Seit Jahren begleitet die Terminologie Redakteure und Übersetzer. Was auf Karteikarten anfing, ersetzten in den achtziger Jahren einfache Wortlisten in Excel oder Word. Stand der Technik sind heute begriffsorientierte Terminologiedatenbanken, die unter einem Begriff mehrere gleich bedeutende Wörter oft in mehreren Sprachen zusammenfassen.
Terminologieverwaltungssysteme (TVS) sind zweifelsohne ein sehr bedeutender Fortschritt für die Arbeit mit Terminologie, sie haben aber auch ihre Schwächen. Wenn der Zusammenhang fehlt oder das Fachwissen des Benutzers unzulänglich ist, reichen die Informationen nicht immer aus, um den sicheren Einsatz eines Terminus zu erlauben. Das belegen u. a. die vielen Rückfragen von Übersetzern.
Das kann z. B. in einem technischen Wörterbuch relativ allgemeine Begriffe wie „Aufnahme“ betreffen, für die je nach Zusammenhang und Produktionsverfahren unterschiedliche Benennungen oder Übersetzungen eingesetzt werden können. In solchen Situationen brauchen technische Redakteure oder Übersetzer oft Wissen, das traditionelle TVS nicht liefern.
Vor- und Nachteile von Wissensmanagementsystemen
Parallel zu TVS findet man in manchen größeren Unternehmen Wissensmanagementsysteme, die ebenfalls auf der Basis von Begriffen arbeiten. Diese ontologiebasierten Systeme bauen meistens Fachgebietsspezialisten auf, die ein besonderes Know-how für das Erfassen und Modellieren von Wissen besitzen. Sie dienen einem anderen Zweck als die meist normative Terminologieverwaltung.
Neben ihrer großen Stärke in Bezug auf das Strukturieren und das Abfragen von Wissen haben diese Systeme im sprachlichen Bereich mehrere Schwächen. Sie behandeln meistens Begriffe und Benennungen gleich. Nicht selten sind sie nur einsprachig. Allzu oft bieten diese Wissenssysteme keine unmittelbare Möglichkeit, mit synonymen Benennungen oder mit Fremdsprachen zu arbeiten. Nur über spezielle Attribute und Relationen wie „sameAs“ lassen sie sich einbinden.
Das Beste beider Welten miteinander verbinden
Es liegt also nahe, das Beste von beiden Welten miteinander zu verbinden. Es ist ja eigentlich in jedem Unternehmen sehr viel brachliegendes Wissen vorhanden. Bereits in Terminologieverwaltungssystemen findet man einen Teil dieses Wissens in Form von Verweisen oder Definitionen.
Aber auch in vielen Dokumentationstypen, wie in der technischen Dokumentation, ist viel Wissen vorhanden. Dieses Wissen wird zwar erläutert und vermittelt, aber es ist nicht strukturiert und abrufbar. Man hat eher mit Texten und nicht mit computerlesbarem strukturiertem Wissen zu tun. Hier zeichnet sich ein Lösungsweg für ein Wissensmanagement auf breiter Basis mithilfe von Terminologieverwaltungssystemen ab.
Es geht im Kern um die Beantwortung der Frage: Was ist eigentlich Wissen? Wissen kann man als ein System vernetzter Begriffe definieren. Und heute findet man eben diese Begriffe mit einer Vielzahl von Metadaten in einem TVS.
Wie lässt sich also Wissen in einem Terminologieverwaltungssystem modellieren? In Anlehnung an den Aufbau von Ontologien braucht man zuerst ein Basismuster für die Relationen, die einzelne Begriffe miteinander vernetzen sollen: Subjekt – Prädikat – Objekt. Dieses Muster nennt man Tripel. Das Subjekt ist der Begriff, von dem die Beziehung ausgeht. Das Prädikat ist die Beziehung. Und das Objekt ist der Begriff, der Ziel dieser Beziehung ist. Zwei kleine Beziehungsbeispiele:
- Die Kohlebürste (Subjekt) ist Teil von (Prädikat) Lichtmaschine (Objekt).
- Die Kohlebürste (Subjekt) bewirkt (Prädikat) einen elektrischen Kontakt (Objekt).
Ein Begriffssystem kann man mithilfe verschiedener Arten von Relationen organisieren. Es gibt hierarchische Relationen, die Teil-Ganzes-Konzepte modellieren. Und es gibt nicht-hierarchische oder assoziative Relationen, die je nach Wissensgebiet unterschiedliche Elemente benutzen: Ursache- Wirkung, Beschaffenheit (besteht aus), Position, Funktionalität usw. Relationsmodelle können durchaus komplexer sein und beispielsweise Einschränkungen („gilt nur wenn Objektattribut ist ‚Material = Kunststoff'“) beinhalten. Diese Möglichkeiten sind für die gezielte Abfrage von Wissen sehr hilfreich.
Das Modellieren von Relationen hängt vom Wissensgebiet bzw. vom Zweck der Wissensarbeit (z. B. Vertrieb verwandter Produkte) ab. Es gibt einige Methoden, diese Arbeit halbautomatisch zu unterstützen. Einige werden hier kurz erwähnt.
Teil-Ganzes-Beziehungen lassen sich z. B. über die Suche nach allen Komposita, die ein bestimmtes Grundwort enthalten (Beispiel: alle Komposita mit „Ventil“). Dabei kann man eventuell Synonyme oder fremdsprachige Varianten heranziehen. Auch kann man solche Beziehungen mithilfe unterschiedlicher Dokumentationen finden: Materialstücklisten, Oberflächenbeschreibungen, Legenden von Zeichnungen usw.
Produktdokumentationen wie Betriebsanleitungen sind ebenfalls eine gute Quelle für das Ausarbeiten von Beziehungen. Aus Gefahrenhinweisen lassen sich z. B. Begriffe und Begriffsbeziehungen erkennen, die zu einer Gefahr führen können. Eine weitere Methode besteht darin, bestimmte Stichwörter (Marker) zu finden und in Listen zu pflegen, die auf eine bestimmte Beziehungsart hinweisen können.
Im Satz: „Auf der rechten Maschinenseite befindet sich das Antriebsgetriebe“ ist das Stichwort „befindet sich“ ein Marker für eine Beziehung, die die Position eines Objekts dokumentiert.
Ist das Wissen einmal modelliert, sind je nach Zielsetzung genaue Abfragen möglich, die beispielsweise Autoren oder Übersetzer bei ihrer Arbeit unterstützen können. So kann sich der Übersetzer bei einem unverständlichen Terminus die Relation des Begriffs zu anderen Begriffen anzeigen lassen. Aus diesem erweiterten Kontext (man spricht von „Knowledge-Rich Context“) kann er oft die benötigten Informationen für eine korrekte Übersetzung gewinnen.
Neue Generation von Terminologieverwaltungssystemen wie LookUp
Die neue Generation von Terminologieverwaltungssystemen ist bereits im Aufbau. Erste Systeme wie LookUp bieten Funktionen für den Aufbau konfigurierbarer Begriffsrelationen und für die Abfrage von Wissen sowie die Ausgabe von Ergebnissen.
Diese wissensbasierten Terminologiedatenbanken können auf vielfältige Art und Weise eingesetzt werden. Entlang des Produktlebenszyklus findet man viele Nutzer, von der Konstruktion über den Vertrieb bis hin zu weiteren Stellen, wie technischer Support, Übersetzungen usw.
So könnte der Redakteur Firmenwissen effizient nutzen, um seine Warnhinweise oder die Normenkonformität seiner Texte zu optimieren. Der Übersetzer kann mit zusätzlichem Wissen die Kontexttauglichkeit seiner Übersetzung prüfen. Der technische Support kann bei der Lösung von Problemen über Relationen wie Ursache – Wirkung die Problemursache schneller und gezielter finden, und dies unabhängig davon, ob der im Fehlerbericht genannte Teil „Drehknopf“, „Regler“ oder „potentiomètre“ heißt.
Damit eröffnen sich für viele Unternehmen ganz neue Perspektiven. Unterschiedliche Nutzergruppen könnten ihr Wissen gemeinsam aufbauen und miteinander teilen. Ferner können Unternehmen neue Wissensprojekte in einer wesentlich kürzeren Zeit starten, da die Wissensdaten im TVS terminologisch bereits aufgearbeitet sind. Ein Grund mehr, rechtzeitig in Terminologie zu investieren.
Mit der Modellierung von Wissensrelationen in Terminologieverwaltungssystemen verschwinden die Grenzen zwischen klassischen Terminologiedatenbanken und Wissenssystemen. Die Wissenserfassung ist nicht mehr die Aufgabe einer kleinen Anzahl von Spezialisten, sondern wird zum ersten Mal einer größeren Anzahl von Terminologiebenutzern zugänglich gemacht.
[Text: D.O.G. Dokumentation ohne Grenzen GmbH. Quelle: D.O.G. news, 10/2014. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Dr. François Massion. Bild: Photolars / Fotolia.]