Aber es ist auch eine gute Übung für sie.

Zum einen stellt der Dolmetscherpool ein zusätzliches, hilfreiches Trainingsangebot für die Studierenden dar, da kein eigener Ausbildungsgang für das sog. Community Interpreting existiert, sondern der Ausbildungsschwerpunkt im Master Konferenzdolmetschen sowie Master Sprache, Kultur, Translation liegt. Zum anderen geraten die Studierenden mit sozialen Wirklichkeiten in Kontakt, die sie meist nicht kennengelernt haben – z. B. mit häuslicher Gewalt. Die Studierenden erwerben eine Menschenbildung, die das Studium so nicht vermitteln kann. Außerdem lernen sie, mit anderen Personen zusammenzuarbeiten. Im Zuge dessen werden die Teamfähigkeit und Zuverlässigkeit gefördert.

Soziale Einrichtungen nutzen gerne Dolmetscherpool, weil Geld für Berufsdolmetscher fehlt

Aufgrund der prekären finanziellen Situation der Institutionen, in diesem Fall in der Region Germersheim, kommt die ehrenamtliche Unterstützung durch den Dolmetscherpool zahlreichen Einrichtungen entgegen. Dies beantwortet also auch die Frage, warum die Auftraggeber nicht professionelle, bereits erfahrene Dolmetscher engagieren.

Wichtig ist jedoch anzumerken, dass die Dolmetscher aus dem Pool zum Beispiel beim Jugendamt nur dann eingesetzt werden, wenn ansonsten wegen des für die Bestellung eines Dolmetschers fehlenden Budgets ein vollkommen unerfahrener Familienangehöriger – Ehemann oder gar Kind – als Laiendolmetscher aushelfen würde. Sie stellen also keine Konkurrenz für etablierte Dolmetscher dar.

Vor jedem Einsatz wird geschaut, ob der jeweilige Studierende die Aufgabe wirklich übernehmen möchte/kann oder eventuell überfordert wird. Natürlich kann es auch zu einer Fehleinschätzung vonseiten des Studierenden kommen, vor allem, weil er noch nicht ausreichend Erfahrung besitzt, um im Voraus abschätzen zu können, was ihn vor Ort erwartet. Jeder Einsatz wird aber dokumentiert und reflektiert.

Kritik am Dolmetscherpool

Auf der Podiumsdiskussion wurden auch kritisch eingestellte Stimmen laut. Ehrenamtlichkeit und Freiwilligkeit sowie die Praxiserfahrungen seien zwar zu begrüßen, aber das Forschungsprojekt müsse beendet werden, wenn sich herausstelle, dass es doch zu heikel sei – auch wenn mit der Gründung des Dolmetscherpools bereits eine gewisse Verpflichtung entstanden sei.

Einige Dozenten, darunter Univ.-Prof. Dr. Dörte Andres, sind der Ansicht, dass das Projekt das Ziel einer Professionalisierung des Dolmetschens im medizinisch-sozialen Bereich unterlaufe. Die hoch anspruchsvolle Tätigkeit erfordere qualifizierte Dolmetscher. Die Aufgabe könne daher nicht von Bachelor-Studierenden übernommen werden.

Es sei besser, die Studierenden entsprechende Gesprächssituationen in einer „stummen Kabine“ dolmetschen zu lassen, um sie mit dem Thema vertraut zu machen. So müssten diese nicht die Last der Verantwortung tragen. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass sich die einfachsten Sachverhalte bzw. Gesprächssituationen oft als die schwierigsten entpuppten. Unerfahrene Studierende seien nicht in der Lage, damit angemessen umzugehen.

Es wurde vorgeschlagen, eine Diskursanalyse durchzuführen, also die Verdolmetschungen aufzuzeichnen, um anschließend die Stärken und Schwächen der Studierenden analysieren zu können.

Dolmetschstudierende als Lückenbüßer?

Univ.-Prof. Dr. Dörte Andres wies darauf hin, dass sich der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer e.V. (BDÜ) und der Verband der Konferenzdolmetscher im BDÜ (VKD) „maßlos“ darüber aufgeregt hätten, dass man seit einiger Zeit für genau solche Settings online einen sogenannten Dolmetschführerschein machen könne. Die Kosten dafür beliefen sich auf 55 Euro und die Dauer erstrecke sich über 12 Doppelstunden. Es sei kritisiert worden, dass ein übergeordnetes Konzept fehle und dass auf diese Weise nur Bedarfslücken gestopft würden.

Bewusstsein für Wichtigkeit des Dolmetschers erhöhen

Stefanie Kader schlug vor, auf lange Sicht professionelle Dolmetscher in den Einrichtungen, die derzeit die Hilfe des Dolmetscherpools in Anspruch nehmen, einzusetzen. Dies sei das Ziel, das man sich setzen solle. Der Pool ebne also den Weg dafür, in der Gesellschaft das Bewusstsein für die Bedeutung der Dolmetschtätigkeit zu erhöhen.

Mystifizierung der Dolmetschtätigkeit durch Kritiker?

Hier trafen jedoch zwei völlig unterschiedliche Meinungen aufeinander. Prof. Dr. Bernd Meyer erklärte, es handele sich um eine „Mystifizierung der Dolmetschtätigkeit“, wenn behauptet werde, dass nur professionelle Berufsdolmetscher in der Lage seien, die Aufgaben im Community Interpreting zu bewältigen. Studierende seien durchaus imstande, einfache Themen zu dolmetschen. Darüber hinaus handele es sich bei den Germersheimer Studierenden nicht um vollkommene Laien, sondern angehende Translatoren, die sich wissenschaftlich mit Sprachen, Kulturen und dem Übersetzungs- bzw. Dolmetschprozess beschäftigten und in dieser Hinsicht über mehr Wissen verfügten als zum Beispiel zehnjährige Kinder, die nicht selten dazu gezwungen seien, für ihre Eltern oder Verwandte zu dolmetschen. Diesen stünden sicherlich nicht die für einen Dolmetscheinsatz notwendigen sprachlichen Werkzeuge zur Verfügung.

Caritas spricht sich für Kontinuität aus – Anforderungen an Dolmetscherpool steigen

Die Caritas hat den Wunsch ausgesprochen, für Kontinuität zu sorgen. Es sei wünschenswert, dass bei einem Fall von Anfang bis Ende derselbe Dolmetscher zum Einsatz komme und nicht gewechselt werde. Grund: Die Familie oder Person, für die der Dolmetscher tätig ist, baue zum Dolmetscher Vertrauen auf.

Von seiten des Dolmetscherpools wurde darauf hingewiesen, dass dies nur schwer zu realisieren sei, da es sich um ein ehrenamtliches Projekt handele.

Auch etablierte Dolmetscher sind gelegentlich überfordert

Während der Diskussion wurde darauf aufmerksam gemacht, dass am Landauer Gericht ein qualifizierter Dolmetscher aufgrund seiner mangelnden Fähigkeiten in laufender Verhandlung vom Richter entbunden wurde. Sogar eine Qualifizierung oder universitäre Ausbildung sei somit kein Garant für eine gute Dolmetschleistung. Andererseits stelle sich auch die Frage, wie die unerfahrenen Studierenden des Dolmetscherpools die Situation gemeistert hätten. Das andere Extrem sieht so aus, dass es viele gute, erfolgreiche Dolmetscher auf dem Markt gibt, die kein Dolmetschstudium absolviert haben.

Bedarf in Germersheim ist vorhanden

Die Stadt Germersheim hatte zum 30.06.2012 eine Einwohnerzahl von 20.355. Der Ausländeranteil beläuft sich auf 20,4 %, hinzu kommt ein ebenfalls weit überdurchschnittlicher Anteil von deutschstämmigen Aussiedlern aus Russland, der bei rund 10 % der Gesamtbevölkerung liegt (Quelle: rlpdirekt.de). Insgesamt setzt sich die Bevölkerung der Kleinstadt laut Website der Stadt Germersheim aus nahezu 100 Nationen zusammen.

Wo so viele Sprachen und Kulturen aufeinander treffen, kann es schnell zu Kommunikationsschwierigkeiten kommen. Zwar reichen die Sprachkenntnisse der Bürger mit Migrationshintergrund oft aus, um den Alltag zu meistern. Wenn es aber darum geht, Gespräche im Krankenhaus, auf dem Amt oder bei sonstigen offiziellen Stellen zu führen, können sich die Beteiligten nicht mehr mit Händen und Füßen verständigen. Sie geraten an ihre Grenzen und benötigen Hilfe von Dritten, das heißt also von Dolmetschern, die die sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten bewältigen.

Wie kam es zur Gründung des Dolmetscherpools Germersheim?

Im Wintersemester 2011/2012 wurde der Dolmetscherpool Germersheim für die Sozialen Dienste des Landkreises Germersheim als Forschungsprojekt gegründet. Ins Leben gerufen wurde dieser im Rahmen eines Lehrprojekts des Arbeitsbereichs Interkulturelle Kommunikation des Fachbereichs Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft in Germersheim (FTSK) der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). Der Pool speist sich aus Bachelor-, Master- und Diplom-Studierenden sowie Lehrenden des FTSK Germersheim.

Sie sollen dazu beitragen, die Kommunikation mit Bürgern, die über geringe Deutschkenntnisse verfügen, zu erleichtern. Die Studierenden leisten ihre Dolmetscheinsätze ehrenamtlich im Rahmen eines unbezahlten Praktikums, das sie sich als ein Studienmodul anrechnen lassen können. Regelmäßige Fortbildungen stellen eine angemessene Qualität der Dolmetschleistung sicher. Selbstverständlich müssen die an den Einsätzen teilnehmenden Studierenden Schweigepflicht bewahren.

Einsatz in sozialen und medizinischen Einrichtungen

Die Dolmetscher kommen in sozialen und medizinischen Einrichtungen, Beratungsstellen, Kindertagesstätten, Behörden, auf Ämtern und in Jugendhilfeeinrichtungen zum Einsatz. In der Regel also dort, wo es an finanziellen Mittel mangelt, um qualifizierte Dolmetscher beizuziehen. Die derzeitigen Partner des Dolmetscherpools sind: Caritas Germersheim, Caritas Speyer, Jugendamt Germersheim, Pflegestützpunkte in Germersheim.

Wie kann man einen Dolmetscher buchen?

Soziale Einrichtungen, die sprachliche Unterstützung benötigen, können sich per E-Mail oder telefonisch an den Dolmetscherpool wenden. Da es sich um ein nicht-kommerzielles Projekt handelt, kann der Pool nicht immer helfen. Der Dolmetscherpool sollte mindestens 24 Stunden vor dem Dolmetscheinsatz kontaktiert werden und möglichst genaue Angaben zum Thema etc. erhalten.

Sprachenangebot des Dolmetscherpools

Abgedeckt werden momentan die Sprachen Albanisch, Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Niederländisch, Nordkurdisch, Polnisch, Russisch, Spanisch und Türkisch.

Wer finanziert den Dolmetscherpool?

Unterstützt wird das Projekt vom FTSK Germersheim und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die bis September 2012 eine wissenschaftliche Hilfskraft zur Koordination der Einsätze und Schulungen finanziert. Langfristig wird eine Förderung durch das Land Rheinland-Pfalz und das Bundesinnenministerium angestrebt.

Weiterführende Informationen

Der Dolmetscherpool Germersheim unterhält eigene Seiten auf der Website des FTSK Germersheim der Universität Mainz. In Heft 3/2012 der vom BDÜ herausgegebenen Fachzeitschrift MDÜ (Mitteilungen für Dolmetscher und Übersetzer) wurde ausführlich über den Dolmetscherpool Germersheim berichtet.

[Text: Jessica Antosik. Quelle: Podiumsdiskussion am FTSK Germersheim, 09.07.2012; www.fb06.uni-mainz.de; uni-mainz.de. Bild: FTSK Germersheim.]